Norbert Kastner, ehem. OB in Coburg

„Die Studenten kommen!“

So heißt es für die Coburger, die sich im akademischen Verbindungswesen nicht so gut auskennen, alljährlich zu Pfingsten, wenn der Coburger Convent (CC) der Landsmannschaften und Turnerschaften an deutschen Hochschulen zum traditionellen Pfingstkongress einlädt und einige Tausend Aktive und Alte Herren in buntem Couleur die Stadt für fünf Tage in Besitz nehmen.

„Die Studenten kommen!“ hieß es auch für mich als Jugendlicher. Endlich war mal etwas los in der Stadt und an diesem Wochenende galt und gilt der, nennen wir es, „bierkonsumbasierte“ Ausnahmezustand. 

1978 in meiner Schülerverbindung Casimiriana aktiv geworden und im Februar desselben Jahres in die SPD eingetreten, hatte dies für mich einen weitaus differenzierteren Blick auf die alljährlichen Geschehnisse zu Pfingsten zur Folge.

Mit Überzeugung farbentragend, dem Lebensbundprinzip verbunden, mit studentischem Liedgut und dem Comment einer „Kneipe“ oder eines „Kommerses“ vertraut, war der Pfingstkongress des CC eine willkommene Abwechslung im Semesterverlauf, wäre da nicht die bis dato auch sogenannte „Mahnstunde“ des CC am Pfingstmontagabend  gewesen.

Nach dem Festkommers laufen die Teilnehmer in einem Fackelzug, mehr oder weniger im Rhythmus von schmissiger Marschmusik, auf den Marktplatz, wo nach Abspielen des „Großen Zapfenstreichs“ vom Rathausbalkon eine Rede zur Mahnung an die deutsche Einheit gehalten und im Anschluss im Fackelschein das „Lied der Deutschen“, beginnend mit der ersten Strophe, angestimmt wurde.

Aus tausenden von korporierten Kehlen „Deutschland, Deutschland über alles..“ Ich denke, dass es keiner besonderen Erklärung bedarf, um festzustellen, dass das für einen aufrechten (Sozial-) Demokraten, selbst farbentragend, ein nicht akzeptables, ja teils gespenstisches  Szenario war.

So gab es auch von Gruppierungen, die gemeinhin wohl unter dem Begriff „Linke“ zu subsumieren sind, eingeschlossen die Coburger Jungsozialisten, alljährlich Proteste und Demonstrationen gegen den CC, die sich in dem Slogan „CC raus“ zuspitzten.

Mit dem Beginn meines Jura-Studiums im WS 1979/1980 in Würzburg und meinem Entschluss, keiner studentischen Verbindung beizutreten, war der Pfingstkongress des CC für mich in weite Ferne gerückt.

Bis 1990 geschah, was wenige erwartet, und Verantwortliche des CC kritisch beäugten: Am 1.April 1990 wurde ich im Alter von 30 Jahren (quasi im besten JUSO-Alter) zum Oberbürgermeister meiner Heimatstadt gewählt.

Am Freitag, den 1. Juni 1990 hieß ich als Oberbürgermeister vom Balkon des Rathauses die Vertreter des CC erstmals  offiziell willkommen. Es folgten interessante Pfingsttage, an denen man sich gegenseitig „beschnupperte“.  Wohl auf beiden Seiten - mit dem Gesamteindruck „so schlimm ist es /er gar nicht“.

Zumindest so lange, bis ich mein Grußwort während des Festkommerses mit etwa folgenden Worten beendete:

„Meine Herren, ich bitte Sie um Verständnis, dass ich, solange die erste Strophe des Deutschlandliedes gesungen wird, nicht an der anschließenden Mahnstunde teilnehmen werde.“

Meine Gedanken zur anschließenden Reaktion der Kommersteilnehmer war: „So muss sich ein Schiedsrichter fühlen, wenn er von der Menge ausgepfiffen wird.“ Eine Erfahrung, die ich im Nachhinein nicht missen möchte, die mir aber zum Glück die restlichen 24 Jahre meiner Amtszeit erspart geblieben ist.

Doch nach dem offiziellen Ende des Kommerses, bevor sich der Fackelzug in Richtung Marktplatz in Bewegung setzte, geschah Erstaunliches.  Da kamen doch tatsächlich eine ganze Reihe älterer Herren in Couleur auf mich zu und gratulierten mir zu meinem Grußwort. Der Eine oder Andere gab sich als Sozialdemokrat zu erkennen, ja sogar ein „Grüner“, und Vertreter des CC, die meine „aufrechte Haltung“ wenigstens als „waffenstudentische Tugend“ schätzten.

Was ich an diesem Abend gelernt habe ist, dass es den Coburger Convent nicht gibt. Sicherlich steht der Coburger Convent als Verband nicht im Verdacht, sich politisch besonders "links" zu positionieren. Aber im Verband und in seinen Bünden finden sich Vertreter des demokratischen Parteienspektrums, auch aufrechte Sozialdemokraten.

Vor dem Hintergrund dieser Erkenntnis wurde in den Jahren meiner Amtszeit aus einer ehedem kritischen Distanz eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit freundschaftlichen Verbindungen. Dabei habe ich mich in den vergangenen Jahren an der einen oder anderen Stelle durchaus kritisch und ablehnend mit einzelnen Beiträgen im Rahmen des Pfingstkongresses auseinander gesetzt und dies auch öffentlich kundgetan.

Aus der „Mahnstunde“ wurde die heutige Feierstunde mit dem Absingen der Nationalhymne.  Das „Totengedenken“ am Ehrenmal des CC, das von dem einen oder anderen Redner der Vergangenheit als „Heldengedenken“ fehlinterpretiert wurde, findet heute im würdigen Rahmen eines ökumenischen Gottesdienstes statt.

Und als sehr wohltuend habe ich es empfunden, dass der Coburger Convent sich als erster akademischer Dachverband klar und deutlich von den rechtsextremen Umtrieben in den Reihen der Deutschen Burschenschaft distanziert hat.

Null-Toleranz verdient jedweder Extremismus, ob am rechten oder linken Rand des politischen Spektrums. 

Vor diesem Hintergrund trage ich mit Überzeugung mein schwarz-gold-grünes Band und bin mit tiefster Überzeugung Sozialdemokrat.

 

Norbert Kastner

 

Der Autor:

Nach dem Abitur am Gymnasium Casimirianum im Jahr 1979 studierte Kastner als Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung  Rechtswissenschaften an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg und an der Universität Lausanne. Danach arbeitete er als selbständiger Rechtsanwalt.

Als Mitglied der SPD wurde Kastner 1990 im Alter von 30 Jahren damals jüngster Oberbürgermeister der Bundesrepublik Deutschland. Nach Wiederwahlen in den Jahren 1996, 2002 und 2008 kündigte Kastner nach 24jähriger Amtszeit  am 25. November 2013  an, er werde bei der Oberbürgermeister-Wahl 2014 nicht erneut antreten.

Kastner ist heute wieder als selbständiger Rechtsanwalt in Coburg tätig.