Lassalle-Tagung 2008 in Göttingen
Korporationen und Sozialdemokratie - Zur Jahrestagung des Lassalle-Kreises 2008
Ein Bericht über die Lassalle-Tagung 2008 von Manfred Blänkner
Am 31. Mai traf der Bundesvorstand des Lassalle-Kreises (bisher: AKSK) in Göttingen zu seiner dritten Jahrestagung zusammen. Der Lassalle-Kreis ist ein Netzwerk von SPD-Mitgliedern, die gleichzeitig Aktive oder Alte Herren von Korporationsverbänden sind. Das Spektrum umfasst die gesamte Bandbreite des deutschen Korporationswesens. Mitglieder des Lassalle-Kreises finden sich im ganzen Bundesgebiet, seine Schwerpunkte sind z. Zt. Berlin, Bonn und Göttingen. Zur Jahrestagung waren auch die Göttinger Mitglieder und Interessenten des Lassalle-Kreises eingeladen.
Die Gründung des Lassalle-Kreises im Juni 2006 war eine Reaktion auf Bestrebungen insbesondere einiger Juso-Hochschulgruppen, die Mitgliedschaft in Korporationen für unvereinbar mit der Zugehörigkeit zur SPD zu erklären. Der Bundesparteitag der SPD im November 2005 in Karlsruhe hatte über einen entsprechenden Antrag des SPD-Unterbezirks Göttingen zu entscheiden. Der Antrag wurde u.a. mit den Worten begründet: „Wir brauchen keine Sexisten und Rassisten in der SPD.“ Richtig – aber welcher Sexist oder Rassist tritt wohl ausgerechnet der SPD bei? Außerdem: andere demokratische Parteien brauchen diese ebenso wenig! Hinter dem Antrag steckten die bekannten Vorurteile „linker“ Ideologen gegen die Korporationen in ihrer Gesamtheit. Als ob „die“ Korporationen ein Tummelplatz von Antidemokraten wären!
Natürlich darf antidemokratisches Verhalten von Korporationsverbänden im Kaiser¬reich sowie in der Weimarer Republik ebenso wenig verharmlost werden wie die Beziehungen einiger weniger heutiger Korporationen zu rechtradikalen Parteien und Organisationen. So ist der bereits Ende des 19. Jahrhunderts auftretende und in der Weimarer Republik zunehmende Chauvinismus und Antisemitismus nicht zu bestreiten. Er wird heute von den Korporationen selbst verurteilt und in den Verbandsorganen thematisiert. Ebenso wenig ist zu bestreiten, dass die Mehrzahl der korporierten Studenten dem Staat der Weimarer Republik skeptisch bis ablehnend gegenüberstand. Die Korporationen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik waren ein Spiegel des Bildungsbürgertums und insofern nicht besser, aber auch nicht schlechter als dessen Durchschnitt. Manche Korporationen verweisen in ihren Verlautbarungen auf das Verbot während der NS-Herrschaft Mitte der 30er Jahre. Dieser Hinweis ist jedoch wenig aussagekräftig: Das Verbot der Korporationen ist nicht auf deren Opposition gegen die Naziherrschaft zurückzuführen, sondern war Folge der NS-Gleichschaltungspolitik. Die Korporationen wandten sich zumeist lediglich gegen die Politik des NS-Studentenbundes und nicht gegen die NS-Weltanschauung, wenn auch einzelne Mitglieder von Korporationen schon früh gegen die Gewaltherrschaft der Nazis auftraten. Dies alles ist bei der Mehrzahl der heutigen Korporationen unbestritten. „Linke“ Kritik ist jedoch dann als unvollständig und als nicht auf dem aktuellen Stand der Diskussion befindlich zurückzuweisen, wenn sie sich lediglich auf die Vergangenheit der Korporationen bezieht und spätere ernsthafte Selbstkorrekturen außer acht lässt, bisweilen sogar bewusst nicht zur Kenntnis nimmt. Auch darf die fortschrittliche Rolle von Korporierten zu verschiedenen Zeiten der deutschen Geschichte nicht einfach unterschlagen werden, wie dies „linke“ Kritiker gern tun. Als Beispiele sind zu nennen der Kampf gegen die napoleonische Herrschaft, Wartburgfest 1817, Hambacher Fest 1832, Paulskirche 1848, die Teilnahme Korporierter am Kampf gegen die Naziherrschaft sowie an der Entwicklung der Bundesrepublik. Was den Vorwurf des Geschichtsrevisionismus und Revanchismus gegen „die“ Korporationen angeht: Die meisten studentischen Verbindungen und Altherrenverbände verlangen heute von ihren Mitgliedern ein klares Bekenntnis zur Rechts- und Staatsordnung der Bundesrepublik einschließlich der Ergebnisse der 2+4-Verhandlungen. Antidemokratische Stellungnahmen und Aktionen einiger weniger rechtsradikaler Korporationen, die z.B. über die Wiederherstellung der deutschen Grenzen von 1937 schwadronieren, beschädigen das Bild des Korporationswesens in der Öffentlichkeit. Sie werden von den studentischen und Altherrenverbänden verurteilt und dürfen nicht der Gesamtheit der Korporationen angelastet werden.
