Stehen Korporationen politisch rechts? Und wenn ja - wie weit?

Klischees und Vorurteile bestimmen die öffentliche Diskussion, wenn es um Korporationen geht. Besonders die Burschenschaften sehen sich seit langem ‑  eigentlich seit ihrem Wiedererstehen nach 1945 ‑ mit immer gleichen Vorwürfen links-orientierter Gruppierungen konfrontiert, die sich meist aus folgenden Schlagworten zusammensetzen:

1. Nationalismus als gebietsrevisionistische „völkische“ Haltung,

2. Rassismus im Sinne der Ausgrenzung (Abwertung) anderer Kulturen,

3. biologistisches Elitebewusstsein und Protektionismus,

4. Sexismus mit männerbündlerischer Frauenfeindlichkeit,

5. Traditionalismus als Ausdruck rückwärtsgewandten Brauchtums (Fechten).

Mit diesen immer wieder als –ismen vorgetragenen Vorwürfen werden zwar in erster Linie ideologische Vorurteile bedient, doch dringen diese schnell in die dafür aufnahmebereite Öffentlichkeit.

Eine „rechte“ Grundhaltung, eher diffus und nicht kritisch dokumentiert, soll gekennzeichnet werden, die gemeinhin als konservativ gilt, wobei „rechts“ als Begriff im politischen Raum kaum ausreichend definiert ist. Es wird zwar in “rechtsextrem” oder „rechtsradikal“ unterschieden, doch auch der „rechte Rand“ unserer Gesellschaft taucht immer wieder auf, in dem ja sogar politische Parteien zu „fischen“ versuchen.

Dennoch wird das Etikett „Rechtsradikalismus“ den Korporationen ohne Unterschied und nach Belieben angeheftet, meist mit dem Zusatz konservativ. Konservativ als „wertebewahrend“ zu definieren, sei aber an dieser Stelle erlaubt. Hier sei angemerkt, dass eine Werte bewahrende und damit wertkonservative Haltung bei gleichzeitiger Modernität das gemeinsame Merkmal des gesellschaftlichen Verständnisses fast aller Korporationen ist. „Politisch korrekt“ agierende Gruppen des “mainstreams” sowohl der Medien als auch politisch linker Gruppen vertreten eher eine „wertprogressive“ Haltung insbesondere gegenüber den Tabus unserer Gesellschaft, seien diese nun sozialer oder religiöser Natur.

Die Grundeinstellung der Korporationen ist es, die bei „linken“ Gruppen in einer grundsätzlichen Kritik steht; die pauschalen Vorwürfe, um die es hier geht, überschreiten jedoch das Maß der Kritik an einer „nur“ wertkonservativen Einstellung. Sie stammen in erster Linie aus dem ‑ nicht immer druckreifen – Duktus jener Gruppierungen an den Hochschulen und Universitäten, die sich „links” gerieren, darunter auch Jusos, aber eben auch von Medien, die sich progressiv geben, auch um ihre Quoten nicht zu gefährden. Die Begriffe sind vor allem plakativ und unreflektiert, da sie die komplexe Vielfalt der Korporationen, ihrer Verbände und Organisationen gar nicht abbilden.

Wir als Mitglieder des Lassalle- Kreises, in dem die bunte Vielfalt des deutschen Korporationslebens enthalten ist, müssen uns fragen, wie es zu diesen über die Jahrzehnte konstanten und pauschalen Angriffen kommt und wir als zugleich Korporierte und SPD-Mitglieder eigentlich als Wölfe im Schafpelz (oder umgekehrt?) gelten. Ist an den Vorwürfen irgendetwas konkret, wenn die politische Linke bei Burschenschaften einen Rechtsdrall zu erkennen meint und dies unreflektiert endlos repetiert, auf alle Korporationen überträgt und notwendigen Diskussionen aus dem Wege geht? Handelt es sich vielleicht um eine Spielart des „culture clashing“?

Will man die Wurzeln dieser intellektuellen Wirrnis und Trübsinnigkeit aufspüren, steht meist die Burschenschaft mit ihren historisch-politischen Traditionen im Zentrum. Sie ist das kollektive gesellschaftliche Feindbild linker Gruppen. Daher muss man, ob man will oder nicht, der Frage nachgehen, ob die Korporationen als Ganze oder in Teilen etwa doch rechtsradikale Anhaltspunkte aufweisen und damit Angriffsflächen liefern.

