Harald Koch (1907 - 1992)

Harald Koch, ein sozialdemokratischer Burschenschafter und aktiver Politiker der Nachkriegszeit.

 

Biografie:

Harald Koch wurde am 4. März 1907 in Rüstringen bei Wilhelmshaven geboren. Er war der Sohn des Rechtsanwalts und Notars  Adolf Koch und dessen Ehefrau Elisabeth. Er besuchte dort das Kaiser-Wilhelm-Gymnasium und studierte dann Rechts- und Staatswissenschaften in Freiburg/Breisgau, Berlin und Göttingen. In Freiburg wurde er 1926 Mitglied und 1927 Sprecher der Freiburger Burschenschaft Alemannia.

Harald Koch war zeitlebens politisch interessiert und  aktiv. Er stand schon vor 1933 in scharfem Gegensatz zum Nationalsozialismus. Nachdem er seine Referendarszeit in Oldenburg mit dem Assessorexamen abgeschlossen hatte, verließ er 1934 aus politischen Gründen den Staatsdienst. Auch eine Tätigkeit als Anwalt schien aus den gleichen Gründen nicht ratsam, sodass er in einer Art innerer Emigration, was damals offenbar viele praktizierten, in die Dienste der Wirtschaft trat, nachdem er ein weiteres Studium an der Handelshochschule in Leipzig er 1936 als Diplom-Steuersachverständiger beendet hatte.

1940 trat er in die Dienste der Eisenwerk-Gesellschaft Maximilianshütte in Sulzbach-Rosenberg und leitete die Rechts-, Steuer- und Personalabteilung als Prokurist.  Bis Kriegsende konnte er hier weitgehend unbehelligt arbeiten.

Es gelang ihm, offenbar ohne größere Probleme, ein ihm angetragenes ziviles „Kriegsverdienstkreuz“ mit der Begründung abzulehnen, „auf ein Friedensverdienstkreuz warten“ zu wollen. Es gibt Zeugnisse darüber, dass Koch auch für eine außerordenlich gute Behandlung der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen zuständig war.

1945 38 Jahre alt, wurde er noch zum Volkssturm eingezogen. Dieser „Kampfeinsatz“ wurde aber kampflos beendet.

Nach dem „Zusammenbruch“ gelangte Koch zurück nach Oldenburg, wo er in die Regierung des damaligen Oldenburgischen Ministerpräsidenten Tantzen eintrat und  1946 Mitglied er wiedergegründeten SPD wurde. Nach der Auflösung der Oldenburger  Regierung und Gründung des Landes Niedersachsen 1947 wurde Koch Mitglied des niedersächsischen Landtages. Wegen der offensichtlichen Planungsmängel der britischen Militärregierung lehnte Koch alle Angebote ab, in Niedersachsen Minister zu werden; dies geschah erst nach einem Wechsel in das Land Hessen 1947, wo er Minister für Wirtschaft und Verkehr wurde.

Nachdem dort eine große Mehrheit der Sozialisierung (heute „Vergemeinschaftung“) Verfassungsrang verliehen hatte, legte Koch 1948 eine Abhandlung „Von der Verfassung zum Gesetz“ vor, in der er sein Modell der Sozialisierung unter gleichzeitiger Ablehnung von rigoroser „Verstaatlichung“ vorlegt. Das Stichwort ist „Sozialgemeinschaft“. Darunter verstand Koch die Schaffung von einer Art sozialistischen Varianten von Aktiengesellschaften mit Beteiligung von Gewerkschaften, der Belegschaften, der Gemeinden, aber auch der ehemaligen Eigentümer.

Dieses Modell jedoch scheiterte am Einspruch der Amerikaner und an den dann vorhandenen Mehrheitsverhältnissen im hessischen Landtag.

Im Jahr 1949 erfolgte die Eheschließung mit Elfi Stoll.

1949 bis 1953 war Koch dann Mitglied des Deutschen Bundestages und verschiedener Ausschüsse, vornehmlich Wirtschaft und Finanzen, aber auch für das Mitbestimmungsgesetz.  In diesen Funktionen war Koch auch innerhalb seiner Partei tätig (wirtschaftspolitischer Ausschuss).

