Überlegungen zum Verhältnis von Parteien und Korporationen am Beispiel der SPD

Redner/Autor: Dr. Axel Bernd Kunze
Als Vortrag mit dem Arbeitstitel "Rote Fahnen, bunte Bänder" gehalten auf dem Studentenhistorikertagung 2018 in Bonn
Veröffentlichung geplant in: Sebastian Sigler (Hg.): Die Vorträge der 78. deutschen Studentenhistorikertagung. Bonn 2018 (Beiträge zur deutschen Studentengeschichte), München: Akademischer Verlag München vorauss. 2019.

 

Unvereinbar?

Korporierte Sozialdemokraten –

Überlegungen zum Verhältnis von Parteien und Korporationen am Beispiel der SPD

 

„Was kann ich in meiner SPD schon groß werden,

ich – ein Sozi mit drei Schmissen im Jesicht.“[1]

(Georg Diederichs 1953)

Das gesellschaftlich-politische Klima ist gegenwärtig für Studentenverbindungen keineswegs günstig. Es ist hier nicht der Ort, die Gründe dafür näher zu erörtern.[2] Das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und studentischen Korporationen ist besonders konfliktreich. Hiervon zeugt auch die Geschichte des 2006 gegründeten Lassalle-Kreises (bis 2008: Arbeitskreis sozialdemokratischer Korporierter, AKSK), der sich als Netzwerk korporierter Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) versteht; Voraussetzung für die Aufnahme ist die gleichzeitige Parteimitgliedschaft und die Zugehörigkeit zu einer Studenten- oder Schülerverbindung.[3] Anlass war ein Unvereinbarkeitsbeschluss des Karlsruher Bundesparteitages der SPD von 2005, der im Januar 2006 vom Parteivorstand aus juristischen Gründen aufgehoben und später in einen begrenzten Unvereinbarkeitsbeschluss gegen die Burschenschaftliche Gemeinschaft innerhalb der Deutschen Burschenschaft (DB) umgewandelt wurde.

Studentenverbindungen passen für viele Zeitgenossen nicht mehr zur spätmodernen Demokratie. Als gesellschaftliche Kräfte spielen Korporationen kaum noch eine Rolle – und sind damit für Parteien auch immer weniger interessant als gesellschaftlicher Resonanzraum für die eigenen politischen Ziele. Im Gegenteil: Das Verhältnis zwischen Parteien und studentischen Korporationen ist auch bei anderen politischen Schattierungen – neben der SPD – allzu oft belastet. Allzu schnell steht der Pauschalverdacht im Raum, letztere seien „irgendwie rechts“ – ein Verdacht, der keinen Raum für eine vorurteilsfreie Diskussion lässt. Hinzu kommt, dass politisches Engagement wie universitäres Studium heute oft so verdichtet sind, dass ein gleichzeitiges parteipolitisches wie couleurstudentisches Engagement kaum noch vereinbar ist. Die Rhythmen der Politik scheinen sich von anderen gesellschaftlichen Feldern immer mehr abzukoppeln.

Alles in allem kann gefragt werden: Was fangen Parteien noch mit Verbindungen an? Was mit ihren korporierten Mitgliedern? Sind Verbindungen eher lästig, weil durchweg „rechts“ oder zumindest „konservativ“ – was immer man unter solchen Zuschreibungen auch verstehen will?

Aber auch umgekehrt kann gefragt werden: Was fangen die studentischen Verbindungen noch mit den Parteien an?[4] Diese Frage stellt sich nicht zuletzt bei Burschenschaften – … wollen diese doch ihre Mitglieder zu politischem Denken und Handeln erziehen, wenn auch nicht im parteipolitischen Sinne. Wie viele Mitglieder in Studentenverbindungen haben noch ein Parteibuch? Wer von den eigenen Bundesbrüdern engagiert sich noch in einer Partei? Wie groß ist die parteipolitische Bandbreite in den einzelnen Bünden? … Die Bereitschaft zum Eintritt in eine Partei hat deutlich abgenommen.

Die Entwicklung in den Studentenverbindungen nimmt sich keinesfalls anders aus als in der übrigen Studentenschaft. Das gesellschaftliche Klima tut das Seinige dazu: Umgekehrt findet das Verbindungsleben vielfach hinter den Türen des eigenen Verbindungshauses statt. In nicht wenigen Universitätsstädten ist es nicht unbedingt ratsam, offen Farbe(n) zu bekennen.

Ein Blick in die Geschichte der deutschen Sozialdemokratie zeigt, dass sich Parteimitgliedschaft und Zugehörigkeit zu einer Korporation keineswegs ausschließen. Der Lassalle-Kreis hat es sich zur Aufgabe gemacht, Lebensbilder korporierter Sozialdemokraten zu sammeln: zunächst online, anlässlich seines zehnjährigen Bestehens in Form eines Sammelbandes mit dem sprechenden Titel „Rote Fahnen, bunte Bänder“[5].

Erhebt eine Partei, den Anspruch, als Volkspartei zu gelten, kann sie nicht allein ihr nahestehende Milieus „bedienen“, sondern muss schon von ihrem Selbstverständnis her an einer breiten gesellschaftlichen Verankerung interessiert sein. Hieran erinnert Erhard Eppler, Repräsentant des „linken Parteiflügels“ und Ehrenmitglied der SPD-Grundwertekommission, die „Arbeiterpartei“ SPD in seinem Vorwort zum genannten Sammelband des Lassalle-Kreises. Er betont, dass eine Volkspartei grundsätzlich nicht nach den Motiven derer fragt, die sich in ihr engagieren. Eppler zieht einen Vergleich: „So hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands immer auch adlige Mitglieder gehabt, sogar in ihren Führungsgremien: Georg von Vollmar oder Waldemar von Knoeringen. Der Landesverband Baden-Württemberg wurde lange geleitet von Alex Möller, dem Generaldirektor einer bedeutenden Versicherungsgesellschaft.“[6]

Der vorliegende Beitrag nimmt das Erscheinen des Bandes „Rote Fahnen, bunte Bänder“ zum Anlass, das Verhältnis zwischen Parteien und studentischen Korporationen am Beispiel der SPD näher zu beleuchten. Möglicherweise zeigen sich dabei – in bildungsethischer und bildungsgeschichtlicher Sicht – doch mehr Gemeinsamkeiten zwischen beiden Seiten, als auf den ersten Blick zu erwarten ist.

Der Beitrag gliedert sich in vier Teile: Zunächst wird geklärt, was unter Parteien zu verstehen ist und welche Aufgabe diese besitzen [Teil I]. Die Frage nach Auftrag und Funktion studentischer Korporationen wird im Kontext dieser Tagungsdokumentation vorausgesetzt. Im zweiten Teil wird auf Basis der vorangestellten These gefragt, was Studentenverbindungen und Parteien miteinander verbindet [Teil II]. Im dritten Teil geht es dann um die geschichtlichen Erfahrungen korporierter Sozialdemokraten [Teil III]. Zunächst wird das Buchprojekt des Lassalle-Kreises näher erläutert. Schließlich werden die Lebensbilder zweier korporierter Genossen exemplarisch vorgestellt. Dabei handelt es sich um zwei Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus aus den Reihen der SPD: den Justizreferendar Willy Aron, erstes Opfer, das der Nationalsozialismus in Bamberg forderte, sowie den Pädagogen und Kultuspolitiker Adolf Reichwein, Mitglied des Kreisauer Kreises.

 

Teil I: Politische Parteien

Der Begriff „Partei“ entwickelte sich im frühen Mittelalter – vorrangig als Rechtsbegriff – aus dem lateinischen „pars“, vornehmlich gebraucht im Sinne von Streit- oder Prozesspartei. Erinnert sei an den bereits in der Antike formulierten Rechtsgrundsatz: audiatur et altera pars. In dieser Wortherkunft klingen die beiden Bezugspunkte an, die im Parteienbegriff bis heute mitschwingen: Teil und Ganzheit. Parteiengeist wurde schon früh mit Spaltung, Zersplitterung, Uneinigkeit und Eigennutz in Verbindung gebracht. Die deutsche Parteiengeschichte kennt die beständige Kritik am zersplitterten Parteienstaat, aber auch das Gegenstück: eine quasireligiöse Überhöhung der Partei als „Mutter der Massen“[7]. Die Wurzeln der Parteienkritik reichen – so der Göttinger Parteienforscher Peter Lösche – weit zurück bis in die „konfessionellen, landsmannschaftlich-territorialen, ständischen, sozialen und wirtschaftlichen Spaltungen […] seit der Reformation des 16. Jahrhunderts“[8].

  1. 1.       Wie haben sich die Parteien historisch entwickelt?

In einem weiten Sinne politischer Gruppenbildung hat es bereits in der Vormoderne „Parteien“ gegeben, etwa rivalisierende Gruppen bei Hofe oder in Stadtrepubliken, Geheimgesellschaften, verwandtschaftliche oder konfessionelle Faktionen in Dörfern und Städten. Diese informellen Zusammenschlüsse spielten allerdings keine anerkannte Rolle bei der Besetzung politischer Ämter. Im konfessionellen Zeitalter entstand der Begriff der Religionspartei, der seit dem Westfälischen Frieden zur Bezeichnung der reichsrechtlich anerkannten Konfessionen verwendet wurde. Politische Parteien im heutigen Sinne sind ein Kind der modernen Demokratiebewegung und des Parlamentarismus. In Deutschland schlug ihre Geburtsstunde im Vorfeld der Märzrevolution von 1848. Bereits in dieser Zeit entwickelten sich die großen weltanschaulichen Strömungen, die bis heute im Parteiensystem erkennbar sind.[9]

Während der Zeit des Kaiserreiches bildete sich ab 1890 eine Parteiorganisation heraus, die auch zwischen den Wahlkämpfen und jenseits der Fraktionsarbeit ein kontinuierliches Parteileben garantierte. Vorreiterin auf dem Weg zur Mitgliederpartei war die Sozialdemokratie. Durch die eingeschränkte Macht des Reichstags blieb auch der Einfluss der Parteien beschnitten. Dies führte dazu, dass die deutschen Parteien weniger pragmatisch orientiert und weitaus stärker weltanschaulich geprägt waren, als dies in anderen Ländern der Fall war; Oswald von Nell-Breuning sprach daher von „politischen Kirchen“[10].

Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz räumt den Parteien erstmals in der deutschen Geschichte einen verfassungsmäßigen Rang ein und würdigt positiv ihre Rolle im Prozess der politischen Willensbildung. Rechtlich ausgestaltet wurde diese Rolle dann mit dem umfassenden Parteiengesetz von 1967. Parteien sind eine hybride Organisationsform des Dritten Sektors: Sie spielen eine intermediäre Rolle zwischen Gesellschaft und Staat. Es handelt sich um Zusammenschlüsse von Bürgern, die sich zur Erreichung gemeinsamer politischer Ziele zusammengeschlossen haben. Die Mitgliedschaft in ihnen ist freiwillig. Faktisch besitzen die Parteien in Deutschland ein Monopol bei der Aufstellung von Kandidaten für öffentliche Ämter und Mandate. Die wichtigste Schnittstelle zwischen der Legislative und den Parteien sind die Fraktionen, die zwar de jure Teil der Verfassungsorgane sind, de facto aber wichtige Zuarbeit für die Parteien übernehmen.

  1. 2.       Stecken die Parteien in der Krise?

Mindestens seit den Neunzigerjahren des zwanzigsten Jahrhunderts sind Auszehrungserscheinungen der Parteien nicht mehr zu übersehen. Die traditionellen Milieubindungen werden schwächer, die Zahl der Aktiven sinkt, und das mitunter recht deutliche Vereinsimage der örtlichen Parteigliederungen ist für jüngere politisch Interessierte kaum noch attraktiv. Parteiarbeit ist mühsam, verlangt Durchhaltevermögen, setzt auf lokale Verankerung sowie kommunalpolitisches Interesse und beansprucht ein hohes Maß an disponibler Zeit: Erwartungen, die der gestiegenen sozialen Mobilität, den vorherrschenden beruflichen Anforderungen sowie den Veränderungen im Werterepertoire der spätmodernen Gesellschaft immer weniger entsprechen.

Gerade die traditionellen Großorganisationen sind keineswegs Profiteure des sozialen Wandels. Die zahllosen Reform- und Strukturdebatten, die nicht allein in den Parteien geführt werden, machen dies deutlich.[11] Auch in Kirchen, Gewerkschaften oder Sozialverbänden wird über veränderte Arbeitsformen, eine zukunftsfähige Organisationsstruktur und Möglichkeiten der Mitgliederbindung diskutiert.

Schon 1989, aber wenig beachtet, hat der niederländische Soziologe Abram de Swaan auf eine Entwicklung in den westlichen Staaten hingewiesen, die sich der Bildungsexpansion der Nachkriegszeit verdanke und die politischen Beteiligungsmöglichkeiten erheblich verändert habe: Entstanden sei „eine Schicht von wissenschaftlichen Fachleuten und Staatsbeamten […], deren berufliches Fortkommen von kollektiven Einrichtungen abhing. […] Die Akademikergruppen knüpften nicht allein enge Bindungen zum Staatsapparat, sondern unterwarfen weite Teile der Bevölkerung ihrem ‚Regiment‘ – formten sie als Klientel“[12].

