Siebter Brief

Hallo, Axel Bernd,

ich glaube, dass es für die Berufsaussichten eines Akademikers heutzutage wichtig ist, i Studium möglichst viel emotionale und psychologische Qualität aus der Interaktion von Frauen und Männern zu ziehen. Ich sehe also das anthropologisch-ethisches Argument für eine Sackgasse der Evolution an, und es greift für mich auch nicht, da es ein künstliches Konstrukt des zwanzigsten Jahrhunderts ist. Sicherlich gestaltet sich ein Zwang zur Öffnung für Frauen schwierig, aber vielleicht wird ein Wandel ja von innen heraus voranstreiten. Ein gemischter Bund bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass bei jedem Zusammensein Frauen dabei sind. Ich bin auch nicht mit allen Bundesbrüdern gern zu Vorträgen oder auf Partys. Also, Männer- und Frauencliquen gibt es auch in gemischten Bünden, außerhalb von Veranstaltungen besteht sehr wohl die Möglichkeit, „unter Seinesgleichen zu sein“. Die Mensur als „Rückzugsraum“ für Männer kann ja bestehen bleiben – aber nicht mehr als Pflicht. Selbst wenn Frauen keine Mensur fechten wollen, kann die Verbindung ihnen ein Äquivalent anbieten.

Ganz kurz zu Deiner Annahme, dass Verbindungen seit dem Zweiten Weltkrieg noch nicht einmal mehr Teil der Universität sind. Nun ja, vielleicht aus der Sicht des Juristen. Aber, die Universität ist zentraler Identitätsstifter, sie grenzt die möglichen Mitgliedskandidaten ein und wird in vielen Liedern gepriesen und als Schoß der Mutter verehrt. Die Korporationen werben Mitglieder mit dem Ruf der Universität und nutzen den Campus zur Rekrutierung des Nachwuchses. Fakt ist: Heutzutage braucht die Universität die Verbindungen nicht mehr. Vor hundert Jahren waren die Verbindungshäuser noch wichtig für die tägliche Essensversorgung und dienten vielmehr als Ort der Begegnung unter Studenten. Diese (ungleichgewichtige) Symbiose führt meiner Ansicht nach dazu, dass man schon über eine Einschränkung der Freiheit und über das Vorhandensein einer politischen Einmischung der Korporationen diskutieren kann. Der argumentative Dreiklang ist: Jede Universität erlaubt Frauen das Studium – die Universität wirbt neue Studierende an und fördert somit indirekt Verbindungen, die Immatrikulierte als Mitglieder anwerben – und erhebt daraus den Anspruch, dass keine Personengruppe der Immatrikulierten bei der Aufnahme in eine wie auch immer geartete Hochschulgruppe, also auch Verbindungen, zu benachteiligen ist.

Ich teile Deine Einschätzung, dass man den Einfluss von Verbindungen überschätzt. Es gibt kaum aktuelle und aussagekräftige empirische Untersuchungen oder Vergleiche unterschiedlicher Netzwerke. Auch die Elitenforscher veröffentlichen kaum Artikel oder Forschungsarbeiten. Aus meiner eigenen Erfahrung meines dachverbandsfreien Bundes kann ich nur sagen, dass bei Jobbewerbungen der Abschluss, die Noten und die bisherige Laufbahn im Vordergrund stehen. Eine Mitgliedschaft in der gleichen Verbindung ist heute ein nachgelagertes Kriterium. Ob der Alte Herr, der den Job vergibt, aufgrund seiner Männerbundprägung lieber mit Männern zusammenarbeitet, anstatt eine Frau einzustellen, vermag ich nicht zu beurteilen.

Du wünschst keinen „Einheitsbrei“ bei den Karrierenetzwerken. Willst Du also ein mächtiges Männernetzwerk und zahnlose Frauennetzwerke? Ferner hast Du Angst, dass alle gleich denken, fühlen und handeln. Diese Angst wird aber durch die SPD-Partei nicht bestätigt, oder? Vielleicht geht es vielen männlichen Verbindungsstudenten schlichtweg um Angst vor Veränderung. Aber ändert nicht auch eine Verbindung ihr Denken, Fühlen und Handeln alle paar Jahre? Mal gibt es eine sozial engagierte, mal eine vermehrt feiernde, mal eine politisch-debattierende, mal eine kleine eingeschworene, mal eine übergroße und sich intern bekämpfende Aktivitas. Mein Credo bleibt: Ein Lebensbund darf im Jahr 2016 nicht bei Geschlechtergrenzen halt machen, alles andere ist nicht zukunftsgewandt, nachhaltig und klug. Die Diskussionen über diesen notwendigen Wandel (in Deinen Worten: „Ausbesserungen am Fundament“) sind langwierig und schwierig und bedürfen großer Überzeugungskraft bei jung und alt – aber nur so ist Innovation und Fortschritt möglich.

Dieses eben skizzierte kritische Hinterfragen sollte Verbindungen und Dachverbände mehr beschäftigen. Das meinte ich vielleicht damit, was Dich zu der Frage motivierte, ob Verbindungen wieder politischer werden sollen. Verbindungen sollen sich wieder mehr als Teil der Gesellschaft sehen und sich nicht wie in der Biedermeierzeit ins Private zurückziehen. Wenn sie wieder mehr Teil der Gesellschaft sein wollen, dann müssen sie aber die Spielregeln des einundzwanzigsten Jahrhunderts anerkennen, und das bedeutet, sich gegenüber Frauen zu öffnen. Inwiefern Frauen überhaupt ein Interesse an Männerbünden haben, steht auf einem anderen Blatt. Ich glaube sogar, dass der Zulauf sich in Grenzen halten wird, weil Verbindungen als Karrierenetzwerk und für das Erlernen von „social skills“ nicht mehr die beste Adresse an der Uni sind.

 

Beste Grüße

Florian Z!