Vom AKSK zum Lassalle-Kreis

Vorbemerkung I: Vor dem Zweiten Weltkrieg

In der Frühzeit der Sozialdemokratie bestand kein Widerspruch zwischen Parteimitgliedschaft und Korporationszugehörigkeit. Ferdinand Lassalle, Wilhelm Eichhoff und Wilhelm Liebknecht seien als Beispiele genannt. Während bis zum Ende des Kaiserreiches Doppelmitgliedschaften nicht ungewöhnlich waren, veränderte sich mit dem Jahr 1918 die Ausrichtung vieler Verbindungen. Doppelmitgliedschaften wurden weniger, standen aber bis Anfang der 50er Jahre nie ernsthaft zur Debatte.

Erst mit dem Nationalismus und Antisemitismus, der im letzten Viertel des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts in weiten Teilen des deutschen Bürgertums verstärkt aufkam, entstand eine Kluft zwischen SPD und vielen Korporationen, die selbst ein Spiegelbild des deutschen Bürgertums waren. Insbesondere die Deutsche Burschenschaft wurde mit den auf dem Burschentag von 1920 gefassten "Eisenacher Beschlüssen" offen antisemitisch und ultranationalistisch, auch wenn sich zahlreiche Alte Herren vehement dagegen aussprachen. So schlossen sich annähernd 100 Alte Herren aus verschiedenen Bünden unter der Leitung des ersten deutschen Richters am Internationalen Gerichtshof, Prof. Dr. Hans Wehberg, zusammen und schalteten in Tageszeitungen ganzseitige Anzeigen, in denen sie sich gegen die Beschlüsse verwahrten. Auch wenn diese Aktion in Verbindungskreisen wenig bewirkte und das Anbiedern vieler Verbindungen an den Nationalsozialismus  letztendlich in den Untergang führte, ist die Symbolkraft dieser Tat unbestritten. Die Gleichschaltung der Studentenschaft erfasste das Verbindungswesen nicht als homogene Masse, das Spektrum reichte von vorauseilendem Gehorsam bis hin zu Verboten von Dachverbänden als staatsfeindlichen Organisationen in den späten 30ern. In den Verbindungen gab es durchaus in nennenswerter Anzahl Mitglieder, die nicht bereit waren, dem nationalen Ungeist zu folgen. Nicht wenige leisteten aktiv Widerstand und bezahlten dies mit ihrem Leben.

Vorbemerkung II: Erster Unvereinbarkeitsbeschluss

Nach der Wiederzulassung der Verbindungen in der jungen Bundesrepublik kamen erneut zahlreiche Doppelmitgliedschaften zu Stande. Beim SDS (Sozialistischer Deutscher Studentenbund), dem Studentenverband der SPD, stieß das auf Widerstand. Schon seit Beginn der 50er Jahre forderte der SDS einen Unvereinbarkeitsbeschluss, der auf dem Parteitag 1954 in Berlin auch zu Stande kam, jedoch nur für die im CDK (Convent Deutscher Korporationsverbände, vertritt Verbände aktiver Verbindungen, also ausschließlich Studenten) zusammengeschlossenen studentischen Verbände galt und nicht für die Altherrenverbände im CDA (Convent Deutscher Akademikerverbände, vertritt nur Zusammenschlüsse alter Herren, also ehemaliger Studenten). Warum hier eine Differenzierung vorgenommen wurde, bleibt unklar. Der Beschluss wurde allerdings nicht konsequent umgesetzt. Nach der Öffnung der SPD zur Volkspartei im Godesberger Programm 1959 entstanden Kontakte zwischen Korporationsverbänden und der SPD. Führende SPD-Genossen sprachen auf Veranstaltungen studentischer Korporationen, so beispielsweise Willy Brandt 1965 als Regierender Bürgermeister auf dem Burschentag im damaligen West-Berlin. Der Unvereinbarkeitsbeschluss von 1954 wurde 1967 wieder aufgehoben. In den späten 90er Jahren begannen sich wieder Jusos mit der angeblichen Unvereinbarkeit zu befassen, was bei den korporierten Genossinnen und Genossen zunehmend auf Unverständnis stieß, insbesondere da auch die Zahl der Damenverbindungen bzw. gemischten Verbindungen seit Ende der 70er wieder angestiegen war - auch wenn die Zahlen der 20er Jahre nicht erreicht wurden.

2004: Internetplattform dol2day

Ebenso wenig Verständnis brachte man in Verbindungskreisen dem sich anbahnenden Rechtsradikalismus im Dachverband Deutsche Burschenschaft entgegen, der sich dachverbandsintern durch immer mehr Anfeindungen liberaler Korporierter im Allgemeinen und liberaler Burschenschafter im Besonderen äußerte. Die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts unter der Regierung Schröder war und ist den Vertretern eines volkstumsbezogenen Staatsverständnisses ein Dorn im Auge, und ihren Frust ließen sie gerne und häufig an den bekannten sozialdemokratischen Genossen aus. Deshalb wurde erstmals eine organisierte Vernetzung der sozialdemokratischen Korporierten auf der damals größten politischen Internetplattform dol2day erwogen und 2004 umgesetzt. Das auf dol2day herrschende Diskussionsklima unter den Korporierten in den einschlägigen Gruppen stand unter dem Eindruck von Hetzumfragen wie beispielsweise „Wann erschießt endlich wieder ein deutscher Corpsstudent einen führenden Sozialdemokraten“ und ähnlichen Beiträgen. Dem wurde mit der Gründung des AKSK (Arbeitskreis sozialdemokratischer Korporierter) auf dieser Internetplattform entgegengewirkt. Die Gruppe diente zunächst vor allem dazu, in einem geschützten Raum Gegenstrategien gegen Rechtsausleger in der Verbindungsszene zu entwickeln und deren Umsetzung abzusprechen.