Die Debatte verlagere sich zugunsten der Herrschaft von Expertenregimes, die sich politischer Mitsprache entzögen: „Die Klientel der staatsbezogenen Experten ist also überwiegend ein virtueller Kreis geblieben, den Akademiker, Bürokraten und Politiker definieren.“ Die Forderungen der Betroffenen, wenn sie sich überhaupt in Parteien, Gewerkschaften oder Verbänden artikulieren, gehen in „einem Wust sonstiger Forderungen“[13] unter.

In radikaler Form wird die Kritik an einer hermetisch abgeschlossenen Parteiendemokratie, die keine echten Beteiligungsmöglichkeiten mehr bietet, vom postdemokratischen Diskurs aufgegriffen, der mit Beginn des neuen Jahrtausends entstanden ist. Einer seiner Vordenker, Colin Crouch, spricht von Langeweile, Frustration und Desillusionierung, die sich ausbreiten würden:

„Alle Parteien mußten erfahren, daß sie dadurch verwundbar werden. Diese Entwicklung steckt hinter vielen der Korruptionsskandale, die Parteien jeder Couleur in allen Industriestaaten in Mitleidenschaft gezogen haben. Sobald die Vorstellung davon, was den öffentlichen Dienst auszeichnet, der Lächerlichkeit und dem Zynismus preisgegeben und das persönliche Profitstreben zum höchsten Ziel des Menschen stilisiert worden ist, muß man damit rechnen, daß Politiker, Berater und andere es für einen wichtigen und gänzlich legitimen Aspekt ihrer Beteiligung am politischen Leben halten, Einfluß gewinnbringend zu verkaufen.“[14]

Zwar überlebten die formalen Merkmale der Demokratie, doch verlagerten sich die Arenen der politischen Entscheidung: Nicht mehr der Bürger, sondern Interessengruppen hätten das Sagen. Die Wahlbürger würden durch professionelles „change management“ gelenkt; die Politiker imitierten die Regeln des Showbusiness und Marketing.

In der Folge verändere sich auch die Organisationsstruktur der Partei: Diese bilde nicht mehr ein Modell konzentrischer Kreise, dessen innerer Zirkel durch die Führungsspitze gebildet wird, um den sich dann die weiteren Kreise der professionellen Aktivisten, ehrenamtlichen Funktionäre und Partei­mitglieder ziehen. Ausweiten würden sich, so Crouch, die Berater- und Lobbyistenzirkel im Umfeld der führen­den Politiker. Im Zuge der Massenakademisierung dürfte der intermediäre öffentliche Bereich weiter an Einfluss gewinnen. Es entstehe eine Ellipse aus politischen Entscheidungsträgern und Beratern.

Haben sich die Parteien somit überholt? Dies wäre nicht zu hoffen. Denn der Einzelne wird erst dann handlungs-, artikulations- und mitbestimmungsfähig, wenn er sich mit anderen zusammenschließt. Aus diesem Grund wird es in einer freiheitlichen Gesellschaft mit einem legitimen Pluralismus an Interessen auch immer wieder zur Bildung politischer Interessen- und Gesinnungsgemeinschaften kommen, also zu Parteien – in Deutschland sind dies immerhin knapp um die hundert Groß-, Klein- und Kleinstparteien. Diese sind in erster Linie freie Zusammenschlüsse von Bürgern zur Erreichung gemeinsamer politischer Ziele. Ihre Ausschaltung wäre nur um den Preis der Freiheit möglich. Dieser Überzeugung gab zu Beginn der Moderne James Madison im zehnten Artikel der „Federalist Papers“ an prominenter Stelle und auf klassische Weise Ausdruck. Die Zeitungsserie gilt als erster Verfassungskommentar der USA.

  1. 3.       Welche Funktionen sollten politische Parteien erfüllen?

Während der publizistischen Debatte, wie sie sich im Umfeld der Verabschiedung der US-Verfassung entwickelte, schrieb Madison: „Der Einsatz für religiöse, politische und andere Überzeugungen in Wort und Tat, die Bindung an verschiedene politische Führer, die voller Ehrgeiz um Vorherrschaft und Macht ringen, oder an andere Persönlichkeiten, deren Schicksal die menschlichen Leidenschaften erregt haben – all dies hat die Menschheit immer wieder in Parteien gespalten, sie mit Feindseligkeit gegeneinander erfüllt und sie dazu gebracht, einander eher zu peinigen und zu unterdrücken als um des gemeinsamen Wohls willen zusammenzuarbeiten.“[15]

Die Einschätzung ist deutlich: Parteiungen sind ein Übel. Doch ist Madison davon überzeugt, dass es unter den Menschen immer unterschiedliche Meinungen und Leidenschaften geben werde, solange der Mensch seine Freiheit gebraucht. Keiner Regierung sei es erlaubt, eine Gleichheit an Interessen vorzuschreiben oder gar durchzusetzen: „Freiheit ist für Parteiungen, was die Luft für das Feuer ist; die Nahrung, ohne die es augenblicklich erlischt.“[16] Im freiheitlichen Gemeinwesen könne es nicht darum gehen, die Ursachen von Partei­ungen zu beseitigen, sondern allein über „Mittel zur Kontrolle ihrer Wirkungen“[17] nachzudenken.

Ein solches „Mittel“ ist das System repräsentativer Demokratie: Die freigewählten Abgeordneten sollen im Parlament die Interessen des gesamten Gemeinwesens anwaltschaftlich vertreten. Das Repräsentativorgan ist jener Ort, an dem gerade nicht der legitime gesellschaftliche Pluralismus unmittelbar in Politik übersetzt wird, sondern vielmehr das Allgemeine verhandelt wird, gegebenenfalls auch gegen konfligierende Partikularinteressen. Im konstitutionellen Interesse ist an der grundsätzlichen Differenz zwischen den Entscheidungsmodi im Parlament und im gesellschaftlichen Bereich festzuhalten: „Den legitimatorischen Primat hat nur der gesamtbürgerschaftliche Akt der Wahl, nicht jede partikulare Intervention von Bürgern.“[18] Es wäre eine Fehlannahme, Einzelinteressen eins zu eins im Parlament abbilden zu wollen, was letztlich ohne materielle Beschränkungen der verfassungsrechtlichen Vorgaben, des freien Wahlvorschlagsrechts oder der formalen Wahlgleichheit, auch nicht realisierbar wäre.

Der Pluralismus innerhalb des Gemeinwesens erfährt in den „Federalist Papers“ eine positive Würdigung: Parteiungen seien ein notwendiges Übel der freiheitlichen Demokratie. Im Interesse der Freiheit und des Gemeinwohls seien diese nicht auszumerzen, wohl aber zu kontrollieren. Der Auftrag demokratischer Repräsentation spiegelt sich in den Parteien darin wider, dass diese ihrem Charakter nach in erster Linie weltanschauliche Gruppierungen mit einem politischen Gesamtprogramm und nicht bloße Interessenverbände sein sollten. Die Parteien bilden einen wichtigen Transmissionsriemen zwischen gesellschaftlicher und politischer Willensbildung. Ihnen obliegt die Aufgabe, gesellschaftliche Interessen auszuhandeln, zu durchsetzungsfähigen Programmen zu bündeln und getroffene Entscheidungen nachträglich kommunikativ zu vermitteln.

In der Literatur finden sich zahlreiche Kataloge, welche die Funktionen von Parteien zusammenfassen – die Bandbreite reicht von der Zusammenfassung auf drei Hauptfunktionen[19] bis zur unübersichtlichen Auffächerung in insgesamt achtzehn Einzelfunktionen[20]. Ulrich von Alemann[21] spricht, gut begründet, von sieben Funktionen, wobei eine Perspektive keinesfalls schamhaft verschwiegen wird: Nüchtern betrachtet, seien Parteien immer auch „Interessengruppen in eigener Sache“.

Der Parteienforscher unterscheidet vier parteiexogene Hauptfunktionen von Parteien innerhalb der pluralistisch-parlamentarischen Demokratie: (1.) Sie transformieren gesellschaftliche Interessen in politisches Handeln. (2.) Dabei treffen die Parteien eine Auswahl aus dem gesamtgesellschaftlich vorhandenen Interessenspektrum und wählen Kandidaten für öffentliche Ämter aus. (3.) Indem Parteien die konfligierenden Teilinteressen verschiedener sozioökonomischer Gruppen miteinander verknüpfen, Gruppenzusammenhalt erlauben und Möglichkeiten zur politischen Mitarbeit anbieten, leisten sie eine wichtige gesellschaftliche Integrationsaufgabe und (4.) tragen sie zur Anerkennung und Stabilisierung des politischen Systems als Ganzes bei. In einer parteiendogenen Perspektive fügt von Alemann dann noch drei weitere Funktionen hinzu: (5.) Parteien bieten interessierten Bürgern die Möglichkeit zu aktiver politischer Beteiligung. (6.) Sie ermöglichen politische Lernerfahrungen. (7.) Dabei verhalten sie sich ebenso selbstregulativ wie selbstreflexiv – sprich: Sie kämpfen darum, ein möglichst großes Stück vom Kuchen politischer Herrschaft zu bekommen. Bei einem Großteil dessen, was in den Parteien geschieht, handelt es sich um Selbstbeschäftigung, da diese aus einer Vielzahl an Untergliederungen bestehen, die untereinander kooperieren oder miteinander konkurrieren. Politische Auseinandersetzungen sind immer zugleich innerparteiliche Konkurrenzkämpfe. Parteien sind keine straff durchorganisierten, monolithischen Gebilde, sondern „fragmentierte, lose verkoppelte Anarchien“.[22]

Politik kann allgemein beschrieben werden als Aufgabe, das gemeinschaftliche Zusammenleben zu erhalten und unter Maßstäben des Gemeinwohls und der Freiheit zu gestalten. Die Parteien haben an der politischen Aushandlung des Gemeinwohls entscheidenden Anteil. Parteien können sich nicht auf eine reine Vermittler- oder Moderatorenrolle zurückziehen, von ihnen werden politische Führung und programmatische Richtung erwartet. Sie organisieren Einzelinteressen zu abstimmungs- und durchsetzungsfähigen politischen Gesamtkonzepten. Damit dies gelingt, werden ihnen Kompromissfähigkeit, Pluralismusfähigkeit und Gemeinsinn abverlangt, zugleich garantieren sie dem politischen Prozess ein notwendiges Maß an Erwartungs- und Verhaltenssicherheit.

 

Teil II: Studentenverbindungen und Parteien

Das deutsche Korporationsstudententum verdankt sich der nach staatlicher Einheit und Freiheit strebenden Bewegung des neunzehnten Jahrhunderts, die sich als Antwort auf Napoleon unter Studenten formierte. Als Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften von Studenten und Alten Herren mit Studienabschluss fördern diese unter ihren Mitgliedern ein akademisches Bildungsideal und sittliches Verantwortungsgefühl.

  1. 1.       Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften

Studentische Korporationen haben keinen parteipolitischen Auftrag. Doch vermitteln sie ihren Mitgliedern gehaltvolle soziale Erfahrungen und bieten dem jungen Studenten Hilfestellung, diese geistig zu verarbeiten.[23]

Auf diese Weise vermitteln studentische Korporationen wichtige Bildungs- und Sozialisations­erfahrungen, die für politisches Engagement fruchtbar gemacht werden können. In ihnen lernen junge Menschen beispielsweise Verantwortungsgefühl, Organisationstalent, Gesprächs- und Diskussions­fähigkeit, Kompromissfähigkeit und Zusammenhalt. Dabei geht es um mehr als funktionales Wissen oder formale Fähigkeiten. Es geht um Vermittlung eines geistigen Orientierungswissens, um Gemeinwohlbindung und um den Aufbau einer sittlichen Haltung, die daran interessiert ist, die Selbstbestimmung des anderen zu fördern und seine Freiheit zu stärken.

In studentischen Korporationen geschieht dies in der schöpferischen Auseinandersetzung mit Werten und Traditionen, durch die Einübung von Regeln, das Ringen um gemeinsame Überzeugungen und durch Einbindung in eine konkrete Verantwortungsgemeinschaft, die ein Leben lang trägt – und dies ausgestaltet über den Rahmen basisdemokratischer Entscheidungen. In den Conventen studentischer Verbindungen wurde eine demokratische Kultur der Willensbildung und Entscheidungsfindung bereits vor Einführung der Demokratie als Staatsform praktiziert.

