Debattenbeitrag: Der Männerbund – ein Auslaufmodell
Bleiben Studentenverbindungen ein Raum oder gar ein Rückzugsraum für Männer oder werden sich künftig mehr Männerbünde auch für Frauen öffnen? Diese Frage könnte existenziell für Verbindungen werden. Von einer immer breiteren Öffnung für alle Studierenden ist auszugehen – und das liegt nicht nur an sozialdemokratischen Forderungen.
Sozialdemokratische Perspektive
Als korporierter Sozialdemokrat sollte man bei der Betrachtung der Frage, ob Männerbünde heute noch zeitgemäß sind, auch die kritische Perspektive der SPD einnehmen. Diese Perspektive prüft, ob Verbindungen gegen die politischen Ziele der Partei verstoßen. Immer wieder werden von Jungsozialisten, Juso-Hochschulgruppen und anderen SPD-Gremien Vorwürfe gegen Korporationen vorgebracht: Verbindungen und ihre Mitglieder seien aus ihrer Sicht zumeist rechtsradikal, revisionistisch, rassistisch, homophob, antisemitisch, elitär, patriarchalisch und sexistisch. Die meisten Vorwürfe sind grobe Pauschalisierungen und schnell entkräftet, da sie nicht der Realität entsprechen und auch nicht durch Forschung nachgewiesen sind.
Männliche Strukturen in der Verbindungslandschaft
Über 80 Prozent der Verbindungen in Deutschland sind reine Männerbünde. In der Präambel der SPD steht das Ziel der gesellschaftlichen Gleichheit. Man findet durchaus Muster und Vorgehensweisen bei männlichen Studentenverbindungen, die eine gesellschaftliche Ungleichheit manifestieren oder gar verfestigen können. Beispielsweise ist der Zugang zu Praktika über ein gutes Altherrennetzwerk leichter. Renommierte Praktika können den Berufseinstieg erleichtern. Auch fällt das Studieren in der Regel leichter, wenn man nur 150 Euro für ein gutes Zimmer in zentraler Lage bezahlt, zudem noch eine Privatbücherei im Haus hat. Schon bei dem ersten Argument des erleichterten Berufseinstiegs lässt sich jedoch entgegen halten, dass auch die SPD mit ihrer Jugendorganisation ein veritables Karrierenetzwerk darstellt.
Die SPD hat es sich immer zum Ziel gemacht, mit ihrer Politik Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Gesellschaft zu verringern. Von daher müssen sich auch die Mitglieder des Lassalle-Kreises die Frage gefallen lassen, ob und wie Männerbünde zum sozialdemokratischen Ziel der gesellschaftlichen Gleichheit beitragen. Auf der Gegenseite sollten sich die innerparteilichen Kritiker des Verbindungswesens der Gegenfrage stellen, wie man Männerbünde auflösen kann, ohne den Charakter eine Volkspartei mit ihren vielen Strömungen zu verlieren. Schließlich wird auch keine Unvereinbarkeit mit dem katholischen Glauben gefordert, obgleich man als Kirchenmitglied den mächtigsten Männerbund der Welt fördert.
Mehr als ein Verein
Die innerparteiliche Diskussion einer möglichen oder angeblichen Unvereinbarkeit von Verbindungen und der SPD ist eng mit dem Dasein und Wirken der Männerbünde verknüpft. Ein immer wiederkehrendes Argument von Verbindungsstudenten zur Rechtfertigung ihres Männerbundes ist, dass die Frauen ja auch Damenverbindungen gründen können, womit der Gerechtigkeit genüge getan sei. Diese Argumentation hinkt. Zwischen heutigen Damen- und Herrenverbindungen bestehen große Unterschiede. Es ist nachvollziehbar, warum ein männlicher Erstsemester gerne einer 150jährigen Verbindung mit attraktivem Haus und vielen Alten Herren mit großem Netzwerk beitreten will und nicht einem jungen Bund, der sich in einem Wirtshaus trifft, da er kein eigenes Haus hat. Junge Studentinnen haben diese Wahlfreiheit nicht, was man als Sozialdemokrat durchaus als ungerecht bezeichnen kann. Sie müssen sich mit circa 15 Prozent der Verbindungen begnügen – oft sind es kleine und junge Verbindungen ohne lange Tradition, Renommee oder Netzwerke.
