Corpsstudent Wilhelm Liebknecht (1826-1900)

geb. am 29. März 1826 in Gießen, gest. am 7. August 1900 in Charlottenburg (heute Berlin-Charlottenburg), Corps Rhenania Gießen, Corps Hasso-Nassovia Marburg im KSCV

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Wilhelm Liebknecht stellt als Mitgründer der SDAP und langjähriger Chefredakteur des „Vorwärts“ eine der bedeutendsten historischen Figuren der Sozialdemokratie dar, gleich neben August Bebel und dem früh verstorbenen Ferdinand Lassalle.

Heute ist Liebknechts Name selbst unter Sozialdemokraten weniger geläufig; meist denkt man eher an seinen Sohn Karl, wenn der Name „Liebknecht“ fällt. Zum Zeitpunkt seines Todes war er jedoch eins der bekanntesten Gesichter der Sozialdemokratie.  Stickereien seines Konterfeis oder seiner Zitate hingen in vielen Arbeiterhaushalten, und als er im Jahr 1900 starb, folgte seinem Sarg ein Trauerzug von mehr als 7 km Länge. Mehr als 300.000 Menschen erwiesen dem Verstorbenen die letzte Ehre. Dies unterstreicht das Ansehen und die Popularität, die Liebknecht zu Lebzeiten genoss.

Werdegang

Wilhelm Liebknecht

Der einem eingesessenen Gießener Beamtengeschlecht entsprossene Liebknecht kam während des Studiums in Gießen mit frühsozialistischen und radikaldemokratischen Ideen in Kontakt. Diese bestärkten ihn darin, als Revolutionär an der liberalen „Märzrevolution“ von 1848/49 teilzunehmen, Als Leutnant im Mannheimer Arbeiterbataillon setzte er sich für eine Durchsetzung der neuen, demokratisch geprägten Reichsverfassung und entsprechende Reformen in den deutschen Teilstaaten ein. Nach der Niederschlagung des Aufstands emigrierte er nach Genf, wo er jedoch mit seinen Versuchen, den Schweizer Arbeitervereinen ein sozialistisches Programm aufzunötigen, Schiffbruch erlitt. Nach seiner Ausweisung lernte er in seinem neuen Exil im London Karl Marx und Friedrich Engels kennen, die sein politisches Denken nachhaltig beeinflussten.

Nach seiner Rückkehr nach Preußen wurde Wilhelm Liebknecht Mitglied in Ferdinand Lassalles Allgemeinem deutschen Arbeiterverein. Er übernahm die Redaktion des Zentralorgans „Der Socialdemokrat“, überwarf sich dann jedoch mit Lassalle wegen dessen propreußischer Ansichten und gründete 1869 zusammen mit August Bebel in Eisenach die marxistisch und großdeutsch geprägte Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP). Die spätere deutsche Sozialdemokratie war hiermit in zwei Lager gespalten, die „Lassalleaner“ und die „Eisenacher“, die sich – trotz gemeinsamer Ziele – in den folgenden Jahren einen publizistischen Kleinkrieg lieferten und gegenseitig mit Schmähungen überzogen.

Nach der Reichsgründung und unter dem Eindruck zunehmender Verfolgung wurde ein Ausgleich zwischen den Lagern möglich. Nicht zuletzt war dies auch durch die Einsicht bedingt, dass ein Schisma innerhalb der Arbeiterbewegung diese gegenüber dem repressiv auftreten Staat nur schwächen würde. So kam es 1875 zu Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei SAP. Das neue Parteiprogramm war von zahlreichen Kompromissen, meist theoretischer Natur, geprägt. Dies trug Liebknecht den Zorn seines Mentors Karl Marx ein, dem die Forderungen nicht weit genug gingen. Die Kritik stieß jedoch weitgehend auf taube Ohren (was Marx und Engels nur noch mehr erzürnte).

Vorsitzender der neuen Partei war August Bebel; Liebknecht zog es vor, von 1867 bis zu seinem Tode (mit einer Unterbrechung 1871-74) die SAP und später die SPD im Reichstag als einfacher Abgeordneter zu vertreten. Er begründete zudem 1876 die Parteizeitung „Vorwärts“ und fungierte von 1878 an als Chefredakteur.

Politische Einstellungen

Liebknecht war zeit seines Lebens großdeutsch eingestellt. Er hasste alle Staatsgebilde, die er als obrigkeitsstaatlich empfand – besonders Preußen bekämpfte er mit fast religiösem Fanatismus. Noch nicht einmal der Norddeutsche  Bund, in dessen Reichstag er als Abgeordneter saß, fand Gnade in seinen Augen; sein Mandat diente ihm eher als Agitationsplattform denn als Möglichkeit der legislativen Mitwirkung.

Obwohl Liebknecht oft marxistische Positionen vertrat, machten es seine demokratischen Überzeugungen unmöglich, sich mit zentralen Elementen der Marx’schen Schriften gemein zu machen. So lehnte er sowohl den revolutionären Umsturz als auch die Diktatur des Proletariats ab. Ihm schwebte eher ein „Volksstaat“ ohne irgendwelche bevorrechtigten Klassen vor; auch den Einsatz von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele lehnte er ab. Dies trug ihm die Antipathie von Marx ein, der ihn in einem Brief an Engels „das Vieh“ nannte, das von „revolutionärer Politik keine Ahnung“ habe.

Liebknecht und die Bildung

Als Sprössling einer Bürgerfamilie war Wilhelm Liebknecht das vergönnt, was breiten Bevölkerungsteilen erst Jahrzehnte später zuteilwerden sollte: eine höhere Bildung. Sein Studium – evangelische Theologie, Philologie und Philosophie – begann er in seiner Heimatstadt Gießen, später folgten Episoden in Marburg und Berlin. 1846 wurde er Mitglied des Corps Rhenania Gießen, ein Jahr später auch des Corps Hasso-Nassovia Marburg. Er war zudem an der Gründung des Corps Rhenania Marburg beteiligt, welches jedoch nur ein Jahr Bestand hatte.

Bereits früh erkannte Liebknecht die Bedeutung der Bildung für die gesellschaftliche Partizipation. „Die Schule ist das mächtigste Mittel der Befreiung, und die Schule ist das mächtigste Mittel der Knechtung“ – so umschrieb er in seinem Werk Wissen ist Macht – Macht ist Wissen den Stellenwert, der in seinen Augen der Schule in einer Gesellschaft zukam. Seine Genossen pflegte er stets mit einem Zitat von Francis Bacon zu malträtieren: „Wissen ist Macht“. Seine Ansichten prägten nicht zuletzt die SPD erheblich und sollten in der Arbeiterbildung und dem allgemeinen Schulzugang ihren Ausdruck finden.

„Wir wollen den Frieden, Freiheit, Recht, dass Niemand sei des Andern Knecht, dass Arbeit aller Menschen Pflicht, und keinem es an Brod gebricht.” (Wilhelm Liebknecht)

 

Autor: Jan Frick, Corps Vandalia-Teutonia Berlin, Corps Cisaria München

 

Literatur:

Dowe, Dieter: „Agitieren, organisieren, studieren!“ Wilhelm Liebknecht und die frühe deutsche Sozialdemokratie. Vortrag anlässlich einer Gedenkveranstaltung der Stadt Gießen und des Oberhessischen Geschichtsvereins zum 100. Todestag Wilhelm Liebknechts (= Reihe Gesprächskreis Geschichte, H. 36), Bonn 2000

Eisner, Kurt: Wilhelm Liebknecht. Sein Leben und Wirken, 2. Aufl. Berlin 1906