Dies alles wirkt mitunter antiquiert, ist aber durchaus aktuell. Denn eine Politik, der die Bindung an ein tragfähiges Orientierungswissen verloren geht, wird insgesamt schnelllebiger, sprunghafter und unberechenbarer, ausgerichtet an medialen Stimmungen und kurzatmigen Umfragetrends. Aktuelle Beispiele gibt es in der Politik zuhauf. Der politische „Pragmatiker des Augenblicks“[24], der seine Entscheidungen nur noch an momentanen, medial beherrschten Stimmungen ausrichtet und auch noch in immer kürzeren Abständen revidiert – alles frei nach dem Motto: „Hier stehe ich, ich kann auch jederzeit anders“ –, verspielt das Zutrauen in seine Kompetenz und schränkt seine eigenen Entscheidungs- und Handlungsspielräume dadurch selbst ein. Politische Durchsetzungsfähigkeit hängt nicht allein von der richtigen Strategie und Taktik ab, so wichtig beide für das Durchsetzen von Interessen und das Herstellen hierfür notwendiger Mehrheiten auch sind. Der nicht selten beklagte Vertrauensverlust in die Steuerungsfähigkeit und Problemlösekompetenz der politischen Akteure zeigt die Auswirkungen einer Politik, der langfristige Orientierungen verloren zu gehen scheinen.

  1. 2.       Mehr Gemeinsamkeiten als gedacht

Politische Parteien könnten also von den Erfahrungen, dem Engagement und dem Orientierungswissen ihrer korporierten Mitglieder profitieren. Überdies zeigen sich bei genauerem Hinsehen deutliche Parallelen zwischen Parteien und Verbindungen. Die Mitgliederpartei vermittelt wichtige politische Sozialisationserfahrungen. Dabei geht es nicht nur um das Erlernen technischer und strategischer Politikfähigkeiten, sondern auch um die Weitergabe gemeinsam geteilter Traditionen und politischer Werte. Diese bestimmen das sozialethische Urteilen und Handeln der Parteimitglieder.[25]

So garantieren Parteien dem politischen Prozess über den Weg kollektiver Selbstregulierung ein bestimmtes Maß an Wertebindung und die kontinuierliche Weitergabe „kollektiv gespeicherter“ Erfahrungen. Dem kulturethischen Wissen, das die Parteien vermitteln, kommt eine nicht zu unterschätzende kulturstaatliche Orientierungsfunktion zu: Erst auf Basis einer solchen Wertgrundlage wird die Politik zu nachhaltigen Entscheidungen fähig und ist eine verlässliche Organisation des politischen Prozesses möglich.

Die Grundwerte, denen sich eine Partei verpflichtet fühlt, müssen sich nach außen im Einsatz für den demokratischen Rechts-, Sozial- und Kulturstaat bewähren. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) beruft sich in ihren Grundüberzeugungen auf ihre mehr als hundertfünfzigjährige Geschichte[26] und ihre Bindung an die „Grundwerte des freiheitlichen, demokratischen Sozialismus“. Mit mehr oder weniger Pathos formuliert, finden sich ähnliche „Bekenntnisse“ in allen Grundsatzprogrammen der Parteien.[27] Im „Hamburger Programm“, dem aktuellen Grundsatzprogramm der SPD von 2007, klingt dies folgendermaßen: „‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘, die Grundforderungen der Französischen Revolution, sind die Grundlage der europäischen Demokratie. Seit das Ziel der gleichen Freiheit in der Moderne zum Inbegriff der Gerechtigkeit wurde, waren und sind Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität die Grundwerte des freiheitlichen, demokratischen Sozialismus. Sie bleiben unser Kriterium für die Beurteilung der politischen Wirklichkeit, Maßstab für eine bessere Ordnung der Gesellschaft, Orientierung für das Handeln der Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten.“[28]

Die politischen Werte, für welche die Partei steht, sollten sich in innerparteilicher Solidarität, im Einstehen für die gemeinsamen Überzeugungen und in einem lebendigen Parteileben zeigen. Verstehen sich studentische Korporationen als ein generationenübergreifender Lebensbund, hat sich die SPD von ihren Anfängen her gleichfalls als eine solidarische Gemeinschaft Gleichgesinnter begriffen, in der die Einzelnen füreinander einstehen. Bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts manifestierte sich dieser Anspruch in einem eigenen sozialdemokratischen Milieu, das eigene Vereine, Sozial-, Bildungs-, Kultur- und Freizeiteinrichtungen hervorbrachte sowie eigene Lieder, Rituale und Umgangsformen pflegte.[29] Sichtbarer Ausdruck des besonderen Zusammenhalts innerhalb der Sozialdemokratie ist bis heute, dass sich Sozialdemokraten gegenseitig als Genossen anreden und – wie Bundesbrüder – einen Duzcomment pflegen.

 

Teil III: Korporierte Sozialdemokraten – Blick auf ein Buchprojekt

Das Verhältnis zwischen Sozialdemokratie und studentischen Korporationen ist nicht immer einfach gewesen – bis heute. Doch gab es seit Gründung der SPD zu allen Zeiten zahlreiche korporierte Genossen, berühmte und weniger berühmte, die couleurstudentisches und parteipolitisches Engagement miteinander verbunden haben. An erster Stelle ist hier Ferdinand Lassalle[30] selbst, der mit dem Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein die deutsche Sozialdemokratie maßgeblich begründete, zu nennen.[31] In nicht wenigen Fällen wird man sogar sagen können, dass die gemeinsame Korporations- und Parteizugehörigkeit mehr als Zufall war, sondern vielmehr eine Quelle gegenseitiger Inspiration bedeutete. Auch dies gilt bis heute, wie ein 2016 vom Lassalle-Kreis herausgegebener Sammelband mit dem Titel „Rote Fahnen, bunte Bänder“ (Bonn 2016[32]) verdeutlicht. Stellvertretend will dieser an verstorbene korporierte Sozialdemokraten erinnern: an ihr Leben und Wirken, an ihre politischen Leistungen und ihr gesellschaftliches Engagement.

  1. 1.       Sammelband „Rote Fahnen, bunte Bänder“

Die getroffene Auswahl versammelt korporierte Genossen von den Anfängen der Partei bis in die Gegenwart, vom Vormärz und dem Kaiserreich über die Weimarer Republik und den Nationalsozialismus bis zur „alten“ Bundesrepublik und zum wiedervereinigten Deutschland.

Die vorgestellten Genossen waren auf Reichs- oder Bundesebene[33], in der Landes-[34] oder Kommunalpolitik[35] aktiv; einige von ihnen waren maßgeblich am Aufbau der ersten deutschen Republik von Weimar oder am Wiederaufbau der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg beteiligt. Einige mussten den Einsatz für ihre politischen Überzeugung und ihren Widerstand gegen das nationalsozialistische Unrecht – wie Willy Aron und Adolf Reichwein[36] – mit ihrem Leben bezahlen.

Die gesammelten Lebensbilder repräsentieren überdies unterschiedliche Strömungen[37] und Flügel innerhalb der Partei. In ihnen zeigen sich unterschiedliche persönliche Motive oder Lebenserfahrungen, die dazu geführt haben, warum jemand zur Sozialdemokratie gestoßen ist. Die Portraits zeigen zugleich, auf welch unterschiedliche Weise die Einzelnen ihre Partei- und Korporationszugehörigkeit mit dem Eintreten für weitere gesellschaftliche oder kirchliche Anliegen verbunden haben. Unterschiedlich sind so auch die Berufe der korporierten Genossen, die der Band vorstellt. Neben Sozialdemokraten, die ihr berufliches Leben vollständig der Politik widmeten, begegnen zum Beispiel Journalisten[38], Juristen[39], Ärzte[40], Manager[41], Pädagogen[42], Theologen[43] oder Wissenschaftler[44].

Vor der Drucklegung mussten in einzelnen Fällen aktuelle politisch-historische Kontroversen, ausgelöst durch neuere biographische Studien, über das Verhalten dargestellter Personen während der NS-Zeit gesichtet werden, was an zwei Beispielen etwas ausführlicher gezeigt werden soll.

So wurde das Lebensbild des ersten niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf um ein entsprechendes Kapitel zur Frage „Hinrich Wilhelm Kopf als Unperson? Oder: damnatio memoriae“ ergänzt. Die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen hatte 2013 im Auftrag des Präsidenten des niedersächsischen Landtags den Vorwurf zu untersuchen, inwiefern sich Kopf während der NS-Zeit durch seine Tätigkeit im Auftrag der Haupttreuhandstelle Ost als Treuhänder für das Vermögen von Juden und Geflohenen moralisch schuldig gemacht habe, sodass möglicherweise eine künftige Würdigung als zentrale Gründerfigur des Bundeslandes nicht mehr gerechtfertigt werden könnte. Alexander Voigt und Manfred Blänkner warnen am Ende ihres Lebensbildes im vorliegenden Sammelband vor voreiligen Schlüssen: „Es wäre angesichts der Verdienste des ‚roten Welfen‘ um den demokratischen Aufbau des Landes Niedersachsen angemessen, die belastenden Quellen und deren Interpretation von dritter Seite erneut zu prüfen.“[45]

Im Fall Adolf Reichweins erschien 2007 eine Qualifikationsarbeit mit dem sprechenden Titel „Dienstbares Begleiten und später Widerstand“[46]. Die Verfasserin charakterisiert Reichwein dezidiert als „nationalen Sozialisten“ und hält ihm vor, vor allem durch seine volkskundliche Arbeit, etwa für NS-Dienststellen oder im Warthegau, den Boden für die Durchsetzung nationalsozialistischer Ideen bereitet zu haben. Die These ist erkennbar darauf angelegt, den bestehenden Konsens über Adolf Reichweins Rolle als Reformpädagoge und Widerstandskämpfer zu brechen, wurde in Rezensionen aber immer wieder als einseitig und nicht substanzhaltig zurückgewiesen. Stefan Vogt reiht Reichwein in der Folge jedoch unter die „Jungen Rechten“ ein, die durch ihre Nähe zu nationalsozialistischen Vorstellungen einer sozialistisch orientierten, geeinten Volksgemeinschaft ihren Anteil zum Scheitern der Weimarer Republik beigetragen hätten.[47]

Bei einer Bewertung dürfen zunächst einmal die Unterschiede der Sprach- und Ideenwelt der Weimarer Zeit sowie deren geistig-politischen Anschauungen zu heute nicht übersehen werden. Bei Reichwein betrifft dies etwa seine politisch-weltanschaulichen Vorstellungen über Nation, Volk, Gemeinschaft, Führerprinzip oder die Rolle einer gesellschaftlichen Avantgarde, wie Dieter Wunder in einem Beitrag anlässlich der Vorstellung der Werkausgabe seiner Pädagogischen Schriften[48] herausgearbeitet hat:

„Reichwein war ein national denkender Sozialist, der in allen drei ihn besonders interessierenden Feldern der Gegenwart das utopische Gegenbild einer besseren Gesellschaft mit Wirtschaftslenkung, nationaler Versöhnung und neuartiger Demokratie im Kopf hatte.“[49]

Reichwein kam wie andere Pädagogen der damaligen Zeit nicht gänzlich umhin, sich der Sprache der damals herrschenden Ideologie zu bedienen, ohne damit schon sein ganzes pädagogisches Gedankengebäude derselbigen zu unterstellen – im Gegenteil, wie Konrad Vanja betont: „Sprechen doch seine Um­setzun­gen und Inhalte eine andere Sprache, eine Sprache der Nichtausgrenzung, der ethischen Verantwortung und der Beseelung, Gedanken, wie sie vor allem in einer Arbeit an formenden und bil­denden Kräften beim Schüler entfaltet werden können.“[50]

Der Berliner Bildungshistoriker Heinz-Elmar Tenorth weist nachvollziehbar darauf hin, dass für ein gerechtes Urteil über das Werk Reichweins mehr als die historisch bedingte Semantik heranzuziehen ist: „Wie konnten wir ihn nur in die korrumpierende Nähe der Nazis rücken? Offenbar nur, weil wir allein die Historizität der Semantik, nicht die systematische Spezifik der Argumentation gesehen haben.“[51]

Des Weiteren ist zu bedenken, dass Reichweins politische Vorstellungen zwar – im Gegensatz zu seinem beruflichen Werdegang – eine weitgehende Kontinuität aufweisen, von ihm aber niemals in einer zusammenhängenden Konzeption niedergelegt worden sind. Dieter Wunder ordnet Reichwein innerhalb der sozialistischen Bewegung seiner Zeit jener „Strömung junger ‚bürgerlicher‘ Sozialisten [zu], die, von Wandervogel und Krieg geprägt, für neue Sichtweisen im Gefolge des Bernsteinschen Revisionismus offen waren.“[52] Der Sozialismus galt Reichwein als jene Zielvorstellung, die versprach, sowohl die sozialen Gegensätze der Zeit, die der Pädagoge nicht zuletzt durch seine Jungarbeiterbildung kennengelernt hatte, aufzuheben als auch die Nation wiederherzustellen und eine neue Gemeinsamkeit des Volkes heraufzuführen. Im Blick auf die Organisation des staatlichen Zusammenlebens vertrat Reichwein in seiner Bildungsarbeit Vorstellungen, die nicht unbedingt denen einer parlamentarischen Demokratie heutiger Prägung entsprachen; bei ihm verbanden sich Vorstellungen einer indirekten Demokratie, wie sie etwa im Kreisauer Kreis erwogen wurden, mit Vorstellungen eines Gildensozialismus:

„Dazu passt das von ihm vertretene Führerprinzip. Die unterschiedlichen Interessen werden in dieser Denkrichtung über ein Verhalten, wie es in der Arbeitsgemeinschaft eingeübt wird, überwunden und vermögen dadurch einen einheitlichen Willen zum Ausdruck zu bringen, wie es Rousseaus Demokratie antizipierte und der soziale Realismus praktizierte. Interpretiert man Reichwein in dieser Richtung, so erscheint er als einer der Suchenden, die eine republikfreundliche, aber demokratieferne Haltung aufweisen.“[53]

Nicht verschwiegen werden soll schließlich, dass es auch immer wieder zu unüberbrückbaren Konflikten kam, die dazu führten, dass die jeweiligen Betroffenen sich entweder von ihrer Verbindung oder von der SPD trennten. In manchen Fällen lagen der Trennung konkrete Konflikte im Verhältnis zwischen SPD und Verbindungen zugrunde, in anderen Fällen hatte man sich einfach auseinander entwickelt, sei es im persönlichen Verhältnis zur eigenen Korporation oder im gemeinsamen Verständnis sozialdemokratischer Politik.[54]

Nicht zuletzt zeigt sich in den zusammengetragenen Lebensbildern die Vielgestaltigkeit des deutschen Couleurstudentums. Die korporierten Genossen waren Corpsstudenten oder Burschenschafter, Sängerschafter oder Landsmannschafter, Angehöriger paritätischer (jüdisch geprägter) oder christlicher (nichtschlagender) Verbindungen, gehörten unterschiedlichen Dachverbänden[55] oder auch verbandsfreien Verbindungen an. Das Beispiel Adolf Reichweins zeigt sich, wie der Entschluss zum Eintritt in eine Studentenverbindung auch aus der Zugehörigkeit zur Jugendbewegung erwachsen konnte.

