Zur Auseinandersetzung mit der Göttinger Juso-Führung

Brief des Lassalle-Kreises an den Vorstand des SPD-Unterbezirks Göttingen

 
Liebe Genossinnen und Genossen!
 
1.
Vom 5. – 7. September 2014 fand in Göttingen das 9. Bundestreffen des Lassalle-Kreises statt. Am 3. September nahm die Führung der Göttinger Jusos in einer Presseerklärung zu dem Treffen Stellung. Die Juso-Vorsitzende des UB Göttingen Silke Hansmann lehnt darin den Lassalle-Kreis ab, weil sie „die Mitgliedschaft in einer Verbindung für unvereinbar mit den Idealen und Grund­werten der SPD“ hält. Eine inhaltliche Aussage zu studentischen Verbindungen macht sie damit nicht. Ihre Äußerung zeugt nicht von Sachkenntnis, sondern wiederholt lediglich das übliche Vorurteil gegen Verbindungen („Verbindungen reproduzieren reaktionäres Gedankengut“). Die Erwähnung des Unvereinbarkeitsbeschlusses des SPD-Parteivorstandes gegen die „Deutsche Burschenschaft“ steht in keinem Zusammenhang mit dem Lassalle-Kreis, der im Übrigen den Rechtsruck der DB mehrfach verurteilt hat. Der Versuch, den Lassalle-Kreises in die Nähe reaktionären Denkens zu rücken, ist eine Beleidigung seiner Mitglieder.
Konkreter wird die Ergänzung des Mitglieds des Juso-Stadtverbandsvorstandes Joris Sprengeler: „Rassismus, Antisemitismus und Sexismus sind nicht nur ein Problem der Deutschen Burschen­schaft“. Richtig! Die antisemitischen Ausfälle der jüngsten Vergangenheit offenbaren ein weit­verbreitetes rassistisches und antisemitisches – besser: antijüdisches – Denken in der Bevölkerung. Was Sprengelers Feststellung mit dem Lassalle-Kreis zu tun hat, bleibt allerdings unerfindlich. Seine Kritik an Verbindungen entbehrt ebenso wie Hansmanns Äußerung jeglicher Sachkenntnis. Wer vom Lebensbund der Verbindungen und ihren Wertvorstellungen nichts verstanden hat, sollte sich darüber nicht äußern. Geradezu lächerlich ist Sprengelers These vom „Eliteklüngel, der von Generation zu Generation hierarchisch weitergegeben wird.“ Zu glauben, Beförderungen und Karrieren in Wirtschaft oder Verwaltung beruhten nicht auf Leistung, sondern allein auf Protektion, ist naiv. Kein Firmenchef stellt jemanden ein, nur weil er derselben Verbindung angehört.

2.
Man muss studentische Verbindungen nicht mögen. Aber vor einer negativen Beurteilung ist wenigstens eine inhaltliche Auseinandersetzung nötig. Im Presseartikel des „Göttinger Tageblatt“ vom 4. September hatten wir die Führung der Göttinger Jusos deshalb zur Diskussion aufgefordert. Dazu ist Sie jedoch nicht bereit. Unsere Formulierung: „Der Lassalle-Kreis fordert die Jusos zum Gespräch auf, damit sie ihr reproduziertes, reaktionäres Gedankengut im Hinblick auf Korpora­tionen hinterfragen. Innerhalb der Partei muss es doch möglich sein, sich ergebnisoffen zu unter­halten“, nahm die Führung der Göttinger Jusos zum Anlass, unser Angebot abzulehnen, weil – so lautete ihre Begründung - schon „durch die Formulierung des Gesprächsangebots … ein tatsächlich offenes Gespräch nicht möglich“ erscheine. Was soll die Dünnhäutigkeit? Hatte nicht die Jusoführung ihrerseits den Verbindungen in der Presseerklärung „reaktionäres Gedankengut“ unterstellt? Kündigte sie nicht an, „die Abschaffung des Lassalle-Kreises zu fordern“? Wer selbst ständig mit dem Dreschflegel auf andere einschlägt, darf keine Streicheleinheiten erwarten und sollte sich über unsere scharf formulierte Antwort nicht wundern.

3.
Die Mitglieder des Lassalle-Kreises sind ebenso wie die Göttinger Jusos Genossinnen und Genossen, die meisten sind im Jusoalter. Auch Göttinger Lassallekreismitglieder sind Jusos. Sie kämpfen wie alle Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten gegen reaktionäres Gedankengut, Sexismus, Rassismus und Antisemitismus. Sigmar Gabriel hat im letzen „Vorwärts“ darauf hingewiesen: Ferdinand Lassalle, der große Vordenker der SPD war Jude, er „wollte ein freies Leben für alle“, so lautete die Überschrift des Aufsatzes. Freies Leben heißt nicht zuletzt Freiheit zur eigenen Lebensgestaltung. Die Mitgliedschaft in Studentenverbindungen ist eine private Angelegenheit. Die Partei darf nicht die Freiheit und die freie Entfaltung ihrer Mitglieder einschränken, solange diese nicht gegen die Partei wirken. Die Mitglieder des Lassalle-Kreises verstehen sich als Speerspitze im meist eher konservativen Milieu der Korporationsszene. Wir wenden uns mit allem Nachdruck gegen pauschale Verurteilungen „der“ Verbindungen. Zahlreiche engagierte Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten waren und sind Mitglieder von Verbindungen. Folgte die SPD den Vorstellungen der Göttinger Jusoführung, müsste sie Ferdinand Lassalle, Wilhelm Liebknecht, Christoph Blumhardt, Karl Barth, Georg Diederichs, Detlev Carsten Rohwedder, Klaus Hänsch und viele andere nachträglich ausschließen.

4.
Demokratie vollzieht sich u.a. in der inhaltlichen Auseinandersetzung zwischen unterschiedlichen, bisweilen auch gegensätzlichen Meinungen. Für Meinungs- und Organisationsfreiheit hat unsere Partei lange und intensive Kämpfe geführt. Wer wie die Führung der Göttinger Jusos politische Diskussionen innerhalb unserer Partei verweigert, seine eigene Meinung für absolut erklärt und die Vertreter anderer Auffassungen ausschließt – Mitgliedern des Lassalle-Kreises wird die politische Mitarbeit verweigert -, offenbart ein rückwärtsgewandtes und totalitäres Denken, für das in unserer Partei kein Platz sein darf. Würde die SPD ihre Politik nach dem Werteverständnis der Göttinger Jusoführung ausrichten, wäre ihr Untergang als Volkspartei besiegelt.
Wir verurteilen die Verweigerung der Auseinandersetzung als reaktionär - das brauchen wir weder in Göttingen noch anderswo.
 
Mit solidarischen Grüßen!

Lassalle-Kreis