Seitens der akademischen Verbände gab es energischen Protest gegen den geplanten Unvereinbarkeitsbeschluss. Viele Kommentatoren fragten sich: Hat die SPD keine wichtigeren Probleme, als über die Mitgliedschaft korporierter Genossen zu diskutieren? Korporierte SPD-Mitglieder waren über die in dem Antrag formulierten Vorwürfe erbost, die nach ihrer Auffassung mit der Lebenswirklichkeit ihrer Verbände nichts zu tun hatten. Eine gründliche Recherche hätte die Antragsteller übrigens auf ein „Who is who“ korporierter Sozialdemokraten geführt, darunter Ferdinand Lassalle und Wilhelm Liebknecht, die Gründer der Arbeiterbewegung, der im KZ ermordete Rudolf Breitscheid, Karl Barth und Paul Tillich, zwei der bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts, die niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf und Eugen Diederichs, und Klaus Hänsch, der ehemalige Präsident des Europäischen Parlaments. Für sie alle wäre in der ältesten deutschen Partei, die sich stets als Vorkämpferin demokratischer Rechte betrachtet hat, kein Platz, wenn der SPD-Bundesvorstand dem Antrag stattgegeben hätte.
Der SPD-Bundesvorstand beauftragte im November 2005 eine Arbeitsgruppe mit der Prüfung des Antrags. Das Ergebnis dieser Prüfung war zunächst der Vorschlag, eine Unvereinbarkeit nur für die Mitgliedsbünde der Deutschen Burschenschaft (DB) festzustellen, was vom Bundesvorstand jedoch mehrheitlich abgelehnt wurde. Immerhin hatte Willy Brandt der Deutschen Burschenschaft 1965 zu ihrem 150. Geburtstag gratuliert und dabei deren Verdienste um den demokratischen Aufbau in Deutschland gewürdigt. Ende März 2006 kamen Präsidium und Vorstand der SPD schließlich zu dem Ergebnis, lediglich die Mitgliedschaft in denjenigen Burschenschaften, die der Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) angehören, für unvereinbar mit der Mitgliedschaft in der SPD zu erklären. So berechtigt die politische Kritik an der BG auch ist, wäre nach Auffassung des Verfassers eine Entscheidung auf Grund individueller Einzelfallprüfung doch die richtige Lösung gewesen. Eine gewisse Parallelität mit der Diskussion über die Unvereinbarkeitsbeschlüsse Anfang der 70er Jahre ist nicht zu übersehen: Damals galt die Mitgliedschaft in einer linksradikalen Organisation oder Partei als alleiniges Kriterium für den daraus folgenden automatischen Ausschluss aus dem Staatsdienst, was heute von der SPD als Irrweg betrachtet wird. Der aktuelle Beschluss des Bundesvorstandes reichte übrigens manchen Unterstützern des Antrags nicht, deren Intention vielmehr die Feststellung grundsätzlicher Unvereinbarkeit von Sozialdemokratie und Korporationswesen war, und führte zu lautstarken Protesten von Juso-Hochschulgruppen, bei denen die Entscheidung des SPD-Parteivorstands „auf völliges Unverständnis“ stieß. „Dass der Einfluss Alter Herren bis in den Parteivorstand reicht“, sei ein „Skandal“.
Göttingen war als Tagungsort auch deswegen ausgewählt worden, um Vertreter der örtlichen Parteigliederungen, aus deren Reihen der Antrag stammte, einzuladen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Dies gelang nur zum Teil, da der Termin des Treffens mit SPD-Veranstaltungen kollidierte, insbesondere mit dem Zukunftskongress der SPD in Nürnberg. Immerhin konnten wir eine wohltuend sachliche Diskussion mit einer Vertreterin der örtlichen Jusos führen. Anders als bei manchen anderen Anlässen war hier die ernsthafte Bereitschaft zu spüren, Informationen über das Leben der studentischen Verbindungen aus erster Hand zu erhalten. Mit Vertretern des Unterbezirks Göttingen wurde eine Diskussion zu einem späteren Zeitpunkt vereinbart.
Die Tagung des Lassalle-Kreises war übrigens auf bisher ungeklärte Weise auch in den Kreisen der sog. Antifa bekannt geworden. In einem Internetforum Göttinger „Autonomer“ wurde über das Thema „Sozis treffen Burschies“ diskutiert und die Frage gestellt, ob diese Tagung unbehelligt verlaufen dürfe. Zu Störungen kam es jedoch nicht, vielmehr überwog die Meinung, für „Sozis“ habe man zwar keinerlei Sympathien, aber immerhin handele es sich bei korporierten SPD-Mitgliedern ja nicht um Nazis.
Für die Zukunft hat sich der Lassalle-Kreis die Aufgabe gestellt, im Rahmen einer Scharnierfunktion zwischen SPD und Korporationen gegenseitige (leider gewachsene) Ressentiments abzubauen und dafür zu sorgen, dass keine Ausweitung der Unvereinbarkeitsbeschlüsse ohne Prüfung des Einzelfalles stattfindet.