Das Gros der Studentenverbindungen verbietet die Mitgliedschaft von Frauen, ohne das sinnvoll zu begründen. Oft kommt die Floskel von den Männergesangsvereinen und der ASF, schließlich sind beide Vereinigungen auch geschlechtshomogen und dennoch von der Gesellschaft und der SPD akzeptiert. Beides ist nicht mit Korporationen vergleichbar. Eine Verbindung ist mehr als ein Verein. Verbindungen haben den Anspruch, eine gewichtige Rolle in der Gesellschaft anzustreben und sich eben nicht ins Private zurückzuziehen. Daher greift eine Rechtfertigung des Männerbunds allein wegen des Vereinsrechts aus SPD-politischer Sicht zu kurz. Die SPD hat stellt an sich selbst den Anspruch, gesellschaftliche Akteure nicht nur formal-juristisch und normativ zu beurteilen, sondern auch politisch.
Das gemischte Corps
Soll die SPD an Universitätsstädten für Studentinnen gleichen Zugang zu billigem Wohnraum und guten Karrierenetzwerken via Korporationen fordern? Soll das Teil der politischen Agenda der SPD sein oder ist es ein übertriebener Eingriff in das Vereinsrecht und das Recht auf freie Vergemeinschaftung? Die meisten Korporationen mit gutem Netzwerk wurden im 19. Jahrhundert gestiftet, zu einer Zeit, als es bei der Frauenfrage keine freiheitliche Gesellschaft gab (was SPD-Urväter wie Bebel sehr beschäftigte) und dieser Zustand gerade im akademischen Milieu zu Ungleichheit, zu Ungerechtigkeit führte. Es gab damals kein „oder“ bei Männer- oder Damenverbindungen. Noch heute zehren die meisten Bünde von diesem Startvorteil, schließlich folgten heutige Damenverbindungen erst in den 1980er Jahren, also ca. 100 bis 150 Jahre später. Da dieser Vorteil also aufgrund einer gesellschaftlichen Ungerechtigkeit entstand, ist eine SPD-Politik nachvollzierbar, die nun eine Korrektur oder Wiedergutmachung fordert. Die Forderung des Universitätszugangs für Frauen ist zutiefst sozialdemokratisch. Frauen müssen somit zumindest die Chance haben, jeder Verbindung beizutreten, der sie wollen. Ungleichheit im Geschlecht darf nicht automatisch die Freiheit einschränken.
Mehr Vielfalt und ein besseres Angebot entstehen, wenn anstatt 85 Prozent Männerbünde (wie 2016) eben nur noch 40 Prozent Männerbünde neben 45 Prozent gemischten Bünden bestehen. Erst bei gemischten Corps, gemischten schlagenden oder konfessionellen Bünden ist mehr Vielfalt, Innovation und Fortschritt möglich, als diese in der heutigen Korporationswelt vorhanden sind.
Gegenfrage: Haben Männerbünde überhaupt relevanten Einfluss?
Es würde sich eventuell schnell herausstellen, dass das Netzwerk der Korporationen oft klein und der elitäre Dünkel eher Fassade ist. Es gibt kaum aktuelle und aussagekräftige empirische Untersuchungen oder Vergleiche unterschiedlicher Netzwerke. Auch die Elitenforscher veröffentlichen kaum Forschungsarbeiten. Die Macht und der Einfluss von Verbindungen werden, auch innerhalb der SPD, sehr überschätzt. Mittlerweile gibt es bessere und professionellere Netzwerke. Viele Firmen arbeiten mit von Frauen geführten Human-Ressource-Abteilungen und computergestützten Analysen.
Des Weiteren ist der Einfluss der Männerbünde zudem zurückgegangen, weil es neue Netzwerke gibt: an der Uni selbst (Alumnivereine, andere Hochschulgruppen, Doktorandenseminare etc.). Die Universität ist vielfältiger geworden. Für eine SPD-Parteikarriere ist sicherlich ein Engagement in der Juso-Hochschulgruppe karriereoptimierender als die Mitgliedschaft in einer Studentenverbindung. Durch Online-Netzwerke wird man mehr mit Freunden und Kommilitonen vernetzt und schafft sich ein späteres Berufskontaktnetzwerk. Neben Männerbünden gibt es auch Frauennetzwerke, die den Einfluss der Männer zurückdrängen. Dazu gibt es gesetzliche Vorgaben, wie die Quotierung bei Führungspositionen, die Männer-Seilschaften zurückdrängen.
Für die Berufsaussichten eines Akademikers ist es heutzutage zudem wichtig, möglichst im Studium viel emotionales und psychologisches Wissen aus der Interaktion von Frauen und Männern zu ziehen. Geschlechtsheterogene Hierarchieverhältnisse sind wichtig für eine erfolgreiche Karriere im 21. Jahrhundert, gemischte Bünde bieten diesen Vorteil. Ein gemischter Bund bedeutet ja nicht zwangsläufig, dass bei jedem Zusammensein Frauen dabei sind. Die Mensur als „Rückzugsraum“ für Männer kann durchaus bestehen bleiben – aber nicht mehr als Pflicht. Selbst wenn Frauen keine Mensur fechten wollen, kann und muss die moderne Verbindung ihnen ein Äquivalent anbieten.