Bundesparteitag 2005 und Gründung des AKSK 2006

Im November 2005 erweiterte sich der Aufgabenbereich des AKSK, nachdem der Bundesparteitag der SPD in Karlsruhe einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die meisten Dachverbände gefasst hatte. Auch hier war, wie schon 1954, in der Antragsbegründung keine Differenzierung zwischen den unterschiedlichen Dachverbänden festzustellen. Der Parteivorstand hob diesen Beschluss im Januar 2006 auf und wandelte ihn im März 2006 in einen Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die Bünde der Burschenschaftlichen Gemeinschaft um, einer Untergruppe innerhalb des Dachverbands Deutsche Burschenschaft. Auch wenn dieser Beschluss in einem Einzelfall durch einen Gerichtsentscheid aufgehoben wurde, zeigte er doch Wirkung. Die Bereitschaft unter den korporierten Genossinnen und Genossen, sich zu einer Vorfeldorganisation der SPD zusammenzuschließen, stieg spürbar an. So wurde aus der virtuellen Plattform AKSK bei dol2day schnell der Nukleus einer realen Organisation. Eine von Björn Loeser vorgenommene bundesweite Untersuchung ergab als erste Bestandsaufnahme, dass etwa 2000 SPD-Mitglieder korporiert seien müssten. Basis dafür war eine Hochrechnung aus Daten, die von etwa 100 Bünden aus diversen Dachverbänden abgefragt worden waren. Die Rückmeldungen zeigten, dass viele Korporierte mit dem SPD-Parteibuch auch Mandatsträger waren,  Parteiämter innehatten oder sich auf andere Weise aktiv in der Partei engagierten.

Der Bekanntheitsgrad der in Gründung befindlichen Organisation stieg nach der Veröffentlichung des Gründungsaufrufes des AKSK auf der damals größten europäischen Korporationsplattform „Tradition mit Zukunft“ stark an. Schnell fand sich ein motivierter Kern von Gründungsmitgliedern zusammen, der parteiintern den Anfeindungen aus den Reihen der Jusos gegen korporierte Genossinnen und Genossen entgegensteuern wollte. Im Rahmen einer Gründungsversammlung in Bonn wurde im Juli 2006 ein Grundsatzpapier verfasst, das weitere Flächenwirkung entfaltete und für zunehmende Beitrittszahlen sorgte. Es folgten eine Homepage und erste regionale Treffen mit reger Vernetzung untereinander. Auch dadurch kam letztlich der Karlsruher Parteitagsantrag, der den Ausschluss aller Korporierten aus der SPD zum Ziel hatte, zu Fall, was zu Mutmaßungen des Juso-Bundesvorstandes über „Alte Herren, die im Hinterzimmer Parteitagsbeschlüsse aufhoben“, führte.

Die Zielsetzung des AKSK aber war von vornherein nicht auf bloßen Widerstand, sondern primär auf parteiinternen Ausgleich und Dialog ausgerichtet. Man bot den Skeptikern die Hand zur Versöhnung und war bereit, über Verbindungen zu informieren. So kam auch der erste Fragenkatalog über Verbindungen zu Stande, der über die Homepage abrufbar war.

Auf der Gründungsversammlung des AKSK am 22. Juli 2006 wurde Peter Gelbach (Burschenschaft Marchia Bonn) zum Sprecher des Arbeitskreises gewählt. Gerade seine Burschenschaft, zur damaligen Zeit noch Mitglied der Deutschen Burschenschaft, war in den 90er Jahren mit dem Hambacher Kreis einer der größten Gegner der Burschenschaftlichen Gemeinschaft.

2008: Umbenennung in Lassalle-Kreis

Weil dem AKSK als einer parteiunabhängigen Organisation nicht der Status einer sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft wie z.B. Jusos, AsF oder AfA zukommen konnte, war die Verwendung der Bezeichnung „sozialdemokratisch“ im Namen des Arbeitskreises nicht möglich. Der AKSK benannte sich deshalb 2008 zu Ehren Ferdinand Lassalles, eines der beiden Gründer der deutschen Sozialdemokratie, in „Lassalle-Kreis“ um. Ferdinand Lassalle war Mitglied der Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks. Der Versuch der Raczeks, diese Namensänderung unter Androhung rechtlicher Schritte zu verhindern, wurde ignoriert und blieb ohne Folgen.

Seit der Gründung des AKSK sind sozialdemokratische Genossinnen und Genossen, die gleichzeitig Angehörige studentischer Verbindungen sind, im gesamten Bundesgebiet und an vielen Universitäten und Hochschulen in verstärktem Maße organisiert. Der Lassalle-Kreis ist regional gut vernetzt und befördert sowohl einen regen Informationsaustausch untereinander als auch im öffentlichen Raum durch Vortragsveranstaltungen. Einmal im Jahr findet an wechselnden Hochschulorten die Mitgliederversammlung mit Gastvortrag, Workshop und der mittlerweile traditionellen Lassalle-Kneipe mit Arbeiter- und Studentenliedern zum Abschluss statt. Dann erklingen "O alte Burschenherrlichkeit" und die "Internationale" Seit' an Seit'. Zu Themen, die das Verbindungswesen betreffen, bietet der Lassalle-Kreis allen Ebenen innerhalb der SPD Gesprächs- und Diskussionsbereitschaft an.


Autoren: Peter Gelbach und Björn Loeser, Burschenschaft Marchia Bonn

Artikel ist erschienen in Rote Fahnen, bunte Bänder Korporierte Sozialdemokraten von Lassalle bis heute