Ulrich Karl Paul Rauscher (1884-1930)

Ulrich Karl Paul Rauscher

geb. am  26. Juni 1884 in Stuttgart, gest. am  18. Dezember 1930 in St. Blasien

Corps Suevia Heidelberg im KSCV

Pressechef der Reichsregierung 1919

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RauscherUlrich Rauscher war einer der führenden Politiker der frühen Weimarer Republik.

Früher Werdegang

Der einem gehobenen bürgerlichen Elternhaus entstammende Rauscher studierte Jura in Heidelberg. Hier trat er 1906 dem Corps Suevia bei. Nach Gastaufenthalten in München, Straßburg und Oxford schloss er 1908 mit dem juristischen Staatsexamen ab. Sein Referendariat brach er ab und  ließ sich in Straßburg nieder. Er genoss das Straßburger Kulturleben,  nebenbei übersetzte er französische Literatur und schrieb Kulturkritiken – u. a. fürs Feuilleton der liberalen „Frankfurter Zeitung“ (dem Vorläufer der FAZ) und Theodor Heuss‘ linksliberale Zeitschrift „März“.

Politische Prägung durch die „Zabern-Affäre“

In Straßburg wurde Rauscher 1913 Zeuge der „Zabern-Affäre“. Der preußische Offizier Günter Freiherr von Forstner hatte in der Kaserne in der elsässischen Stadt Zabern einige Rekruten abfällig als „Wackes“ bezeichnet – eine herabwürdigende Äußerung über einen elsässischen Taugenichts. Als die Äußerungen bekannt wurden (vermutlich hatten elsässische Rekruten die Begebenheit lokalen Journalisten gesteckt), kam es im Elsass zu Protesten gegen die Selbstherrlichkeit der preußischen Militärs.

Die Reichswehrführung weigerte sich, von Forstner zu versetzen, da dies bedeutet hätte, einen Fehler einzugestehen – dies war in ihren Augen nicht mit dem Ansehen der Armee vereinbar. Die Situation eskalierte, als das Militär eine Demonstration vor der Kaserne mit Waffengewalt auflöste und den Belagerungszustand über die Stadt verhängte. Hiermit war die zivile Verwaltung de facto entmachtet und die meisten Bürgerrechte außer Kraft gesetzt.

Bei vielen liberal gesinnten Bürger sowie der SPD herrschte Empörung über die Ereignisse im Elsass. Die von nun an reichsweit regelmäßig stattfindenden Demonstrationen konnten jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Einfluss der demokratischen Kräfte am Vorabend des Weltkrieges gering war. Selbst ein erneuter Fehltritt von Forstners – er hatte einen unbewaffneten, behinderten Demonstranten mit dem Säbel angegriffen – führte zu keiner Bestrafung durch die Militärbehörden. Es zeigte sich, dass die wahre Macht in Deutschland weiterhin beim Kaiser und seinen Militärs lag.

Wenn sie auch kein juristisches Nachspiel hatte, so fand die Affäre doch zumindest ihren Weg in die zeitgenössische Kultur – unter anderem taucht sie in veränderter Form im Heinrich Manns „Untertan“ auf. Rauscher selbst verfasste ein Gedicht hierzu:

Ob Euresgleichen auch zu Haufen

vor Bajonett und Säbelhieb –

Marsch, Marsch! Hopp, Hopp! – Spießruten laufen:

Ihr seid doch alle leutnantslieb!

Ihr fühlt nur unter Kolbenstößen

Euch wahrhaft wohl im Vaterland.

Verdammt, die sich derart entblößen,

nachdem sie selber sich entmannt!

Euch werde fernerhin in Gnaden

der Säbel übers Hirn gehaut!

Ihr seid des Deutschen Reichs Kastraten!

Hurrah, du Eisenbraut!