Eines aber kann das vorliegende Werk im Kern nicht beantworten, hier wären weitergehende Forschungen, beispielsweise im Rahmen von Qualifikationsarbeiten, notwendig: Wie hat sich die Korporationszugehörigkeit letztlich auf das parteipolitische Engagement ausgewirkt? Der Rezensent in der Frankfurter Allgemeinen, Christopher Dowe, hatte dies ausdrücklich als Manko des Bandes vermerkt:

„Wer in den zahlreichen Kurzbiographien die Mitgliedschaft im Lebensbund Studentenkorporation als eine wichtige Deutungslinie und einen die Darstellung prägenden Erzählfaden erwartet, wird den Band […] enttäuscht aus der Hand legen. […] Deshalb kann für den Lassalle-Kreis dieser Band allenfalls der Einstieg in ein vertiefte und wissenschaftlich grundierte Selbstreflexion sein […]“[56].

Was hier notwendig wäre, würde archivarische Kärnerarbeit bedeuten, für die – im gegenwärtigen forschungspolitischen Klima – kaum die notwendigen Ressourcen aufzubringen sein dürften. Nicht zuletzt müssten sowohl offizielle bzw. politische und private Korrespondenzen oder Äußerungen nebeneinander ausgewertet und abgeglichen werden. Dabei kann ein methodisch-hermeneutisches Problem nicht übersehen werden: Subtile Hinweise in den aufgefundenen Quellen, etwa im Ausdruck oder in der formalen Gestaltung, können mitunter nur dann erkannt werden, wenn der Forscher selbst einen eigenen couleurstudentischen Hintergrund mitbringt; diese Nähe zum Forschungsgegenstand darf aber wiederum nicht zu voreiligen Schlüssen, möglicherweise sogar apologetischen Grenzüberschreitungen verführen.

Die Lebensbilder sind auf Anregung des früheren Vorsitzenden des Lassalle-Kreises, Alexander Stintzing, über mehrere Jahre hinweg zunächst für die Rubrik „Korporierte Genossen“ auf den verbandseigenen Internetseiten[57] entstanden. Eine erste, noch deutlich kleinere Zusammenstellung wurde 2010 anlässlich der damaligen Lassalle-Tagung in Tübingen in Manuskriptform an die eigenen Mitglieder ausgegeben.[58] Die vorliegende Buchfassung wurde im Rahmen der Jubiläumstagung zum zehnjährigen Bestehen des Lassalle-Kreises wiederum in Tübingen auf dem Haus der AV Virtembergia vorgestellt.[59]

  1. 2.       Zwei exemplarische Lebensbilder

Abschließend sollen zwei Lebensbilder aus dem Kreis korporierter Genossen exemplarisch vorgestellt werden. Es handelt sich dabei um zwei Widerstandskämpfer aus den Reihen der SPD, die während des Nationalsozialismus ihr politisches Engagement mit dem Tod bezahlen mussten: Wilhelm (Willy) Aron und Adolf Reichwein. Beide waren durch die Jugendbewegung geprägt.

2.1   Wilhelm (Willy) Aron

Der jüdische Sozialdemokrat, Waffenstudent und Justizreferendar Wilhelm (Willy) Aron (geboren am 3. Juni 1907 in Bamberg, ermordet am 17./19. Mai 1933[60] im Konzentrationslager Dachau) war das erste Opfer, das der Nationalsozialismus aus Bamberg forderte. Er trat mit vierzehn Jahren in die Sozialistische Arbeiter-Jugend (SAJ) ein und wurde im Wintersemester 1925/26 in Würzburg als Fuchs in die paritätische Studentenverbindung Wirceburgia[61] (Gründungsmitglied des Burschenbunds­convents[62]) aufgenommen.[63]

2.1.1  Politischer Werdegang

„Wenn man heute in Bamberg der Opfer des Nazismus gedenkt, dann ist an erster Stelle ein Name zu nennen – Willy Aron. Er war der erste Bamberger, der im Kz. Dachau sein Leben für Recht und Freiheit lassen mußte.“[64] (so der Bamberger SPD-Politiker Georg Grosch, 1947, der ebenso wie Aron der SAJ angehörte und nach der Machtergreifung für kurze Zeit gleichfalls ins Konzentrationslager Dachau eingeliefert wurde[65])– Willy Aron, Sohn des jüdischen Justizrates Albert Aron und dessen Frau Berta[66] (beide kamen später ebenfalls durch den Nationalsozialismus um[67]), engagierte sich in der jüdischen und sozialistischen Jugendbewegung. Nicht zuletzt die Nationalsozialisten verspotteten Aron, der auch als Student und Justizreferendar ein aktiver Funktionär der Bamberger SAJ blieb, als  „Stehkragenproletarier“. Er hielt in der SAJ Bildungsveranstaltungen ab, nahm an Wanderungen und Jugendtagen teil. Auch in der jüdischen Jugendbewegung hatte Aron Funktionen inne, so leitete er die Bamberger Ortsgruppen der Deutsch-Jüdischen Jugend (DJJ) und des Deutsch-Jüdischen Wanderbundes „Kameraden“.[68]

Schon früh geriet der kämpferische Jungsozialist ins Visier der Nationalsozialisten. Hierzu beigetragen hatte nicht zuletzt, dass Aron im Prozess um die sogenannte „Schlacht am Schillerplatz“, eine von den Nationalsozialisten am 31. Juli 1932, dem Abend der Reichstagswahl, initiierte Massenschlägerei in einem bekannten Bamberger Arbeiterlokal, der „Restauration Nöth“, die Verteidigung mehrerer Sozialdemokraten übernommen hatte.[69] Der Prozess, den Aron mit hohem persönlichen Einsatz führte, brachte ihm eine hohe Publizität über die Bamberger Öffentlichkeit hinaus ein.

Ob seine Führungstätigkeit innerhalb des Bamberger Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold oder seine Äußerung, die Nationalsozialisten hätten den Reichstag selbst in Brand gesteckt, den äußeren Anlass für seine frühe Verhaftung gab, ist umstritten. Auf jeden Fall gehört Willy Aron, den die Nazis einen „Roten Hund“ nannten, in Bamberg zu den Ersten, die das neue Regime am 10. März 1933 aus politischen Gründen in „Schutzhaft“ nehmen ließ, wie es verschleiernd in der Sprache der Nazis hieß.[70] Im Konzentrationslager Dachau, wo er am 15. Mai, eintraf, wurde Aron, der durch seine Körpergröße und seine roten Haare auffiel[71], auf äußerst brutale Weise misshandelt. Zeugen berichteten später, dass dem bereits Fieberwahnsinnigen immer wieder von neuem auf die eiternden Wunden geschlagen wurde.[72]

Die SS[73], deren Macht zu dieser Zeit noch nicht hinreichend gefestigt war, versuchte, den Mord an Aron zu vertuschen, und befürchtete, er könnte zum jüdischen Märtyrer werden. Als der Sarg in Bamberg eintraf, durfte er bis zur Beisetzung am 22. Mai nicht mehr geöffnet werden. Im März 1948 begann die strafrechtliche Verfolgung des Falles.[74] Die Täter brachten bis zum Schluss kein Schuldgefühl auf. Einer der beiden Angeklagten wurde zu lebenslanger Haft verurteilt, die er bis 1962 absitzen musste; er beging 1964 Selbstmord. Das Gericht hatte in diesem Fall in den wiederholten Misshandlungen Vorsätzlichkeit erkannt und daher auf Mord befunden. Der zweite Angeklagte wurde aus Mangel an Beweisen freigesprochen, aber später wegen Beihilfe zum Mord an drei jüdischen Häftlingen eines anderen Lagers zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Andreas Dornheim spricht in seiner Biographie über Aron davon, „dass viele Nationalsozialisten zumindest ahnten, dass sie mit Wilhelm Aron nicht nur einen unschuldigen, sondern auch einen begabten Menschen mit einem gewissen Charisma umgebracht haben“[75]. Schon kurz nach dem Krieg beginnt die öffentliche Erinnerung an Aron, auch dank des publizistischen Einsatzes Thomas Dehlers. Heute erinnern in seiner Heimatstadt die nach ihm benannte Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg e. V. (gegründet 2003 anlässlich des siebzigsten Todestages Arons[76]), drei „Stolpersteine“[77] des Kölner Künstlers Gunter Demnig (vor dem Anwesen Luitpoldstraße 32, das die Familie nach mehrmaligen Umzügen innerhalb der Stadt nach Geburt des einzigen Kindes Wilhelm bezog)[78], eine Aronstraße im Bamberger Osten, eine Gedenktafel im Justizgebäude am Wilhelmsplatz (enthüllt am 8. November 2000), ein Mahnmal im Harmoniegarten[79] sowie eine Wanderausstellung[80] an ihn und seine Familie. Willy Arons Grab befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof in Bamberg.

2.1.2         Akademischer Werdegang[81]

Willy Aron begann zunächst – ohne Wohnortwechsel – sein Studium der Rechts- und Staatswissenschaften im Mai 1925 in Erlangen, wechselte aber, vielleicht wegen des latent antisemitischen Klimas dort, nach nur einem Semester nach Würzburg. Hier wurde er, den sie wegen seiner politischen Auffassung mit Spitznamen „Ilja Andrewitsch“ riefen, Waffenstudent des paritätischen Burschenbundes Wirceburgia.

Die Reception zum Burschen erfolgte nach zwei genügenden Bestimmungsmensuren auf dem Semesterantrittsconvent im Sommer 1926. Sein Leibfuchs Günther Berger berichtete später: „Mir wurde mein Leibbursch ein wertvoller Freund im Gedankenaustausch. Im Zweifel hätte ich mit einem anderen Leibburschen nur über Banalitäten sprechen können.“[82]

Im folgenden Semester wurde Aron zum Zweitchargierten und damit zum Fechtwart gewählt. Als der Semesterabschlussconvent den als still, schlank und sportlich beschriebenen Burschen aus seiner Charge entließ, wurde ihm sofort die Klammerung gestattet. Zeitgleich ließ Aron sich inaktivieren, da er das Sommersemester 1927 in München verbringen will. Dort wurde er Verkehrsgast des Burschenbundes Südmark. Als Aron im Wintersemester 1927/28 nach Würzburg zurückkehrte, erhielt er die Aufgabe des Fuchsmajors übertragen.