Der Autor ist überzeugtes Mitglied einer keinem Dachverband angehörenden Burschenschaft sowie langjähriges, ebenso überzeugtes SPD-Mitglied und erlaubt sich dazu folgende Stellungnahme:

Die Dachorganisationen der Burschenschaften sind derzeit die Deutsche Burschenschaft (DB), darin als Flügel die Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), und die Neue Deutsche Burschenschaft (NeueDB), die jede für sich sehr differenzierte politische Einstellungen vertreten. Ein dritter Dachverband, die Allgemeine Deutsche Burschenschaft (ADB), soll 2016 aus der „Initiative Burschenschaftliche Zukunft“ (IBZ) hervorgehen.

Der größte Dachverband, die DB, ist mit österreichischen Burschenschaften zusammengeschlossen. Aus beiden Verbänden gehören wiederum einige der BG an. Es sind besonders die BG-Bünde, die versuchen, die Burschenschaften zu dominieren, und leider auch in bundesdeutschen Burschenschaften zweifelhafte Freunde finden.

Die politische Ausrichtung der österreichischen Bünde und der BG ist es, die man am ehesten mit Nähe zum Rechtsradikalismus beschreiben kann, und da sie die DB dominieren, spiegelt letztere notwendigerweise ein ähnliches Bild wider.

Und noch etwas ist wichtig: Die Korporationen, von Ausnahmen abgesehen, sind meines Wissens bisher kaum öffentlich gegen den Rechtsradikalismus aufgetreten und haben sich vom Nazi-Reich und der Rolle der Korporationen darin selten öffentlich distanziert. Das ist ein nicht oft genug zu betonender Fehler, der von der Gegenseite, repräsentiert durch Medien und linke studentische Hochschulgruppen, ideologisch und agitatorisch ausgenutzt wird. Eine Anfrage des Autors bei der DB-Pressestelle zu einem Vorhaben dieser Art wurde bisher nicht beantwortet.

Sind die Vorwürfe also dem Grunde nach berechtigt?

An den Hochschulen sind diese Angriffe einerseits auf der studentischen Ebene lokalisiert: Es sind neben anderen sozialdemokratische Jugendorganisationen an den Universitäten, die sich in einem immer wieder überraschenden Defizit an Toleranz und Liberalität gefallen, das über den zugestandenen jugendlichen Eifer hinausgeht. Andererseits kommen aber in den letzten Jahren nun auch Medien ins Spiel, die besonders in ihren Feuilletons solche Themen aufgreifen. Das muss uns veranlassen, über die Berechtigung der Vorwürfe selbstkritisch nachzudenken.

Wie oben ausgeführt, stehen die Deutsche Burschenschaft und ihre Gliederungen wie die BG im Zentrum solcher Kritik nicht nur wegen ihres politischen Verhaltens im Kaiserreich und unter dem Naziregime. Obwohl sie sich von der liberalen Urburschenschaft von 1817 und den 48ern ableitet – dessen sollten sich die Kritiker immer wieder erinnern -, ist sie im späten 19. Jahrhundert zum Inbegriff des Untertanen (Heinrich Mann) geworden und hat sich während der Nazidiktatur nur zu willfährig angepasst. In den Jahren der bundesrepublikanischen Restauration nach 1945 hat sie kaum innere Reformen zugelassen. Noch heute dulden DB-Bünde nationalistische Politiker in ihren Reihen wie etwa die Burschenschaft Dresdensia-Rugia Gießen ein NPD-Mitglied. Noch heute werden in den Burschenschaftlichen Blättern, dem offiziellen Organ der DB, Loblieder auf den Normalbürger der Nazizeit gesungen, der angeblich von den Verbrechen nichts wusste ... Geschichtliche Aufarbeitung sieht anders aus.

Volkstumsbegriff:

Hier finden sich in der Tat weiterhin Reste unaufgeklärter und unaufgearbeiteter Radikalismen. Besonders die Burschenschaftliche Gemeinschaft (BG), die 1961 gegründet wurde und heute österreichisch dominiert wird, bekennt sich zum „volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff” – dem ius sanguinis ‑ und praktiziert dies durch den Zusammenschluss von deutschen und österreichischen Burschenschaften. Hier wurde in der Zeit bis heute nichts dazugelernt. Es wird dort offen Gebiets-Revisionismus artikuliert, der die Abtretung der „deutschen Ostgebiete“ als nicht freiwillig kritisiert. Das gilt in abgeschwächter Form auch für die DB, die in ihren Grundsätzen zwar für ein freies und selbstbestimmtes Recht auf Heimat eintritt, das manchen aber dazu dient, einer historisch überholten Raumpolitik das Wort zu reden.