1952 bis 1968 wurde er Vorstandsmitglied der Hoesch-AG und hier wieder zuständig für das Personalwesen, wobei seine Schwerpunkte Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter waren. Unter seinem Einfluss entstanden z.B. Bildungswerke, wie die „Akademie für Führungskräfte“ in Harzburg, oder Werkzeitungen („Werk und wir“). Wegen seiner hohen Fachkompetenz wurde Koch 1963 bis 1969 als einer der „fünf Weisen“ des Wirtschafts-Sachverständigenrats vom Bundespräsidenten berufen, schied jedoch wegen einiger rüder Äußerungen des damaligen Bundesfinanzministers Franz Josef Strauss wieder aus.

Seit 1972 im Ruhestand, versah Harald Koch dann eine Vielzahl von Funktionen und Tätigkeiten in ehrenamtlichen Bereichen. So z.B. Deutsche Altershilfe, christliches Jugenddorf Göppingen, Friedrich-Ebert-Stiftung.

Besonders lag ihm die Auslandsgesellschaft in Dortmund am Herzen, eine bereits im Jahre 1949 gegründete Einrichtung, die sich der Versöhnung und Verständigung mit den europäischen Nachbarn, die Schaffung partnerschaftlicher Beziehungen und die Förderung kulturellen Austausches zur Aufgabe gemacht hat. Er wurde 1956 ihr Präsident und 1986 ihr Ehrenpräsident. In dieser Eigenschaft führten ihn zahlreiche Reisen ins Ausland, insbesondere bereits in den 60er Jahren in die damalige Sowjetunion oder nach Israel.

Er erhielt zahlreiche Ehrungen wie u.a. das Große Bundes-verdienstkreuz mit Stern 1969, Ehrenbürgerschaft der Stadt Dortmund 1981, den Verdienstorden des Landes Nordrhein-Westfalen aus der Hand von Johannes Rau, oder den Hans-Böckler-Preis des Deutschen Gewerkschaftsbundes 1991.

Harald Koch verstarb am 18. September 1992 im Alter von 85 Jahren. In einem Nachruf schrieb der Dortmunder OB:

„... eines seiner obersten Ziele war es, den sozialen Frieden im Lande dauerhaft zu sichern...Wir nehmen Abschied von einem Mann, der sich deiner Verantwortung für unsere freiheitliche und soziale Demokratie stets bewußt war.“

 

Würdigung:

Harald Koch war das, was man einen engagierten „politischen“ Burschenschafter nennen könnte, von der Art, die man heute so nicht mehr trifft. Liberalität, Gemeinsinn und politische Verantwortung, aber auch Achtung vor dem Andersdenkenden, dem politischen Gegner haben ihn zeitlebens ausgezeichnet, Dinge, die auch in einer Korporation zählen, die dort – wie man heute sagt - eine Art „softskill“ ausmachen, also für den Einzelnen in lebendige, soziale und gemeinschaftliche Verantwortung ausmünden.

Seine Grundsätze können schwerpunktmäßig beschrieben werden als getragen von

-          sozialer Verantwortung,

-          der Idee von betrieblicher Mitbestimmung

-          der Idee der  Unverzichtbarkeit von Mitarbeiterbildung

-          Versöhnung, Ausgleich und der Idee der europäischen Partnerschaft

Unter diesem Handlungsmuster war Harald Koch ein geradezu beispielhafter Sozialdemokrat.

 

Er war aber auch von Grund auf, geradezu instinktmäßig gegen die sich vor 1933 entwickelnden autokratischen und diktatorischen politischen Systeme eingestellt und trat für einen Staat als liberales Gemeinwesen ein. Das vertrug sich gut mit seiner sozialen Einstellung und, folgerichtig, mit seiner Mitgliedschaft in der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, der er bis zu seinem Tode verbunden war. In dieser Partei wurde er MdB und Minister und war auch als herausragender Vertreter der aufstrebenden Wirtschaft stets bemüht, das Merkmal einer sozial verantwortungs-voll handelnden Leitung zu realisieren. Es gibt eine Aussage aus dem Jahre 1992:

„Warum wird in der Öffentlichkeit immer wieder der Unterschied verwischt, der zwischen meinem Begriff eines humanen, demokratischen, christlichen Sozialismus und dem abgewirtschafteten so genannten ‚Realsozialismus’ besteht? Ich empfinde das als Ausdruck einer unchristlichen Bösartigkeit!“

Diese Einstellung, gespeist aus einem intakten christlichen Glauben, einem starken Gefühl für Gemeinsinn und Gemeinwohl, erinnert an die Idee vom Sozialismus mit menschlichem Antlitz des Prager Frühlings, der an genau diesem Realsozialismus elend zugrunde ging.

