Achter Brief

Lieber Florian,

ich denke, dass der Verweis auf anthropologisch-emotional unterschiedlich bestimmte Umwelten keineswegs eine Sackgasse darstellt. In der Pädagogik wird dieses Argument gerade wiederentdeckt, sei es in den Debatten um eine eigenständige Jungenpädagogik oder in der Frage nach den Chancen und Grenzen mono-, ko- oder biedukativer Erziehung. Da es nicht den einen Königsweg für alle gibt, plädiere ich auch hier für Vielfalt und Gelassenheit.

Geschlechterhomogene Interaktionszusammenhänge sind heute die Ausnahme, nicht die Regel – hier mache ich mir keine Sorgen, dass Akademiker zu wenig Erfahrungen im Umgang mit dem jeweils anderen Geschlecht sammeln, eher ist es doch wohl umgekehrt. Und Du deutest ja selbst an, dass die Mensur möglichweise als „Rückzugsraum für Männer“ bestehen bleibt (hier sehe ich eher das Problem, dass dann Verbindungen Mitglieder erster und zweiter Klasse haben – männliche, die fechten; weibliche, die nicht fechten – , was den Charakter eines Freundschaftsbundes deutlich in Frage stellt). Meine Bünde betrachten das Männlichkeitsprinzip als konstitutiv für ihre Tradition – das muss man nicht mögen, aber eine solche Traditionsbildung muss im gesellschaftlichen Bereich weiterhin möglich bleiben, wenn sich diese Gesellschaft als freiheitlich bezeichnen will.

Ich sehe in der genannten Frage weder politisch noch innerkorporativ Handlungsbedarf. Für mich sind meine Bünde, deren Bänder ich trage, nicht in erster Linie ein Karrierenetzwerk, sondern ein lebenslanger Freundschaftsbund. Und ich lasse mir weder vom Staat noch irgendeiner Partei hereinreden, mit wem ich einen solchen Freundschaftsbund eingehe. Das ist eine freiwillige, persönliche Entscheidung, die nicht durch andere politische Erwägungen überlagert werden darf – dann ist die Idee des Freundschaftsbundes zerstört, die Korporationsgegner hätten gewonnen.

Wenn rein männliche oder rein weibliche Freundschaftsbünde attraktiv sind, werden sie die Zeit überdauern; sind sie es nicht, muss ich das akzeptieren – ich werde mich aber gegen alle politischen Versuche stellen, hier Druck aufzubauen, der Männerbünden das Überleben schwermacht, und zwar um der Freiheit willen. Was wäre das für eine vermeintlich plurale und liberale Gesellschaft, in der unterschiedliche Freundschaftsbünde keinen Bestand mehr haben sollten!? In einer freiheitlichen Gesellschaft wird es keine Massenorganisationen geben, die einander mehr oder weniger gleichen, sondern eine Vielzahl an Vereinigungen, die sich in Größe, Tradition, Intensität, Ausrichtung und so weiter mitunter sehr deutlich unterscheiden – und das ist gut so. Hier vermeintlich eine historische oder politische Gerechtigkeit durchsetzen zu wollen, wäre nur um den Preis der Freiheit (und neuer Ungerechtigkeiten) möglich. Und dieser Preis ist mir zu hoch.

Wer sagt denn, dass Männernetzwerke von vornherein übermächtig und Frauennetzwerke von vornherein zahnlos sind!? Es gibt inzwischen Bereiche, in denen Karriereförderung von Frauen sehr viel effektiver geschieht – zulasten der Männer.

Ob Verbindungen auf Dauer Zukunft haben oder nicht, wird sich meines Erachtens nicht an der Geschlechterfrage entscheiden, weder hängt daran die Attraktivität des einzelnen Bundes noch das politische Überleben. Woran wir vielmehr arbeiten müssen, ist an der akademischen Kultur in unseren Verbindungen. Die Zukunft wird sich daran entscheiden, ob Verbindungen in der Lage sind, die besten Köpfe anzuziehen (was sich nicht immer an den Noten festmachen lässt), die geistig vital sind, eine akademische Kultur lebendig erhalten und ihrer akademischen Verantwortung gerecht werden. Nebenbei: Das gilt auch für Parteien – heute ist es keinesfalls mehr so sicher, dass es Parteien noch gelingt, die besten Köpfe anzuziehen, die dann auch für öffentliche Ämter und Mandate kandidieren.

Warum sollte nur ein Modell, das gemischter Bünde, „zukunftsgewandt“ sein? Wir haben schon so viele gesellschaftliche Visionen und Ideologien kommen und gehen sehen, die mit Vehemenz verteidigt wurden – und dann längst nicht das gehalten haben, was sie versprachen. In der Nähe von Bamberg gibt es ein Dorf, das seine alte Dorfkirche hat abreißen lassen – in der Grundsteinurkunde steht als Begründung, dass der Mensch des Atomzeitalters, mit dem sich alles verändere, auch neue Kirchengebäude brauche. War das „zukunftsgewandt“? In den vergangenen Sechzigerjahren, als man diese Urkunde geschrieben hat, ganz sicher. Und heute? Zum Glück haben nicht alle Dörfer ihre alte Baukultur damals niedergerissen.

Denn zum Glück funktioniert die freiheitliche Gesellschaft nicht nur nach einer „Spielregel“ für alle. Das macht gerade ihre Stärke aus. Und in einer Gesellschaft, die sich plural, tolerant und liberal dünkt, sollten auch Männerbünde nach ihren Spielregeln mitspielen dürfen – neben anderen. Ansonsten hätten wir es nur mit einer Pseudoliberalität zu tun. Ich hoffe, der Lassalle-Kreis bleibt ein Zusammenschluss, in dem unterschiedliche Arten und Formen von Verbindung weiterhin gut zusammenarbeiten, auch im unterschiedlichen Umgang mit der Geschlechterfrage.

Mit herzlichen, solidarischen und farbenbrüderlichen Grüßen

Dein Axel Bernd Z! Z!