Trieb ein Bundesbruder seinen Ulk mit Aron, ließ dieser so etwas keinesfalls einfach auf sich sitzen. Der Studentenhistoriker Thomas Schindler schreibt Aron die Fähigkeit zur Selbstironie zu. So zeichnete er zum 45. Stiftungsfest seiner Wirceburgia (1930) das Liederheft seines Bundesbruders Hellmann hinter seinem Namen nicht nur mit Zirkel (unter Weglassung der Klammer), sondern auch mit der zweimaligen Wiederholung seines Nachnamens – einmal auf Griechisch, einmal auf Hebräisch.[83]

Ab dem 4. März 1930 war Aron wieder dauerhaft in Bamberg ansässig. Ursprünglich preußischer Staatsbürger (die Familie kam aus dem Westerwald), war ihm erst Anfang April 1929 im Hinblick auf das erste juristische Staatsexamen die bayerische Staatsbürgerschaft verliehen worden; mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten zerschlugen sich alle Hoffnungen auf eine spätere Beamtenlaufbahn.[84] Sein mutiges politisches Engagement sollte Willy Aron bereits kurz danach mit seinem Leben bezahlen. Das Haus seiner Wirceburgia wurde in der Nacht vom 30. Juni auf den 1. Juli 1933 von einem SA[85]-Trupp gestürmt.[86] Willy Aron war zu diesem Zeitpunkt bereits tot. Das Bamberger Volksblatt schloss am 23. Mai 1933 die Notiz über sein Begräbnis mit den Worten: „An der offenen Gruft sprach ein Bundesbruder des Toten herzliche Worte des Abschiedes.“[87]

2.2   Adolf Reichwein

Adolf Reichwein (geboren am 3. Oktober 1898 in Bad Ems, hingerichtet am 20. Oktober 1944 in Berlin-Plötzensee), in der Weimarer Republik in der Volkshochschulbewegung und Volksschullehrer­bildung tätig, wirkte nach Verlust seiner Professur als Reformpädagoge in Tiefensee, später als Mu­seums­pädagoge am Volkskundemuseum Berlin. Die erste seiner beiden Tiefenseer Schulschriften – „Schaffendes Schulvolk“ – greift verschiedene Strömungen der Reformpädagogik auf und bündelt diese zu einem eigenen Arbeitsschulmodell.[88] Er wurde in einem Schauprozess vom „Volks­gerichts­hof“ als Mitglied des Kreisauer Kreises[89] zum Tode verurteilt. Hatte Reichwein 1918 – nach einer Kriegsverletzung – sein Studium in Frankfurt am Main begonnen, wechselte er 1920 nach Marburg, wo er Mitglied der Akademischen Vereinigung Marburg wurde und 1921 promovierte.

2.2.1         Akademischer Werdegang

Adolf Reichwein entstammte einer sozialdemokratischen Lehrer­familie. Sein reformpädagogisch eingestellter Vater, Karl Gottfried Reichwein, orientierte sich an Pestalozzi. Schon früh unterstützte ihn der Sohn bei seiner pädagogischen Arbeit an einer einklassigen Volksschule im hessischen Ober-Rosbach oder nahm, als der Vater eingezogen wurde, sogar ersatzweise seine Stelle ein und erhielt so frühe Impulse für seine eigene spätere Tätigkeit als Reformpädagoge. Prägende Jugenderfahrungen waren für Reichwein seine Zeit in der Wandervogel­bewegung, der er sich bereits als Achtjähriger anschloss, und seine Erlebnisse während des Ersten Weltkrieges an der Ost- und Westfront. Letztere wurden für ihn zu einem Schlüsselerlebnis, das seine Hinwendung zu pazifistischen und sozialistischen Gedanken beförderte.

Adolf Reichwein, der sich noch im Kriegseinsatz mit der Volkshochschulidee Grundtvigs beschäftigte, war von der Notwendigkeit einer neuausgerichteten Bildungsarbeit und deren gesellschafts­verändernder Kraft überzeugt. Er gehörte zum linken Flügel der deutschen Reform- und Geisteswissen­schaftlichen Pädagogik. In den nur etwas mehr als zwei Jahrzehnten seiner beruflichen Tätigkeit entwickelte er eigene Reformmodelle sowohl in der Arbeiter-, Lehrer- und Volksschulbildung als auch in der Medien- und Museumspädagogik. Zeitlebens begleiteten ihn die Ideale der Jugendbewegung.

Er blieb seinen pädagogischen und politischen Idealen bis zum Einsatz seines eigenen Lebens treu. Ende Juni 1944, kurz vor seiner Verhaftung durch die Geheime Staatspolizei, mahnte er:

„Es müssen entscheidende Schritte unternommen werden, um das deutsche Volk und die europäische Kultur zu retten. Es ist tragisch, zu Mitteln greifen zu müssen, die ich aus meiner ganzen inneren Einstellung heraus ablehne. Wir werden auch bestenfalls kein eigenes Leben mehr haben, das werden wir unseren Kindern und der Zukunft des Deutschen Volkes zum Opfer bringen müssen. Doch um dieser Zukunft willen muß es sein. Es ist schon sehr spät, aber noch nicht zu spät.“[90]

Reichwein absolvierte nach seiner Ausbildung als Kriegsfreiwilliger die externe Abiturprüfung am Realgymnasium im hessischen Friedberg. Am 5. Dezember 1917 wurde er als Stoßtruppführer bei Cambrai schwer verwundet. Noch während des Lazarettaufenthaltes immatrikulierte er sich im Mai 1918 an der Universität Frankfurt am Main für ein Studium Generale in den Fächern Geschichte, Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie und Nationalökonomie. Dort traf er u. a. auf Franz Oppenheim, Begründer des liberalen Sozialismus, und den „Vater des Arbeitsrechts“, Hugo Sinzheimer, der die Frankfurter Akademie der Arbeit begründete.

1920 wechselte Reichwein für zwei Semester an die Universität Marburg, wo er u. a. Hörer des transzendentalkritischen Pädagogen Paul Natorp und des Literaturkritikers Friedrich Wolters war.

Dort schloss sich Reichwein der Akademischen Vereinigung Marburg an, einer 1912 gegründeten reformierten Studentenverbindung, in der sich viele ehemalige „Wandervögel“ sammelten.[91] Hatte die Akademische Vereinigung 1913 den Ersten Freideutschen Jugendtag auf dem Hohen Meißner mitausgerichtet, zog sie sich nach dem Ersten Weltkrieg aus dem Verbandsleben der Freideutschen Jugend zurück. Reichweins Verbindung trug keine Farben und lehnte das Duell- und Kneipwesen ab, übernahm aber traditionelle Bezeichnungen wie „Fux“ und „Fuxmajor“ und folgte wie andere Korporationen auch dem Konventsprinzip. Bei Neuaufnahmen verzichtete man bewusst auf das Einstimmigkeitsprinzip, da man ausdrücklich Mitglieder unterschiedlicher Meinungen vereinigen wollte. 1955 schloss sich der Bund mit einer weiteren Marburger Verbindung zur Akademischen Vereinigung Sodalitas Philippina Marburg zusammen.

Durch Eintritt in die Akademische Vereinigung schloss Reichwein Freundschaft mit Robert von Erdberg[92] (1866 bis 1929) und Hans Bohnenkamp[93] (1893 bis 1977), die seinen pädagogischen Werdegang intensiv begleiten sollten. Auf Anregung von Erdbergs wurde Reichwein 1921 nach Abschluss des Studiums Geschäftsführer des Ausschusses der deutschen Volksbildungsvereinigungen in Berlin. Bohnenkamp, später Mitglied des Deutschen Ausschusses für das Erziehungs- und Bildungswesen, sollte später einmal die Aufgabe übernehmen, bereits 1951 das Hauptwerk „Schaffendes Schulvolk“ seines Freundes Reichwein neu aufzulegen und das Andenken an sein pädagogisches Erbe zu sichern.[94] Im Rückblick schrieb er über seinen ermordeten Freund: „Er konnte hinreißend erzählen. Seine erlebten Geschichten standen jede für sich in einer Atmosphäre von Licht und Frische, Untergründiges klang leise mit, aber der Hauptklang war fröhliche Güte.“[95]

1923 wurde Reichwein mit einer Arbeit unter dem Titel „China und Europa. Geistige und künstlerische Beziehungen im 18. Jahrhundert“ in Marburg zum Dr. phil. promoviert, wodurch seine spätere volkskundliche Arbeit bereits grundgelegt wurde.[96] Er war publizistisch für die von Hermann Hesse herausgegebene Zeitschrift „Vivos Voco“ und die „Sozialistischen Monatshefte“ tätig. In den Jahren 1926 und 1927 unternahm er eine Forschungsreise, die ihn über die USA, Kanada und Alaska bis nach Japan, China und zu den Philippinen führte und die er später in zahlreichen wirtschafts­wissenschaftlichen, länderkundlichen und jugendliterarischen Publikationen auswertete (z. B. Die Rohstoffwirtschaft der Erde, Jena 1928).[97]

2.2.2         Pädagogischer Werdegang

Im April 1919 lernte Reichwein auf einem Volkshochschulkurs in Darmstadt die Methode der Arbeitsgemeinschaft kennen. Im Sommer 1921 führte er selbst eine vierwöchige Arbeitsgemeinschaft von Studenten und Jungarbeitern in Bodenrod im Taunus durch; der Aufruf hierzu erfolgte über die „Ockershäuser Blätter“ der Akademischen Vereinigung Marburg. Sein erstes pädagogisches Schaffen widmete Reichwein bis 1929 der Arbeiterbildung. Er koordinierte zunächst auf Vorschlag Wilhelm Flitners als Geschäftsführer die überörtliche Volkshochschule Thüringen (1923 bis 1925), später wurde er Leiter der Volkshochschule Jena (1925 bis 1929). In dieser Zeit entwickelte und erprobte er, ausgehend von seinen Erfahrungen in der Jugendbewegung, eine eigene Arbeiterbildungskonzeption, die durch eine Einheit von Lernen, Arbeit, Leben und Erleben geprägt war. Die bisherigen Vorträge wurden durch Arbeitsgemeinschaften in Kleingruppen ersetzt, die sich aktuellen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Fragen widmeten. 1926 gründete er das Jenaer Jungarbeiter­wohnheim „Am Beuthenberg“; 1928 leitete er mit Eugen Rosenstock-Hussey[98] (1888 bis 1973) in Schlesien das erste „Löwenberger Arbeitslager“ mit Arbeitern, Bauern und Studenten, wo er bereits einige der späteren Freunde aus dem Kreisauer Kreis kennenlernte. Im Sommer desselben Jahres folgte eine zweimonatige Expedition mit zwölf Jungarbeitern nach Skandinavien.

Im April 1929 wurde Reichwein leitender Pressesprecher und persönlicher Referent des preußischen Kultusministers, Carl Heinrich Becker[99] (1876 bis 1933), mit dem er gemeinsam die Akademisierung der Volksschullehrerausbildung in Preußen vorantrieb. Als Becker zu Beginn des Jahres 1930 von seinem Ministeramt enttäuscht zurücktrat, reichte Reichwein gleichfalls seinen Rücktritt ein und wurde zum Sommersemester selbst Professor für Geschichte und Staatsbürgerkunde an einer der neugegründeten Pädagogischen Akademien in Halle an der Saale. Im April 1933 wurde die von politischen Gegnern als „rote Akademie“ geschmähte Einrichtung geschlossen, Reichwein durch den neuen nationalsozialistischen Volksbildungs­minister Bernhard Rust[100] (1883 bis 1945) als „unerwünschter Hochschullehrer“ beurlaubt.

Reichwein, der anfänglich davon ausging, dass sich auch die neue Regierung wie ihre Vorgänger nicht lange werde halten können, schlug den Ruf auf eine Professur für Wirtschaftsgeographie an der Emigrantenhochschule in Istanbul aus. Stattdessen wurde er Lehrer an der einklassigen Volksschule in Tiefensee, eine Berliner Sommerfrische am Rande der Märkischen Schweiz. In den sechs Jahren seiner dortigen Tätigkeit entwickelte er sein Tiefenseer Schulmodell, das auf der Basis neuhumanistischer Bildungstheorie verschiedene reform­pädagogische Ansätze mit Erfahrungen aus der Jugendbewegung vereinte. Die Schüler lernten in Arbeitsgruppen durch erlebte Praxis und eigenes Schaffen – so auch der Titel, den Reichwein für sein reformpädagogisches Hauptwerk wählte, in dem er seine Tiefenseer Erfahrungen wissenschaftlich aufbereitete: „Schaffendes Schulwerk“ [erstmals Stuttgart/Berlin 1937]. Die Kinder erschlossen sich die Welt anhand gemeinsam gebauter Modelle, durch Werks- und Betriebsbesichtigungen, Museumsbesuche, Freiluftunterricht, Exkursionen und Ferienfahrten. 1951 schrieb Hans Bohnenkamp im Geleitwort zur Neuausgabe von Reichweins Schulschrift: „Auch die Eltern merkten die seelische Gelöstheit, die diese Schule ihren Kindern gab. Ein Vater, nach seinen Eindrücken befragt, antwortete: ‚Der Professor? Wissen Sie, der hat unsere Kinder frei gemacht.‘“[101]

Parallel begann Reichwein damit, die Möglichkeiten des neuen Mediums Unterrichtsfilm zu erforschen, zunächst im naturwissenschaftlichen Unterricht. 1934 wurde die Dorfschule in Tiefensee zur Versuchsschule der neugeschaffenen Reichsstelle für den Unterrichtsfilm[102] erklärt. Sein Werk „Film in der Landschule – Vom Schauen zum Gestalten“ [erstmals Stuttgart/Berlin 1938] wurde zum Standardwerk der frühen Medienpädagogik.

