Am 11. April 1825 wird Ferdinand Lassalle in Breslau als Sohn des Kaufmanns Heimann Lassal und seiner Ehefrau Rosalie, geb. Heizfeld, geboren. Er wird in einen weitgehend jüdischen Familienkreis hineingeboren, seine Eltern tendieren allerdings eher zur freisinnigen Variante des Reform-Judentums. In Preußen war indes nie die Emanzipation der Juden verwirklicht worden, und mit fortschreitender Reaktion wurde das Rad – gerade in Schlesien durch die Provinziallandtage – eher in ständische Zeiten der vornapoleonischen Zeit zurückgedreht. So war den Juden nach wie vor der Weg zu staatlichen Ämtern verwehrt, getreu Bismarcks Wort: „Ich gönne ihnen auch alle Rechte, nur nicht das, in einem christlichen Staate ein obrigkeitliches Amt zu bekleiden.“[3] Die Liberalen im Lande hingegen sahen in den Juden Weggefährten zur allgemeinen Emanzipation des Bürgers im Freiheitskampf gegen feudalistische und restaurative Tendenzen. Denn wie Karl Marx, Bruno Bauer resümierend, schrieb: „Solange der Staat christlich und der Jude jüdisch ist, sind beide ebenso wenig fähig, die Emanzipation zu verleihen als zu empfangen.“[4] Ferdinand Lassalle kannte übrigens beides, den Stolz auf seine Zugehörigkeit zum Judentum wie auch den Hass auf sein Jüdischsein.
In den Jahren 1835 bis 1840 besucht Ferdinand Lassalle bis zur Sekunda das reformierte Magdalenen-Gymnasium in Breslau, und ab dem 1. Januar 1840 ist seine Entwicklung gut dokumentiert: Er führt Tagebuch[5] bis in das Frühjahr 1841. Vieles von dem, was später über ihn geurteilt wird, findet sich auch jetzt schon. Als Schüler bis zu seiner Relegation im Mai 1840 und danach während seines Besuchs der Oeffentlichen Handelslehranstalt zu Leipzig zieht sich die immer gleiche Beurteilung seiner Lehrer wie ein roter Faden durch seine Zeugnisse: er sei laut bis vorlaut, besserwisserisch und streitsüchtig, ein miserabler Schüler. Zusammenfassend: ein Schüler, der Lehrer offenbar als natürliche Feinde betrachtet, sie mit seiner Neigung zur Spitzfindigkeit bis Rabulistik zur Weißglut zu bringen vermag und dabei niemals eine Gelegenheit auslässt, sie mit seinen früh erkennbaren Gaben einer brillanten Intelligenz und Rhetorik vorzuführen.
Trotz seiner alles in allem problematischen Schulzeit in Leipzig, seines zerrütteten Verhältnisses zum Rektor und zu Ende seiner Leipziger Zeit mit Arrest im März/April 1841 kann Ferdinand Lassalle seinen Vater von seinem Wunsch, ein Studium aufzunehmen, überzeugen. Er beschreibt diese Szene wie folgt:
„ Er fragte mich, was ich studiren wollte. ‚Das größte umfassendste Studium der Welt‘, entgegnete ich, ‚das Studium, das am engsten mit den heiligsten Interessen der Menschheit verknüpft ist: das Studium der Geschichte‘. […] Mein Vater fragte mich, warum ich nicht Medicin oder Jura studiren wollte. ‚Der Arzt, wie der Advokat‘, entgegnete ich, ‚sind Kaufleute, die mit ihrem Wissen Handel treiben. Oft auch der Gelehrte.‘ Ich wollte studiren der Sache, des Wirkens wegen.“[6]
Im August 1841 kehrt Lassalle in ein politisch verändertes Breslau zurück, um als Externer am Matthias-Gymnasium sein Abitur abzulegen. Nachdem dies zunächst verweigert wurde, erkämpfte Lassalle sich aufgrund einer Eingabe an den Kultusminister Eichhorn die Zulassung zum mündlichen Abitur. Das Abiturzeugnis wurde ihm allerdings vom zuständigen Schulrat wegen Unreife verweigert. In einer erneuten Eingabe beim Ministerium unterlag er, letztendlich und in einem neuerlichen Versuch erhielt er zu Ostern 1843 das Reifezeugnis und somit die Zulassung zur Universität Breslau. Schon während seiner Vorbereitung