Erster Weltkrieg und frühe Weimarer Republik

1914 brach in Europa Krieg aus. Unter dem Eindruck der Bedrohung Deutschlands von außen entschloss sich Rauscher,  in den Dienst jenes Systems zu treten, das er im Frieden noch abgelehnt hatte (wie die Haltung der SPD im Reichstag zeigt, war er hier keine Ausnahme). Rauscher war hierbei unter anderem treibende Kraft des „Deutschen Nationalausschusses“, einer als zivil getarnten Propagandaorganisation der Reichsregierung, die Zweifel an den deutschen Kriegszielen – und den Siegesaussichten – unterbinden sollte. Diese Tätigkeit sollte ihm aus den Reihen der SPD noch vorgeworfen werden.

Nach dem verlorenen Krieg schloss sich Rauscher – vermutlich 1918 – der SPD an, in deren Entwicklung während der frühen Weimarer Republik er eine führende Rolle spielen sollte. Er diente hierbei zunächst als Pressechef der Reichsregierung. In dieser Funktion richtete er den ersten Presseempfang auf deutschem Boden aus, auf dem Journalisten erscheinen und Fragen an die Regierungsvertreter richten konnten. Zumindest in dieser Hinsicht war Deutschland nun also im Westen angekommen.

Rauscher große Stunde kam während des Kapp-Putsches 1920, als reaktionäre Kräfte – vor allem aus dem Militär, dem Adel und dem höheren Bürgertum -  die noch junge Republik mit militärischer Gewalt zu Fall bringen wollten. Da die Reichswehr – selbst eher ein Teil des Problems als der Lösung – sich weigerte, die Reichsregierung militärisch zu verteidigen, ersann Rauscher die Idee zum Generalstreik.  Er verfasste hierzu einen Aufruf an alle Werktätigen in Deutschland, die Arbeit so lange ruhen zu lassen, bis die Aufständischen zur Aufgabe gezwungen seien.

Unterzeichnet war der Aufruf von Reichspräsident, Kanzler und den sozialdemokratischen Ministern – es ist in der Geschichtsforschung hierbei umstritten, ob Rauscher sich hierbei die Mühe machte, vorher deren Zustimmung einzuholen oder ob er den Generalstreik im Alleingang ausrief. Da auch die Gewerkschaften sowie die KPD den Generalstreik unterstützten, brach der dilettantisch geplante Kapp-Putsch schon nach wenigen Tagen in sich zusammen. Die Republik war somit vorerst gerettet, wenngleich sie während ihres Bestehens nie wirklich zur Ruhe kommen sollte.

Späteres Wirken und Tod

Nach dieser Episode wurde es jedoch still um Ulrich Rauscher; es hat den Anschein, dass sein politischer Rückhalt gesunken war; dies könnte eventuell durch sein eigenmächtiges Handeln erklärt werden. Er trat 1920 eine Stelle als deutscher Gesandter in Georgien an. Als die Rote Armee Tiflis 1922 dem Sowjetreich hinzufügte, wirkte er dann in gleicher Funktion in Polen, wo er sich um die deutsche-polnische Aussöhnung verdient machte. Er hatte diese Stelle inne, bis er 1930 an einem Kehlkopfleiden verstarb.

 

Verf.: Jan Frick, Corps Vandalia-Teutonia Berlin (KSCV), Corps Cisaria München (WSC)

Literatur

Doß, Kurt: Zwischen Weimar und Warschau: Ulrich Rauscher als Gesandter in Polen. Eine politische Biographie, Düsseldorf 1984

Elz, Wolfgang: „Rauscher, Ulrich Karl Paul“, in: Neue Deutsche Biographie (NDB), Band 21, Berlin 2003, S. 211f.

Grupp, Peter: „Ulrich Rauscher“, in: Biographisches Lexikon der Weimarer Republik, München 1988, S. 264f.

Kösener Corpslisten, 1906

Mommsen, Wolfgang J.: Max Weber und die deutsche Politik 1890-1920, 3. Aufl. Tübingen 2004

Rauscher, Ulrich: Den braven Bürgern, in: Die Schaubühne, 15. Januar 1914

Winkler, Heinrich August: Weimar 1918 - 1933. Die Geschichte der ersten deutschen Demokratie, München 1993