Reichwein war ein Mensch, der stets neugierig blieb und das Leben liebte. Seine lebendige und mitreißende pädagogische Arbeit konnte auch von Gegnern nicht infrage gestellt werden, wie drei Schulinspektionen belegten. Wolfgang Klafki urteilt über Reichweins pädagogisches Wirken in schwerer Zeit, bei dem er oft bis an die Grenze seiner Kraft ging:

„Es ist eine einmalige, unvergleichliche Leistung, daß Reichwein seine einklassige Landschule in Tiefensee in der Mark Brandenburg als eine humane Kinder- und Jugendschule unter den Bedingungen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems gestaltet hat, als eine weltoffene pädagogische Provinz, in der er – Ansätze der reformpädagogischen Bewegung aufgreifend und in origineller Weise fortführend – eine im Kern antinazistische Erziehung durch reich differenzierten, erfahrungs- und handlungsbetonten Unterricht und ein vielgestaltiges Schulleben entwickelte.“[103]

Reichwein wollte sich zunächst politisch nicht exponieren, nutzte 1938 aber die Möglichkeit zu einer vierwöchigen Vortragsreise nach England, wo er, beobachtet durch die deutsche Botschaft, über das „Ländliche Erziehungswesen in Deutschland“ referierte; einzelne seiner Gedanken nahmen spätere Entwicklungen im Zusammenhang mit den im Nachkriegsdeutschland verwirklichten Mittelpunktschulen auf.

Sein politischer Wille, der sein pädagogisches Wirken stets geleitet hatte, blieb jedoch wach. Je länger der Nationalsozialismus herrschte, desto stärker drängte es ihn, unmittelbarer im Widerstand zu wirken. So ließ er sich im Mai 1939 an das Staatliche Museum für deutsche Volkskunde in Berlin beurlauben und übernahm dort die Leitung der museums­pädagogischen Abteilung.[104] Reichwein erkannte die Bedeutung des Museums für einen lebensnahen Unterricht. Hatte er sich schon als Lehrer im Zusammenhang mit den Holz- und Webarbeiten seiner Schüler mit Fragen des Volkshandwerks und der Volkskunst beschäftigt, organisierte er nun vier große Schulausstellungen sowie Führungen und Praktika für Lehrer. Selbst unternahm Reichwein in dieser Zeit mehr als hundert museumspädagogische Vortrags- und Seminarreisen, die er auch zu oppositionellen Kontakten nutzte. Die Zeit seiner museumspädagogischen Tätigkeit war auch eine Zeit, die ihn immer stärker in den konspirativen Widerstand führte.

2.2.3         Politischer Werdegang

Obwohl Reichwein einer sozialdemokratischen Familie entstammte und Kontakt zum Kreis von Reformsozialisten hielt, der sich um die „Neuen Blätter für den Sozialismus“ gesammelt hatte und zu dem u. a. Paul Tillich, Fritz Klatt und Eduard Heimann zählten, trat er zunächst nicht der Sozialdemokratischen Partei bei. Mit seiner Sympathie für einen berufsständischen Gildensozialismus stand Reichwein am Rande der sozialdemokratischen Bewegung.[105] Zum Parteieintritt entschloss er sich – gegen den Rat einzelner Freunde – erst im Oktober 1930 unter dem Eindruck der Wahlerfolge der Nationalsozialisten. In der SPD sah Reichwein, der als Hochschullehrer sich stets ausdrücklich zur Weimarer Republik bekannt hatte, die einzige realistische politische Option, der es noch gelingen könne, „den neuen, lebensgefährlichen Kollektivismus der Blutjünger“[106] zu stoppen – so in einem Brief an seinen Freund, den Romanisten Ernst Robert Curtius.

Der Jurist und Ökonom Horst von Einsiedel (1905 bis 1947) knüpfte den Kontakt zu Reichwein, als sich 1938 ein oppositionell gesinnter Freundeskreis um Hellmuth James von Moltke und Peter Yorck von Wartenburg bildete: „Die Briefe [Moltkes an seine Frau Freya; Anm. d. Verf.] zeigen, wie wichtig Reichwein für die Entwicklung der Programmatik des Kreisauer Kreises und die kommunikative Abstimmung über Programm und Ziele war.“[107] Reichwein stieß sehr früh zum Kreisauer Kreis. Der ehemalige Akademieprofessor wurde als Kultusminister einer Regierung nach Hitler gehandelt und war maßgeblich am kulturpolitischen Programm der Widerstandsgruppe beteiligt.[108] Die Briefe von Moltkes sprechen davon, dass beide sich rund fünfzig Mal trafen, nach der Ausbombung in Berlin siedelte die Familie Reichwein 1943 gänzlich nach Kreisau auf das schlesische Gut von Moltkes über. Reichwein nahm an zwei der drei großen Tagungen des Kreisauer Kreises teil.

Äußerungen Reichweins zeigen, dass er sich des Risikos seiner Widerstandstätigkeit sehr bewusst war, aber auch bereit war, ein hohes Risiko zu tragen. Reichwein hatte Kontakte in den militärischen und bürgerlichen wie kommunistischen Widerstand hinein. Im Juni 1944 war Reichwein maßgeblich an einem Berliner Treffen mit Vertretern der illegalen Kommunistischen Partei beteiligt gewesen. Reichwein ging es darum, eine mögliche Kompromissfähigkeit im Widerstand auszuloten, vor allem mit jenen Kommunisten, die sich eine Eigenständigkeit gegenüber der Moskauer Exilführung bewahrt hatten. Weitergehende Pläne wie die Bildung einer Einheitsregierung lehnte er ab, hierfür waren die politischen Unterschiede zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten zu groß für ihn. Die Zusammenkunft wurde durch einen Spitzel, Ernst Rambow, verraten. Reichwein wurde daraufhin am 4. Juli 1944 auf dem S-Bahnhof Berlin-Heerstraße verhaftet und zunächst in die Strafanstalt Berlin-Görden eingeliefert. Durch Folter versuchte man, ihn dazu zu bringen, andere Mitverschwörer zu belasten. Reichwein ging seinem Prozess mit großer innerer Freiheit entgegen; noch am 20. Oktober 1944 schrieb er an seine Frau Rosemarie über die Haftzeit:

„Diese drei Monate sind für mich trotz aller Qual auch von großer innerer Bedeutung gewesen; sie haben vieles klären und hoffentlich auch läutern helfen, was man gern in seiner letzten Stunde geklärt und geläutert hat.“[109]

Der Schauprozess vor dem „Volksgerichtshof“ unter Roland Freisler, in dem Adolf Reichwein, Julius Leber und Hermann Maaß zum Tod durch den Strang verurteilt wurden, begann am 20. Oktober 1944 um 8 Uhr im Kammergericht in Berlin-Schöneberg. Noch am Nachmittag desselben Tages wurde das Unrechtsurteil in Berlin-Plötzensee vollstreckt.

Reichwein war davon überzeugt, dass Kultur und Bildung eine starke politische Bedeutung haben.[110] Reichwein ging es um eine innere Schulreform, doch beschäftigte er sich auch mit Fragen des Schulsystems, die er unter den Bedingungen des Nationalsozialismus jedoch nicht öffentlich vorantreiben konnte. Hätte er die Zeit der Diktatur überlebt, so wäre er sicher zu einer wichtigen Stimme beim Wiederaufbau eines demokratischen Bildungswesens geworden. Bei seinem Abschied aus Tiefensee schrieb er jedem Kind eine eigens gedichtete Losung ins Poesiealbum. Eine davon ist so etwas wie eine Kurzform seines pädagogischen Vermächtnisses, dem er bis zum Tod treu blieb:

        „Richte immer die Gedanken

        Fest und ohne schwaches Schwanken

        Auf das selbst gewählte Ziel!

        Hilft das Herz als Kompaß viel,

        Weist die Richtung in der Stille,

        Soll der selbst gestählte Wille

        Doch Dich stärken, fest zu halten

        Und dein Leben zu gestalten

        Nach den großen Tugendbildern,

        Die des Lebens Härte mildern:

        Güte allen Menschen zeigen,

        Wahrheit gegen jedermann,

        über andrer Fehler schweigen,

        Und nur wollen, was man kann.“[111]

 

Redner/Autor:

Axel Bernd Kunze (PD, Dr. theol., Dipl.-Päd., Zweite Staatsprüfung für das Lehramt für die Sek. II/I), Privatdozent für Erziehungswissenschaft, Schulleiter, Lehrbeauftragter in der Sozialen Arbeit und Kindheitspädagogik, Publizist; Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg, Burschenschaft Rheno-Germania zu Bonn, Mitglied im Bundesgericht des Schwarzburgbundes.




[1] Helmut Müller, Klaus Beyer (1988): Der Niedersächsische Landtag in den fünfziger Jahren. Voraussetzungen, Ablauf, Ergebnisse und Folgen der Landtagswahl 1955, Düsseldorf, S. 118 [zitiert von Manfred Blänkner am Anfang des Lebensbildes von Georg Diederichs, in: Ders., Axel Bernd Kunze (Hgg.) (2016): Rote Fahnen, bunte Bänder. Korporierte Sozialdemokraten von Lassalle bis heute, Bonn, S. 115].

[2] Ausführlicher hierzu: Axel Bernd Kunze (2011): Selbst denken! Zur „zeitgemäß unzeitgemäßen“ Bildungsaufgabe studentischer Korporationen, in: Die Schwarzburg. Mitteilungen des Schwarzburgbundes (SB), 120. Jg., H. 2, S. 15 – 21.

[3] Vgl. Florian Boeningk (2006): Korporierte Sozialdemokratie: Wesentliches zum Lassalle-Kreis, in: Blänkner, Kunze (2006), S. 295 – 305; Peter Gelbach, Bjoern Loeser (2006): Vom AKSK zum Lassalle-Kreis – Sozialdemokratische Korporierte in der Gegenwart, in: ebd., S. 306 – 310.

[4] Stefan Martin (Rez.) (2019): Befähigung zum Selbstdenken [Rez. zu: Axel Bernd Kunze: Bildung in der Demokratie. Warum wir pädagogischen Eigensinn und Freiheit brauchen, Bonn 2018], in: Akademische Blätter, 120. Jg., H. III, S. 18 f.

[5] Blänkner, Kunze (2016).

[6] Erhard Eppler (2016): Vorwort, in: Blänkner, Kunze (2016), S. 9 f., hier: 9.

[7] Nahezu prototypisch von Louis Fürnberg 1949 in seinem „Lied der Partei“ umgesetzt.

[8] Peter Lösche (1993): Kleine Geschichte der deutschen Parteien, Stuttgart, S. 10.

[9] Parteien verdanken nach Auffassung der sogenannten „Cleavage“-Theorie ihre – nicht selten komplementäre – Entstehung der Stabilisierung soziopolitischer Spannungslinien und Konflikte. Allerdings vermag diese Theorie besser zu erklären, warum bestimmte Parteien entstehen konnten, als umgekehrt, warum es in einem Land trotz einer vorhandenen Konfliktlage nicht zur Ausbildung einer entsprechenden Partei gekommen ist, möglicherweise weil eine „Unternehmerpersönlichkeit“ fehlte, die sich an die Spitze einer entsprechenden politischen Bewegung hätte setzen können. Klaus von Beyme ([2000]: Parteien im Wandel. Von den Volksparteien zu den professionalisierten Wählerparten, Wiesbaden, S. 79 – 88) benennt zehn Spannungslinien, die zur Bildung entsprechender Parteifamilien geführt haben. Demnach entstanden im neunzehnten Jahrhundert zunächst die vier Hauptströmungen, die sich bis heute durchtragen: (1.) Das erstarkte, nach Mitsprache strebende Bürgertum artikulierte sich in liberalen Parteien. (2.) Als Reaktion bildeten sich konservative Parteien, die für die Bewahrung der überkommenen Ordnung eintraten. (3.) Konflikte um die Bildung säkularer Nationalstaaten führten zur Formierung christlicher oder konfessioneller Parteien. (4.) Die Arbeiterbewegung brachte sozialistische oder sozialdemokratische Parteien hervor. (5.) In einigen Ländern führte der Stadt-Land-Konflikt zusätzlich zu eigenen Bauernparteien. (6.) Aus dem radikalen Flügel der sozialistischen Bewegung entstanden aufgrund von Differenzen über den Ersten Weltkrieg und die Haltung zur Oktoberrevolution kommunistische Parteien. (7.) Zeitgleich entwickelten sich zwischen den Weltkriegen aus einem Unbehagen über die moderne Massengesellschaft faschistische Parteien, die sich selbst als „Bewegung“ verstanden (der Nationalsozialismus in Deutschland ging den eigenen Weg eines völkischen Nationalismus zwischen Faschismus und Bolschewismus). (8.) Als Neuerung nach dem Zweiten Weltkrieg formierten sich christdemokratische Parteien, die sich als überkonfessionelle Sammlungsbewegung mit christlich-konservativem Wertbewusstsein verstanden. (9.) Im Rahmen der Ökologiebewegung bildeten sich schließlich – sehr heterogene – grüne Parteien heraus. Deren Auftreten wiederlegte die politikwissenschaftliche These der nach dem Zweiten Weltkrieg vermeintlich „eingefrorenen Parteiensysteme“. Vielfach findet sich in den grünen Parteien eine starke Ausrichtung an postmaterialistischen Werten. In Deutschland schlossen sich die Grünen mit der Bürgerrechtsbewegung der Achtzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts zusammen. (10.) Minderheitenkonflikte zwischen Zentrum und Peripherie, die sich mitunter bis zum Absolutismus zurückverfolgen lassen, können der Nährboden für ethnische oder Regionalparteien sein. Diese überlagern nicht selten andere Konfliktlinien und liegen quer zu den genannten Parteifamilien.