auf das Abitur kommt Lassalle in Kontakt mit den Junghegelianern, liest Lorenz von Steins Geschichte des französischen Sozialismus und Kommunismus und verfolgt die breite Diskussion in der Schlesischen Zeitung über die sozialen Zustände seiner Heimatprovinz. Es folgen die Aufnahme seines Studiums in Geschichte und Philosophie im WS 1843/44 und der Eintritt in die Breslauer Burschenschaft der Raczeks, die zu dieser Zeit wegen ihrer radikalen Tendenzen von der Obrigkeit misstrauisch überwacht wurde. In den Kränzchen der Raczeks beschäftigte man sich mit den Thesen Feuerbachs und mit den Theoretikern des Sozialismus und Kommunismus wie Saint-Simon, Fourier und anderen. In diese Zeit fallen auch seine ersten Beiträge für das vom Kränzchen der Burschenschaft herausgegebene Journal für moderne Philosophie. Das Studium selbst rückt zugunsten seiner vielfältigen Interessen und Aktivitäten immer mehr in den Hintergrund, an die Stelle des Besuches eines Kollegiums tritt das Selbststudium. In Bezug auf seine eigene Entwicklung ist Lassalle eher ein Suchender, am Anfang steht die Verehrung Heinrich Heines als seines politisch-philosophischen und schriftstellerischen Vorbilds. 1843 erklärt er zudem seinen Beitritt zum jüdischen Reformverein, von dem er sich allerding rasch wieder abwendet. Damit einher geht auch die Hinwendung zu zwei neuen Objekten seiner Sinnsuche: Heraklit und Hegel. Insgesamt darf man über Lassalles Studentenjahre in Breslau und anschließend Berlin (bis etwa 1846) sich wohl mit einigem Recht an die in burschenschaftlichen Liedern oft besungene goldene Akademia erinnert fühlen. Ziel seiner Studien ist wohl zunächst eine akademische Laufbahn, so plant er, Heraklit zum Thema einer Dissertation zu machen. Tatsächlich wird er die geplante Dissertation niemals abschließen, aber mit seinem Buch Die Philosophie Herakleitos des Dunklen von Ephesos[7] 1858 den lange gehegten Wunsch verwirklichen, „sich bei den Theoretikern der Nation in einigen Respekt zu setzen.“[8] 1845 folgte ein Besuch in Paris (Dezember 1845 bis Januar 1846), u. a. kam es dort auch zu einem Treffen mit Heinrich Heine, der ihn dem Dichter Herwegh mit den Worten vorstellte: „Je vous présente un nouveau Mirabeau“[9] – ein Vergleich, der dem aufstrebenden jungen Philosophen und Redner sicher gefallen hat. Ein Ergebnis seines Aufenthaltes war die Französisierung seines Namens in das ihm wohlklingendere Lassalle. In Paris traf er auch einen Vertreter des Wahren Sozialismus, den in Trier gebürtigen Karl Grün, der Lassalle mit dem früh-sozialistischen Ökonomen und Anarchisten Proudhon bekannt machte (La propriété, c'est le vol[10]).
[3] Am 15. Juni 1847 im preußischen Landtag. Wortlaut der Bismarck-Rede in: Bleich, E., Der Erste Vereinigte Landtag in Berlin, T. 4. Reprint der Ausg. Berlin 1847, Vaduz 1977, S. 1783.
[4] Marx, K., Zur Judenfrage, in: MEW, Bd. 1, S. 348. Marx bezieht sich auf Bauer, B., Die Judenfrage, Braunschweig 1843.
[5] Ferdinand Lassalles Tagebuch, hrsg. und mit einer Einleitung versehen von Paul Lindau, Breslau 1891.
[6] Tagebuch, S. 256f.
[7] Die Philosophie Herakleitos des Dunklen von Ephesos, Berlin 1858.
[8] Zit. nach Oncken, H., Lassalle, Zwischen Marx und Bismarck, Stuttgart u.a. 1966, S. 108.
[9] Zit. nach Oncken, aaO., S. 63.
[10] Das Eigentum ist Diebstahl (deutsche Fassung: Proudhon, P.-J., Was ist das Eigentum? Erste Denkschrift. Untersuchungen über den Ursprung und die Grundlagen des Rechts und der Herrschaft. Aus d. Franz. zum ersten Male vollst. übers. u. mit e. Vorw. von Alfons Fedor Cohn, Berlin 1896, S. 1 und öfter.)