Auch der Satz „Die freie Entwicklung eines Jeden ist die Bedingung für die freie Entwicklung aller“ von Karl Marx war ihm nicht nur geläufig, sondern auch Maxime, denn sein Eintreten für Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter war ihm ein stetiges Anliegen.

So kann man Harald Koch, der immer auch Burschenschafter war, allerdings das Fechten einer Pflichtmensur ablehnte, und bewusst für seine Alemannia in Freiburg eintrat, als einen politischen Korporierten sehen, der in seiner Zeit sozialdemokratische Zeichen setzte.

 

Was bedeutet ein Mensch wie Harald Koch heute für uns Nachgeborene, Korporierte und Burschenschafter?

Auch heute, das wäre dann die „take-home-message“, muss man den Korporierten, allerdings den Burschenschafter zuallererst, als politisch Tätigen definieren. Koch hat sich gegen die Nazis gestellt, seine Karrierechancen geopfert, Stellung bezogen. In der Nachkriegszeit brachte er sich aktiv in den Neuordnungsprozess der jungen Bundesrepublik ein und wirkte dabei an vielen wichtigen Stellen mit.

Heute bedarf es solcher Zeichen mehr denn  je. Der eindeutig Stellung bezieht, auch gegen Widerstände, ist selten geworden.

Wir leben in einer Gesellschaft, in der eben der Karriere, die Koch als sekundär sah, alles geopfert wird, Familie, Kinder, Gesinnung.

Ja, es geht uns gut, doch haben wir nicht ein wenig unsere Seele an die allgegenwärtige Spass- und Konsumgesellschaft verkauft?

 

Eindeutige Stellungnahmen gerade von uns als Korporierte gegen rechte Verquastheit, aber für Demokratie und für Europa als eine demokratisch strukturierte Gemeinschaft unter behutsamer Integration nationaler Traditionen, diese Zeichen fehlen leider, gerade innerhalb der Positionen der Burschenschaften.

Harald Koch hat sich immer verantwortlich gezeigt für das Nazi-Unrecht und schreibt 1965:

„Selbst wenn man sich darauf berufen mag, dass jeder Widerstand, ja schon jedes unbedachte Wort sinnloser Selbstmord gewesen wäre, so wird man doch bis an sein Lebensende das Wissen nicht verdrängen können, dass man ein verantwortlicher Mensch war, als die Nazis Millionen Menschen umbrachten und aus dem ganzen großen und schönen Europa ein einziges Zuchthaus und ein unübersehbares Leichenfeld machten!“

 

Harald Koch, der sich eingebunden fühlte in die Reihenfolge der Generationen,  könnte daher für eine solche Haltung ein lohnendes Beispiel sein, an das wir uns alle mit großem Nutzen erinnern sollten.

 

 

verfasste in Bous und Dortmund, im September 2013 von
Dr. Günter Hennersdorf,  Jürgen E. Koch (Alemannia Freiburg)

 

 

Literatur:

  1. Harald Koch, Gesetz und Recht Verlag Hamburg 1947:
    Sozialisierung – ein Weg zur Verwirklichung
    1. Harald Koch, Jahrbuch des Zentralverbandes deutscher Konsum-genossenschaften, Hamburg 1947
    2. Harald Koch, Gut und Recht Verlag Hamburg 1947
      Rechtform der Sozialisierung unter besonderer Berücksichigung in Hessen
    3. Harald Koch, Vortrag 1966 DGB (Landsbesitz NRW):
      Wirtschafts- und gesellschaftspolitische Erfahrungen mit der Mitbestimmung
    4. Hrald Koch, Festrede zum 112. Stiftungsfest der Burschenschaft Alemannis Freiburg 1972
    5. Harald Koch, Schriftenreihe der hessischen Landesregierung, Wiesbaden 1976
      30 Jahre Hessische Verfassung
    6. Harald Koch, Dortmunder Vorträge Heft 133, Dormund 1978
      Von der Weimarer Verfassung zur Hitlerdiktatur
    7. Bernd Schüngel, Lebensbilder aus 150 Jahren, Schriftenreihe der Freiburger Burschenschaft Alemannia 2010
      Harald Koch
    8. Wikipedia: Harald Koch (SPD)