[10] Oswald von Nell-Breuning (1957): Zeitfragen, Freiburg i. Brsg., S. 270.

[11] Die Veränderungen in den Parteien ergeben keineswegs ein widerspruchsfreies Bild. Doch fällt auf, dass inzwischen die traditionelle Mitgliederpartei, die sich als vorherrschendes Parteienmodell in der Nachkriegszeit durchsetzen konnte, auf dem Prüfstand steht. Diese basiert auf einer breiten Mitgliederbasis und einer nahezu flächendeckenden Partei­organisation. Noch ist keineswegs entschieden, ob sich die bisherigen Mitgliederparteien auf niedrigem Niveau stabilisieren werden oder ob sich ein ganz neuer Parteityp herausbilden wird: eine professionalisierte Wählerpartei, die sich vorrangig als Zusammenschluss professioneller Politiker und Mandatsträger begreift. Sollte sich der letztgenannte Trend durchsetzen, würden die Verbindungen zwischen Partei und Wählerschaft zunehmend lockerer, die Kommunikation zwischen Regierenden und Wählern parteiunabhängiger. Die Parteien erhielten stärker selbstreferentiellen Charakter. Der professionalisierte Politikertypus bezieht seinen politischen Einfluss über die Partei, nicht über eigene Wirtschaftsmacht oder Bildungstitel (die Alternative für Deutschland versucht an dieser Stelle gegenzusteuern, indem Kandidaten vor ihrer Nominierung über ihre berufliche Erfahrung außerhalb von Parteien Auskunft geben müssen). Kennzeichnend für die professionalisierte Wähler- oder Rahmenpartei ist eine hohe Responsivität, mit der auf die veränderten Bedingungen einer sich wandelnden Stimmungs- und Verhandlungsdemokratie zu reagieren versucht wird. Der Politiker wird zum Politikmanager, der nach einem Regierungsamt strebt, quasi als Form staatlicher Risikoabsicherung. Damit einher geht der Trend, Kontrolle zunehmend auf staatliche oder mediale Institutionen zu verlagern; die Kontrollwirkung der Parteibasis geht zurück. Die Wahlkämpfe präsen­tieren sich als kapitalintensive, an medialer Wirkung orientierte, professionalisierte Kampagnen. Sponsoring ersetzt die Mitgliedsbeiträge, das inszenierte Event das gesellschaftliche Gespräch.

[12]  Abraham de Swaan (1993): Der sorgende Staat. Wohlfahrt, Gesundheit und Bildung in Europa und den USA der Neuzeit, Frankfurt a. M./New York, S. 249.

[13] Beide Zitate: Ebd., S. 256.

[14]  Colin Crouch (102013): Postdemokratie, Frankfurt a. M., S. 95.

[15]  Alexander Hamilton, James Madison, John Jay (1993): Die „Federalist Papers”, eingel., übers. und m. Anm. vers. v. Barbara Zehnpfennig, Darmstadt, S. 95 (Madison [Pseudonym: Publius], Nr. 10).

[16] Ebd., S. 94.

[17] Ebd., S. 96.

[18] Peter Graf Kielmannsegg (2015): Erwartungen, Enttäuschungen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 7. September, S. 6.

[19] Vgl. Bodo Zeuner (1969): Innerparteiliche Demokratie, Berlin, S. 12 – 16.

[20] Vgl. Elmar Wiesendahl (1980): Parteien und Demokratie. Eine soziologische Analyse paradigmatischer Ansätze der Parteienforschung, Opladen, S. 188.

[21] Vgl. Ulrich von Alemann (2000): Das Parteiensystem der Bundesrepublik Deutschland, Opladen, S. 205 – 208.

[22] Vgl. Axel Bernd Kunze (2005): Parteien zwischen Affären und Verantwortung. Anforderungen an eine Verantwortungsethik politischer Parteien aus christlich-sozialethischer Perspektive, Münster i. Westf., S. 274 – 277.

[23] Vgl. Axel Bernd Kunze (2017): Art. Christliche Bildungs- und Erziehungsverbände, in: Staatslexikon. Recht – Wirtschaft – Gesellschaft, Bd. 5, Freiburg i. Brsg., Sp. 1059 – 1066, hier: 1065; Axel Bernd Kunze (2013): Befähigung zur Freiheit. Beiträge zum Wesen und zur Aufgabe von Bildungs- und Erziehungsgemeinschaften, München.

[24] Thomas Leif (2002): Mehr Konzeptionen wagen. Wie mehr Bürgerbeteiligung eine Renaissance der Politik einleiten könnte, in: Gewerkschaftliche Monatshefte, 53. Jg., S. 671 – 681, hier: 673.

[25] In der SPD rief der seinerzeitige Bundesgeschäftsführer, Peter Glotz, 1981 eine eigene Historische Kommission beim Parteivorstand ins Leben, die ausdrücklich der innerparteilichen Identitätspflege und der Rückbesinnung auf die eigenen historischen Traditionen dienen sollte. Die Kommission wurde 2018 vom Parteivorstand aus Kostengründen eingestellt, was die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprechend mit einem Gedächtnisverlust der Partei verglich: Vgl. Paul Ingenday (2018): Das Gedächtnis der SPD soll abgeschafft werden, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 6. August. Die Historikerin Christina Morina organisierte im Sommer 2018 einen Offenen Brief gegen den Auflösungsbeschluss: Keine Zukunft ohne Geschichte. Offener Brief an den SPD-Parteivorstand, online veröffentlicht unter: https://docs.google.com/forms/d/e/1FAIpQLSc7oDBUSq-QhhEd_-y7yr0MYhwyGkRToVfNHC7A3n7VxcvSHw/viewform [Zugriff: 24.01.2019]. Am 13. Februar 2019 vermeldete die Frankfurter Allgemeine (SPD behält historische Kommission, S. 5), dass der SPD-Parteivorstand ein „Geschichtsforum“ als Nachfolgeorganisation einrichten wolle. Die Zeitung zitiert den Geschichtsbeauftragten der Partei, Dietmar Nietan, mit den Worten: „Es gehe […] um die Frage, ‚wie wir das so dringend notwendige Geschichtsbewusstsein in den Zeiten einer permanenten politischen Erregung‘ auf der Grundlage von Argumenten wieder stärker verankern können.“

[26] Das aktuelle Grundsatzprogramm der SPD formuliert das geschichtliche Selbstverständnis folgendermaßen: „Die deutsche Sozialdemokratie, die älteste demokratische Partei in Deutschland, war immer Teil einer internationalen Freiheitsbewegung. Nach ihrer Gründung war sie beides: Emanzipationsbewegung der Arbeiter und Demokratiebewegung, die den Obrigkeitsstaat überwinden sollte. Sie war es, die in Deutschland die Ideen der Französischen Revolution und der Revolution von 1848 weiterführte. Demokratiegeschichte ist in Deutschland von der Geschichte der Sozialdemokratie nicht zu trennen. Sie hat Freiheitsrechte und Demokratie erstritten, das Frauenwahlrecht erkämpft, sich jeder Diktatur widersetzt. Sie hat schon früh die Gefahr des Nationalsozialismus erkannt und im Reichstag das Ermächtigungsgesetz abgelehnt. Viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten leisteten Widerstand und wurden Opfer des NS-Terrors. Der Wille zur Freiheit machte den Bruch mit den Kommunisten unausweichlich. Die Wiedergründung der Sozialdemokratie in der DDR war ein Signal für die Freiheit. Die Sozialdemokratie entstand als Teil der Arbeiterbewegung. Sie hat Arbeiterrechte erstritten, den Sozialstaat ausgebaut und zusammen mit den Gewerkschaften aus verachteten Proletarierinnen und Proletariern gleichberechtigte und selbstbewusste Staatsbürgerinnen und Staatsbürger gemacht. […] Unsere Geschichte ist geprägt von der Idee des demokratischen Sozialismus, einer Gesellschaft der Freien und Gleichen, in der unsere Grundwerte verwirklicht sind. Sie verlangt eine Ordnung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, in der die bürgerlichen, politischen, sozialen und wirtschaftlichen Grundrechte für alle Menschen garantiert sind, alle Menschen ein Leben ohne Ausbeutung, Unterdrückung und Gewalt, also in sozialer und menschlicher Sicherheit führen können“ (Hamburger Programm. Grundsatzprogramm der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Beschlossen auf dem Hamburger Bundesparteitag der SPD am 28. Oktober 2007, hg. vom SPD-Parteivorstand, o. O. [Berlin] 2007, S. 13. 17).

[27] Vgl. Kunze (2005), S. 312 – 317.

[28] Hamburger Programm (2007), S. 14 f.

[29] Exemplarisch untersucht am Beispiel Luckenwalde bei Heiko Tammena (2000): „Unser schönes rotes Luckenwalde“. Lager, Milieu und Solidargemeinschaft der sozialistischen Arbeiterbewegung zwischen Ausgrenzung und Verstaatlichung, Münster i. Westf. Tammena zeichnet am Beispiel der brandenburgischen Kreisstadt nach, wie das sozialistische Arbeitermilieu die nationalsozialistische Herrschaft überdauern konnte, dann aber unter den politischen Bedingungen der DDR nachhaltig verschwand.

[30] Eberhard Fuchs unter Mitarbeit von Manfred Blänkner und Axel Bernd Kunze (2016): Ferdinand Lassalle, in: Blänkner, Kunze (2016), S. 35 – 50. – Ferdinand Lassalle (geb. am 11. April 1825 in Breslau, verst. am 31. August 1864 in Carouge/Genf; Gründer des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins; Breslauer Burschenschaft der Raczeks).

[31] Auch Wilhelm Liebknecht, Gründer der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) war korporiert gewesen (geb. am 29. März 1826 in Gießen, verst. am 7. August 1900 in Berlin-Charlottenburg; Corps Rhenania Gießen, Corps Hasso-Nassovia Marburg im KSCV).

[32] Herausgegeben im Auftrage des Lassalle-Kreises von Manfred Blänkner (Hamburger und Göttinger Wingolf, Wingolfsbund) und Axel Bernd Kunze (Leipziger Burschenschaft Alemannia zu Bamberg, verbandsfrei; Burschenschaft im CCB im SB Rheno-Germania Bonn, Schwarzburgbund).

[33] Ludwig Bergsträsser (geb. am 23. Februar 1883 in Altkirch/Elsass, verst. am 23. März 1960 in Darmstadt; Historikerk und Politikwissenschaftler, Reichtstags- und Bundestagsabgeordneter; VDSt Heidelberg); Eduard David (geb. am 11. Juni 1863 in Ediger/Mosel, verst. am 24. Dezember 1930 in Berlin; erster Präsident der Weimarer Nationalversammlung, Reichsminister; Burschenschaft Arminia Gießen im ADB).

[34] Wilhelm Blos (geb. am 5. Oktober 1849 in Wertheim, verst. am 6. Juli 1927 in Stuttgart-Cannstatt; Staatspräsident von Württemberg, Reichstagsabgeordneter; Corps Rhenania Freiburg); Georg Diederichs (geb. am 2. September 1900 in Northeim, verst. am 19. Juni 1983 in Hannover; niedersächsischer Ministerpräsident; Corps Hercynia Göttingen); Dieter Haak (geb. am 18. März 1938 in Breckerfeld, verst. am 10. Mai 2012 in Cork/Irland; SPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag Nordrhein-Westfalen, Landesminister in Nordrhein-Westfalen; Tübinger und Bonner Wingolf); Harald Koch (geb. am 4. März 1907 in Rüstringen, verst. am 18. September 1992 in Dortmund; Landesminister in Oldenburg und Hessen; Burschenschaft Alemannia Freiburg); Hinrich Wilhelm Kopf (geb. am 6. Mai 1893 in Neuenkirchen, verst. am 21. Dezember 1961 in Göttingen; niedersächsischer Ministerpräsident; Verbindung Lunaburgia Göttingen im Miltenberger Ring); Rolf Krumsiek (geb. am 31. August 1934 in Obernkirchen, verst. am 23. Oktober 2009 in Münster/Westf.; Landesminister in Nordrhein-Westfalen, Jurist; Schwarzburgverbindung Teutoburg Münster und Burschenschaft Germania Göttingen).

[35] Eugen Keidel (geb. am 4. September 1909 in Mannheim, verst. am 31. Dezember 1991 in Freiburg/Brsg.; Oberbürgermeister von Freiburg i. Brsg.; Corps Rhenania Freiburg), sein Lebensbild war für den genannten Band in Planung, konnte aber nicht realisiert werden.