Man muss, wie überhaupt öfter, „zwischen den Zeilen” lesen. So findet sich auf den Websites der Breslauer Burschenschaft der Raczeks Bonn (in den Jahren 2006/07 und 2010/11 BG-Vorsitzende) eine Vortragsliste. Von 35 Vorträgen befassen sich elf (31 Prozent) mit den Ostgebieten. Das ist ein deutlicher Hinweis auf eine revisionistische Haltung dieses Bundes.

In einem Beitrag der Saarbrücker Zeitung vom 3.3.2011 wird der dortigen Burschenschaft Ghibellinia „rechtsradikales Milieu” unterstellt und versucht, auch anderen Bünden diese Radikalität nachzuweisen. So lese man in den Burschenschaftlichen Blättern etwa Forderungen, die sog. „Vergangenheitsbewältigung zu beenden”, oder über eine „Einteilung in gute oder schlechte Nazis”. Da kann schon der Zorn aufkommen über soviel Stupidität und Geschichtsklitterung. Allerdings hat die Ghibellinia in einem Gegenartikel überzeugend dargelegt, dass für ihren Bund diese Vorwürfe nicht zutreffen. Da stehen die Medien dann im Vorwurf, nicht genau recherchiert zu haben.

Rassismus:

Die BG unter dem Vorsitz der Wiener Burschenschaft Olympia wendet sich gegen Pressereaktionen auf einen Vortrag zum Thema „Rasse, Evolution und Verhalten”, der offenbar einschlägige Vorurteile bediente. Der Vortrag selber ist leider nicht nachzulesen, muss aber zu Kritik Anlass gegeben haben. Ein weiterer Affront war der sog. Arier-Nachweis, nach dem nur solche Personen Mitglieder in Bünden der DB werden können, die seit mindestens zwei Generationen Deutsche gewesen sind. Dieser Antrag wurde inzwischen zwar zurückgenommen, steht aber als übler Rückfall in verabscheuungswürdigen Rassismus im Raum.

In dem oben genannten Artikel der Saarbrücker Zeitung wird beklagt, dass die antisemitische Vergangenheit mancher Bünde nicht aufgearbeitet sei. Dieser Vorwurf ist zum Teil berechtigt, denn viele Bünde waren schon im Kaiserreich judenfeindlich. Antisemitismus war dann im Nationalsozialismus staatstragend und daher bei den „gleichgeschalteten“ Bünden und Kameradschaften vorherrschend, selbst wenn viele persönlich das Ausscheiden ihrer jüdischen Bundesbrüder bedauerten. Man vermisst auch hier die eindeutige und notwendige Absage an den historischen Antisemitismus und eine aktuelle Aufarbeitung der Geschichte.

Elitebewusstsein, Protektionismus:

Bei den Wiener Burschenschaftern findet sich folgender Hinweis auf das Fechten: Es sei Selektionsritual ausschließlich charakterlich einwandfreier Persönlichkeiten; das kann als elitäre Gesinnung mit ausgrenzender Tendenz interpretiert und muss kritisch hinterfragt werden. Ich glaube aber nicht, dass wir als Burschenschafter heute noch elitär denken, höchstens im Sinne einer Abgrenzung von der modernen Massenuniversität, und das wäre kein eigentlicher Vorwurf. Den Vorwurf des Protektionismus aus den Reihen einer Partei dagegen kann man nur als heuchlerisch abtun, denn wo, wenn nicht in den Parteien, wird die Versorgung verdienter Mitglieder mit attraktiven Posten stärker zum Prinzip erhoben – Vetternwirtschaft als Stichwort?

Sexismus:

Der Vorwurf der Frauenfeindlichkeit wird meist am Prinzip des Männerbundes festgemacht. Der ist nun per definitionem männlich, und die Ausgrenzung von Frauen (wenn man das denn als Ausgrenzung bezeichnen will) bezieht sich ausschließlich auf die aktive Mitgliedschaft. Und dass die Partnerinnen der Bundesbrüder als durchaus gleichwertige Bundesschwestern bezeichnet werden, spricht für sich. Es gibt ja auch Damenverbindungen - betreiben die nun umgekehrt „Ausgrenzung“ gegenüber Männern? Man muss schon den Eindruck haben, dass ideologische Intoleranz eines falsch verstandenen Feminismus hier die Triebfeder der Argumentation ist.

Traditionalismus:

Die Burschenschaft ist traditionsbewusst und generationenbezogen. Junge Aktive und Alte Herren leben auf den Häusern einträchtig zusammen, und nur der Böswillige kann das als rechte Bedrohung der Gesellschaft bewerten. Vieles Gesagte ist auch mit solchen Traditionen zu erklären, und es ist mir nicht klar, warum das ein rechtskonservativer Vorwurf sein soll. Es gibt Traditionen der Historie und auch des Liedguts gerade auch in der SPD, die mit gutem Recht sehr gepflegt werden, und man erinnert sich an Lassalle nicht nur wegen seiner Mitgliedschaft in einer Burschenschaft, sondern auch wegen seiner Schlüsselrolle bei der Gründung der Ur-SPD.