Männlichkeit ist kein Fundament
Das gemeinsame Fundament der Verbindung kann eine Religion oder eine fachliche Ausrichtung sein. Ob eine geschlechtshomogene Gruppe im Jahr 2016 noch ein solides und zukunftsfähiges Fundament sein kann, ist kritisch zu sehen. Der gesellschaftliche Trend, vielmehr der gesellschaftliche Konsens ist, dass die Geschlechterzugehörigkeit nicht mehr die Rolle und Entwicklungsmöglichkeiten eines Menschen bestimmt. Bei Männerbünden wird es auch Druck von innen geben. Es sind die Bundesbrüder selbst, die heute mit 20 Jahren schon fünf Jahre in Facebook mit Frauen netzwerken und an der Uni von immer mehr Frauen ausgebildet werden. Sie selber werden vielerorts die Alten Herren auffordern, den Männerbund zu überdenken.
Das konstitutive Element einer Studentenverbindung ist das Akademische und nicht das Maskuline. Bei der Gründung der Burschenschaften vor 200 Jahren waren alle Studierenden aufgerufen, sich der Bewegung anzuschließen. Warum rufen heute nicht alle Burschenschaften alle Immatrikulierten dazu auf, sie ihrer Bewegung anzuschließen? Wo ist der offene Geist der Urburschenschaft von 1815 geblieben? Warum sollen Geschlechtergrenzen bestehen bleiben, wenn man doch den Wegfall aller Grenzen forderte?
Alma Mater – die Verbindung im Schoß der Mutter
Die Universität ist zentraler Identitätsstifter der Korporation, sie grenzt die möglichen Mitgliedskandidaten ein und wird in vielen Liedern gepriesen und als gütige Mutter verehrt. Die Korporationen werben Mitglieder mit dem Ruf der Universität und nutzen den Campus zur Rekrutierung des Nachwuchses. Bis über die Mitte des letzten Jahrhunderts waren die Verbindungshäuser noch wichtig für die tägliche Essensversorgung und dienten viel mehr als Ort der Begegnung unter Studenten. Fakt ist heute: Die Verbindungen brauchen die Universität, heutzutage braucht die Universität die Verbindungen aber nicht mehr.
Die ungleichgewichtige Symbiose führt dazu, dass aus sozialdemokratischer Perspektive über die politische Einmischung in Korporationen diskutiert werden könnte. Der argumentative Dreiklang wäre hierbei: Jede Universität erlaubt Frauen das Studium. Die Universität wirbt neue Studierende an und fördert somit indirekt Verbindungen, die wiederum Immatrikulierte als Mitglieder anwerben. Die Universität erhebt daraus den Anspruch, dass keine Gruppen von Immatrikulierten bei der Aufnahme in eine wie auch immer geartete Hochschulgruppe, also eben auch Verbindungen, zu benachteiligen ist. Solange sich Verbindungen als Teil der Universität sehen, müssen sie sich auch deren Normen unterziehen. Das galt vor 500 Jahren, das galt vor 200 und 100 Jahren – warum heute nicht mehr?
Fazit: Auflösung oder Loslösung
Bis zum Jahr 2050 werden sich viele Männerbünde entscheiden müssen, ob sie Frauen den Zugang gewähren oder die Verbindung vertagen oder auflösen. Grund hierfür ist der unaufhaltsame gesellschaftliche Trend, Geschlechtergrenzen und -benachteiligungen aufzuheben. Den Männerbünden stünde es gut zu Gesicht, sich kooperativ und progressiv diesem Trend zu stellen und sich von patriarchalischen Denkmustern zu lösen. Eine Weigerung gegen das Unvermeidbare wird Männerbünde gesellschaftlich isolieren und politisch angreifbar machen. Es bleibt zu hoffen, dass Männerbünde im 21. Jahrhundert ankommen und ihr Fundament ohne Geschlechtsmerkmale definieren und dabei doch ganz bei sich bleiben, indem sie den Geist der Urverbindungen – nämlich offen für alle Studierende der Universität zu sein - mit Leben füllen.
Florian Boenigk, Akademische Verbindung Virtembergia zu Tübingen
Der Meinungsbeitrag ist erschienen in Rote Fahnen, bunte Bänder Korporierte Sozialdemokraten von Lassalle bis heute