Mein Leben als korporierte Sozialdemokratin begann auf dem Landesparteitag in Singen am 14. Februar 2009. Zuvor war ich seit 17 Jahren korporiert und seit sieben Jahren in der SPD; zwei Entscheidungen, zwei Gruppen, zwei Lebensbereiche, die nichts miteinander zu tun hatten. Es gab keine Schnittmenge.
Es war das erste Mal, dass ich als Delegierte zu einem Landesparteitag fuhr. Kurze Zeit zuvor hatte ich zufällig einem Genossen gegenüber erwähnt, dass ich Mitglied einer Verbindung sei, und er wies mich auf einen Antrag der Jusos hin, bei dem es um die Unvereinbarkeit zwischen Burschenschaft und SPD–Mitgliedschaft ging. Von solcherlei Bestrebungen hatte ich zuvor noch nie gehört, aber mir war gleich klar, dass ich das nicht so im Raum stehenlassen würde. Als Parteitagsneuling habe ich mich dann schlau gemacht, ob und wie ich mich zu Wort melden könnte.
Auf dem Landesparteitag reichte ich meine Wortmeldung ein, wenn mir beim Anblick der Bühne auch etwas mulmig wurde. Aber ich war ja nicht umsonst mal Bundes-X des Schwarzburgbundes gewesen, wer wird denn da Angst vor großen Menschenmengen haben.
Je weiter nach hinten im Antragsbuch wir kamen, desto leerer wurde der Saal, doch ausgerechnet gleich nach dem Antrag zur Unvereinbarkeit wurde Frank-Walter Steinmeier erwartet, so dass es plötzlich wieder gerappelt voll wurde. Ich erklomm mit doch leicht zitternden Knien das Podium und sprach einige Minuten über die Vorzüge der Verbindungen, die Tatsache, dass es sehr verschiedene gibt und die „Marburger Erklärung“ von 1996, in der sich schon zu meinen Studentenzeiten Korporierte zu ihren Wurzeln in der Demokratie und Weltoffenheit bekannten.
So recht bekam ich selber gar nicht mit, was ich sagte, dafür war der Adrenalinspiegel viel zu hoch, zumal Steinmeier mittlerweile eingetroffen war und auf seinen Auftritt wartete. Der Unvereinbarkeitsantrag wurde zur Weiterberatung an den Bundesparteitag verwiesen, es gab jedoch eine beachtliche Zahl Nein-Stimmen. Und zwei Reaktionen, die mich sehr gefreut haben. Zum einen kam die Chefredakteurin des Kontra (der baden-württembergischen Juso-Zeitung) auf mich zu und erklärte, sie hätte ja immer mal gehört, dass es auch andere Menschen in Korporationen gäbe als die in der Presse immer gezeigten, aber noch nie jemanden gesehen. Sie war sehr offen und interessiert, was später dann zu einem Interview im Kontra mit dem Vorsitzenden des Lassalle-Kreises führte, wofür sie leider von Seiten der Jusos viel Kritik einstecken musste.
Des Weiteren kamen zwei junge Herren auf mich zu, die beim Anblick einer Frau, die zu diesem Thema Stellung beziehen wollte, das Schlimmste befürchtet hatten und dann wohl angenehm überrascht waren. Es waren zwei Tübinger Mitglieder des Lassalle-Kreises, eines Zusammenschlusses korporierter Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, von dem ich zuvor noch nie etwas gehört hatte. Die beiden meinten, ich müsse unbedingt bei ihnen aktiv werden, und sie hatten recht.
Wenn man als Frau erwähnt, man sei korporiert, trifft man in der Regel zunächst auf Unverständnis und dann meistens auf die Frage: warum? Eine recht einfache Antwort wäre: warum nicht? Oder natürlich: weil ich es kann. Aber das erklärt es vermutlich noch nicht hinlänglich.
Nun sind Frauen in Verbindungen durchaus kein neues Phänomen. Im Grunde gibt es sie, seit es Studentinnen gibt. Nicht so lange, wie Männer in Verbindungen, aber eben schon so lange, wie es möglich ist. Neuer noch ist die Existenz von gemischten Verbindungen.
Als ich 1992 in die Schwarzburg-Verbindung Ostfranken zu Hannover eintrat, war das in Hannover die einzige Möglichkeit für mich als Frau, als gleichberechtigtes Mitglied in einer Verbindung aktiv zu werden. Im Gegensatz zu vielen anderen bin ich nicht zunächst über die Wohnungssuche mit der Verbindung in Kontakt gekommen, sondern habe mich aus anderen Gründen für die Mitgliedschaft entschieden. Als Studentin der Tiermedizin hatte ich zu dem Zeitpunkt schon drei Semester ausschließlich mit anderen angehenden Tierärzten zu tun gehabt, da die Tierärztliche Hochschule eigenständig ist und weit ab der Universität liegt. Insofern hatte schon der Kontakt zu Studenten aus anderen Fachrichtungen seinen Reiz. Ferner fand ich das Lebensbundprinzip erstrebenswert, so dass auch nach Beendigung des Studiums noch etwas in Hannover blieb, zu dem man immer wieder zurückkommen kann. Die traditionellen Aspekte, mit gemeinsamem Singen und Feiern nach festgelegten Ritualen haben mir gut gefallen, sind aber sicher Geschmackssache. Unser Dachverband ist eher einer von den kleineren, und da wir zu meinen Studententagen nicht so viel Kontakt zu anderen Hannoveraner Bünden hatten, war der Kontakt zu anderen Verbindungen im Dachverband sehr eng, was zu reger Reiselust quer durch Deutschland führte.
Innerhalb der Verbindung herrscht ein sehr zwangloser Umgang der Generationen miteinander, wie man es sonst eigentlich nur innerhalb der Familie erlebt, ebenso wie eine Hilfsbereitschaft, auf die man sich in der Regel verlassen kann. Womit jetzt nicht die vielfach kritisierten karrierefördernden Seilschaften gemeint sind, die ich in meinem Dachverband nie gesehen habe. Aber man ist einfach füreinander da, unabhängig von persönlicher Sympathie oder Freundschaft.
Insofern gibt es auch für Frauen viele Gründe, sich einer Korporation anzuschließen, wenn man Spaß an diesen Dingen hat. Diejenigen, die mit Tradition und Ritualen nichts anfangen können, tun sich sicher schwer mit unserer Art. Ich erhoffe da auch gar kein Verständnis, so weit gehe ich gar nicht, alles was ich mir wünschen würde, ist Toleranz. Denn auch als Frau ist man leider gegen tätliche Angriffe linksradikaler Korporationsfeinde nicht geschützt. So wurde ich einmal nach einer Veranstaltung in Göttingen zu Boden geschlagen, weil ich mit Band ja automatisch einer frauenfeindlichen und intoleranten Gruppierung angehören musste. Damals war ich mit meinem ersten Sohn schwanger, zum Glück ist nichts Ernsteres passiert, aber so weit darf es nicht kommen.
Verfasserin: Dr. Birte Könnecke, SBV Ostfranken Hannover und Burschenschaft Vandalia auf dem Loretto zu Freiburg (beide Schwarzburgbund)
Artikel ist erschienen in Rote Fahnen, bunte Bänder Korporierte Sozialdemokraten von Lassalle bis heute