In diesen Kontext gehört auch das studentische Fechten. Studentisches Fechten als Bewährungsritual wird zwar in der Öffentlichkeit immer auch im Kontext rechter Gesinnung gesehen. Es wird auch als harmlose reaktionäre Spinnerei (was es nicht ist!) verspottet. Die DB mit ihrem Festhalten an der Pflichtmensur setzt sich aber damit nur einem weiteren reaktionären Vorwurf aus und wäre gut beraten, darauf zu verzichten.

Selbst wenn viele Burschenschaften sich inzwischen um ein zwar traditionsbewusstes, aber doch modernes Erscheinungsbild bemühen, das den Klischees der zitierten Art absolut widerspricht, fehlt das dazu gehörige geeignete „Marketing“ nach dem Motto „Tue Gutes und rede darüber“!

Ich habe aber dennoch keinen Zweifel: Es gibt Reste rechtsradikalen Denkens bei manchen Burschenschaften, besonders bei denjenigen, die österreichischen Gruppierungen angehören. Hier ist durch gezielte Aufklärung und auch durch Abgrenzung Öffentlichkeitsarbeit nötig, die viel zu wenig geleistet wird.

Was folgt aus alldem?

1. Leider ist die Frage nach rechtem, ja rechtsradikalem Gedankengut wenigstens teilweise und in der Darstellung der letzten Jahre zu bejahen.

2. Manche Bünde in der DB und besonders der BG, die den österreichischen Burschenschaften nahe stehen, lassen den Schluss zu, dass hier berechtigte Zweifel an ihrer Vergangenheitsbewältigung und damit ihrer Rechtsstaatlichkeit bestehen. Der Dachverband DB hat diesen Vorwurf bis heute nicht entkräftet. Der Vorwurf, sie stünde sehr weit “rechts”, steht weiter unwidersprochen im Raum, und in der Öffentlichkeit wird das zur Verfestigung des Klischees der „rechtslastigen“ Burschenschaften allgemein und damit aller Verbindungen weiter genutzt werden.

3. Die nicht vollzogene Trennung des Dachverbandes von den rechtslastigen Bünden ist das eigentliche Problem. Andere Bünde dagegen, die nicht der DB angehören, wie die Freiburger Burschenschaft Alemannia und der NeueDB nahestehende Burschenschaften, bemühen sich um ein anderes, moderneres Erscheinungsbild, doch sie werden in der Öffentlichkeit – wie Verbindungen allgemein - kaum wahrgenommen.

4. Am ehesten ungeklärt ist die Rolle der Altherrenschaften, die sowohl finanziell als auch gesinnungsmäßig ihre aktiven Bünde oft mehr als ihnen nützt beeinflussen.

5. Verbindungen sind heute Randgruppen des studentischen Lebens. Und dennoch: Studentische Verbindungen könnten Anker sein in der so leistungsorientierten verschulten Massenuniversität, Ufer generalisierten Geistes in den Ozeanen der excellence clusters und ihres vermeintlichen Totalanspruchs. Das geht aber nur ohne den Ballast einer falsch interpretierten Geschichte.

Als Konsequenz der öffentlichen Diskussion ist in den letzten Jahren immerhin Bewegung in die Szene gekommen, denn es sind so viele Bünde aus der DB ausgetreten, dass dieser Verband nicht mehr den alleinigen Anspruch erheben kann, die burschenschaftliche Idee zu vertreten. Auch das sollte kommuniziert werden.

Immer wieder aber und auch heute noch muss man als kritischer Burschenschafter betonen, dass es allen Verbänden, besonders aber den Burschenschaften und ihren Altherrenschaften, zugute käme, wenn sie sich bei allen sich bietenden Gelegenheiten zu öffentlicher Kritik und zu Widerstand gegen Rechts aufraffen würden. Gerade heute gibt es genügend Anlässe, und neue rechtslastige Parteien tun das ihre. Eine öffentliche Stellungnahme wäre auch ein Gradmesser für Ehrlichkeit und Selbstvertrauen der studentischen Verbindungen. Sonst gelten die Korporationen weiter als rechts-lastig, was für einen Sozialdemokraten nicht akzeptabel wäre.


Günter Hennersdorf, B! Alemannia Freiburg

Artikel ist erschienen in Rote Fahnen, bunte Bänder Korporierte Sozialdemokraten von Lassalle bis heute