[36] Wilhelm (Willy) Aron (geb. am 3. Juni 1907 in Bamberg, verst. am 19. Mai 1933 in Dachau, ermordet im KZ; Justizreferendar, Burschenbund Wirceburgia, Burschenbund Südmark in München); Adolf Reichwein (geb. am 3. Oktober 1898 in Bad Ems, hingerichtet am 20. Oktober 1944 in Berlin-Plötzensee; Reformpädagoge, Volkskundler, Kulturpolitiker und Mitglied des Kreisauer Kreises; Akademische Vereinigung Marburg).

[37] So hing Adolf Reichwein der Minderheitenposition eines Gildensozialismus an. Eine Reihe der im Band portraitierten Sozialdemokraten vertraten einen christlichen Sozialismus (z. B. Paul Tillich und Christoph Friedrich Blumhardt).

[38] Georg Herwegh (geb. am 31. Mai 1817 in Stuttgart, verst. am 7. April 1875 in Lichtental; Dichter des Vormärz; Königsgesellschaft der Patrioten Tübingen); Ulrich Karl Paul Rauscher (geb. am 26. Juni 1884 in Stuttgart, verst. am 18. Dezember 1930 in St. Blasien; Pressechef der Reichsregierung 1919; Corps Suevia Heidelberg).

[39] Fritz Bauer (geb. am 16. Juli 1903 in Stuttgart, verst. am 30. Juni 1968 in Frankfurt am Main; Jurist und Generalstaatsanwalt in Hessen; Freie Wissenschaftliche Vereinigung Heidelberg und München).

[40] Johann Jacoby (geb. am 1. Mai 1805 in Königsberg i. Ostpreußen, verst. am 6. März 1877 in Königsberg i. Ostpreußen); Arzt und Politiker; Corps-Landsmannschaft Littunia Königsberg).

[41] Detlev Karsten Rohwedder (geb. am 16. Oktober 1932 in Gotha, verst. am 1. April 1991 in Düsseldorf; Politiker und Industriemanager; Leipziger Universitätssängerschaft St. Pauli zu Mainz); Klaus Schucht (geb. am 25. Februar 1930 in Breslau, verst. am 18. Januar 2001 in Films/Schweiz; Wirtschaftsmanager und Politiker; Corps Silesia Breslau zu Köln und Aachen).

[42] Adolf Reichwein.

[43] Christoph Friedrich Blumhardt (geb. am 1. Juni 1842 in Möttlingen, verst. am 2. August 1919 in Jebenhausen; Theologe; Normannia Tübingen); Paul Tillich (geb. am 20. August 1886 in Starzeddel, verst. am 22. Oktober 1965 in Chicago; Theologe und Religionsphilosoph; Berliner und Hallenser Wingolf); Julius Ewald Ernst Wilm (geb. am 27. August 1901 in Reinswalde, verst. am 1. März 1989 in Lübbecke; Theologe; Tübinger Wingolf).

[44] Karl Barth (geb. am 10. Mai 1886 in Basel, verst. am 10. Dezember 1968 in Basel; Theologe; Studentenverbindung Zofingia Bern); Paul Tillich (geb. am 20. August 1886 in Starzeddel, verst. am 22. Oktober 1965 in Chicago; Theologe und Religionsphilosoph; Berliner und Hallenser Wingolf); Ferdinand Tönnies (geb. am 26. Juli 1855 bei Oldeswort, verst. am 9. April 1936 in Kiel; Soziologe und Nationalökonom; Burschenschaft auf dem Burgkeller Jena).

[45] Alexander Voigt, Manfred Blänkner (2016): Hinrich Wilhelm Kopf, in: Blänker, Kunze (2016), S. 160 – 172, hier: 170.

[46] Vgl. Christine Hohmann (2007): Dienstbares Begleiten und später Widerstand. Der nationale Sozialist Adolf Reichwein im Nationalsozialismus, Bad Heilbrunn.

[47] Vgl. Stefan Vogt (2008): Der nationale Sozialismus der sozialdemokratischen Jungen Rechten, in: reichwein forum, Nr. 13, S. 31 – 40.

[48] Vgl. Stefan Cramme (2017): Die Betreuung der Werkausgabe seitens der BBF – Editionsprozess, in: reichwein forum, Nr. 21, S. 8 – 11; Heinz-Elmar Tenorth (2017): Adolf Reichwein in der Pädagogik – Der Nutzen der Werkausgabe für die Pädagogische Forschung, in: reichwein forum, Nr. 21, S. 26 – 32.

[49] Dieter Wunder (2017): Erkundungen zur politisch-ideologischen Ortsbestimmung des Intellektuellen Adolf Reichwein in der Öffentlichkeit der Weimarer Republik, in: reichwein forum, Nr. 21, S. 15 – 26, hier: 24 f.

[50] Konrad Vanja (2017): War Reichwein ein Volkskundler?, in: reichwein forum, Nr. 21, S. 32 – 37, hier: 37.

[51] Heinz-Elmar Tenorth, [Einzelzitat], in: reichwein forum, Nr. 21, S. 37. In ähnlicher Weise urteilt Peter Steinbach über Reichweins Rolle als Widerstandskämpfer: „Die Irritationen, die manche seiner Äußerungen aus den Jahren 1933 – 1938 hervorzurufen vermögen, spiegeln die Herausforderungen einer bewussten politischen Existenz in der Diktatur. Sie müssen aus Zeitbezügen und Argumentationskontexten interpretiert werden“ (Peter Steinbach [2017]: Die Stellung Adolf Reichweins im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, in: reichwein forum, Nr. 21, S. 42 – 57, hier: 56).

[52] Wunder (2017), S. 19. Eduard Bernstein (1850 bis 1932) war Mitverfasser des Erfurter Programms der SPD von 1891. Im Gegensatz zur damals vorherrschenden programmatischen Ausrichtung der Partei hielt er Klassenkampf und eine Abschaffung des Kapitalismus für überholt. Sozialreformen innerhalb der bestehenden Produktionsweise sollten die Situation der Arbeiter zunehmend verbessern und deren Lebensstandard heben. Wichtigstes Sprachrohr revisionistischer Positionen innerhalb der SPD waren die „Sozialistischen Monatshefte“ (1897 bis 1933, herausgegeben von Joseph Bloch, Verlag der Sozialistischen Monatshefte, Berlin), für die auch Reichwein tätig war.

[53] Ebd., S. 22.

[54] Nach einer Entscheidung der Herausgeber konzentriert sich der Band auf Genossen, die Zeit ihres Lebens sowohl der SPD als auch ihrer Verbindung die Treue hielten, halten konnten und halten durften. Daher fehlt dann beispielsweise ein Name wie Ernst Reuter. Der spätere Regierende Bürgermeister von Berlin trat 1907 der Schwarzburgverbindung Frankonia Marburg im Schwarzburgbund bei. Doch interessierten ihn mehr die politischen und philosophischen Debatten innerhalb des Bundes als das ritualisierte Verbindungsleben. Zunehmend kam es zu einer Entfremdung zwischen ihm und seinen Bundesbrüdern. Einerseits gab es Vorbehalte gegen Reuter, da man argwöhnte, er wolle die Verbindung nach links führen; andererseits ließ Reuter Sympathien für Ideale der Abstinenzlerbewegung erkennen.

[55] Zum Beispiel Allgemeiner Deutscher Burschenbund (ADB), Burschenbundsconvent (BC), Kösener Senioren-Convents-Verband (KSC), Miltenberger Ring (MR), Schwarzburgbund (SB), Verband der Vereine Deutscher Studenten-Kyffhäuserverband (VVDSt-KV) und Wingolfsbund (WB).

[56] Christoph Dowe (Rez.) (2016): Rote Burschenherrlichkeit? Korporierte Sozialdemokraten von Ferdinand Lassalle bis Detlev Karsten Rohwedder, in Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 13. September.

[57] www.lassalle-kreis.de [Zugriff: 06.03.2019].

[58] Axel Bernd Kunze (Red.) (2010): Bekannte korporierte Sozialdemokraten, hg. vom Vorstand des Lassalle-Kreises anlässlich der Lassalle-Tagung 2010 in Tübingen, Tübingen.

[59] Ergänzt wurden die Lebensbilder korporierter Sozialdemokraten aus der früheren bis neueren Parteigeschichte um „Gedanken sozialdemokratischer Korporierter heute“ (Blänkner, Kunze [2016], S. 237 – 278), ein Streitgespräch über die Zukunftsfähigkeit von Männerbünden in der Verbindungslandschaft (ebd., S. 279 – 291) und drei Beiträge zur Entwicklung und zum Auftrag des Lassalle-Kreises (ebd., S. 293 – 313). Angesprochen werden im weiteren Verlauf des Bandes u. a. das gegenwärtige Verhältnis der Sozialdemokratie zu Studentenverbindungen, die politische Ausrichtung der Verbindungslandschaft, biographische Gründe, die zum Eintritt in eine Verbindung geführt haben, oder die Rolle von Damenverbindungen heute. Den Herausgebern war es wichtig, den Band so zu platzieren, dass er nicht ausschließlich im couleurstudentischen und studentengeschichtlichen Rahmen wahrgenommen wird. Ein Verleger (vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Debatte war seine seine Aussage im Vorgespräch besonders bemerkenswert – hier frei wiedergegeben: „Es gibt in Deutschland zwei nationale Befreiungsbewegungen: SPD und Burschenschaft“) bekundete Interesse, wollte aber den Blick auf die Sozialdemokratie in Österreich ausweiten, was angesichts der anders gelagerten Debattenlage innerhalb der österreichischen Sozialdemokratie nicht so einfach möglich ist. Die endgültige Verlagswahl wurde nicht zuletzt durch einen ähnlich aufgebauten Sammelband beeinflusst, der ein Jahr früher im Bonner Verlag J. H. W. Dietz Nachf. erschienen war: Christian Krell (Hg.) (2015): Vordenkerinnen und Vordenker der Sozialen Demokratie. 49 Porträts, Bonn. Der SPD-eigene Vorwärts-Verlag fiel aus, nachdem dort die Buchsparte eingestellt worden war. Der Band fand über ein weitgespanntes politisches Spektrum hinweg Beachtung, wie die Breite an Rezensionen zeigt – diese reichten vom „Neuen Deutschland“ (Heinz Niemann [Rez.] (2016): „Mit Schmissen im Jesicht“. Manfred Blänkner und Axel Bernd Schulz [sic!] über korporierte Sozialdemokraten, in: Neues Deutschland v. 18. Oktober) auf der einen bis zur Wochenzeitung „Junge Freiheit“ (Christian Vollradt [Rez.] (2016): Genossen mit Schmiß. Ein Sammelband über die Korporierten in der SPD, in: Junge Freiheit v. 14. Oktober) auf der anderen Seite.  

[60] Der genaue Todestag ist bis heute strittig. Die Verwaltung des Konzentrationslagers Dachau gab den 19. Mai an, weitere Zeugen nannten später den 17. Mai.

[61] Gegründet am 5. November 1885 als Wissenschaftlich-gesellige Vereinigung; Farben: rot-blau-weiß; Wahlspruch: Amicitia scientia veritas!

[62] Gegründet am 31. August 1919 in Berlin unter maßgeblicher Beteiligung von Alten Herren der Wirceburgia: „Als einziger farbentragender und schlagender Verband vertrat er nicht nur den Grundsatz der Parität, sondern bekannte sich auch offen zur neuen politischen Ordnung der Weimarer Reichsverfassung. Dies ist auch ersichtlich aus der Zugehörigkeit vieler seiner Mitglieder zu den staatstragenden Parteien der Republik im gemässigt [sic!] konservativen bis linken Spektrum von Deutscher Volkspartei (DVP), Deutscher Demokratischer Partei (DDP), Zentrumspartei und Sozialdemokratischer Partei Deutschlands (SPD) sowie zum republikanischen Schutzverband Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ (Thomas Schindler [2007]: Der unbekannte Wilhelm Aron: Jude, Sozialdemokrat und Waffenstudent, in: Andreas Dornheim, Thomas Schindler [2007]: Wilhelm Aron (1907 – 1933). Jude, NS-Gegner, Sozialdemokrat und Verbindungsstudent, Bamberg, S. 81 – 105, hier: 87).

[63] Vgl. Andreas Dornheim (2007): Zwischen Bürgertum, Sozialismus und NS-Gewalt – Annäherungen an Wilhelm Aron, in: Ders., Schindler (2007), S. 9 – 69, hier: 20.

[64] Zitiert nach: Georg Grosch [1987]: Willy Aron, in: Gerhard C. Krischker: Bambergs unbequeme Bürger,
Bamberg: Collibri, S. 25 - 28 (Quellenanhang: 29 f.), hier: S. 25.

[65] Georg Grosch (1906 bis 1987): Gewerkschafter und Mitglied der SAJ (zeitweilig SAJ-Unterbezirksvorsitzender in Bamberg), ab 1925 Mitglied der SPD; vor dem Nationalsozialismus Redaktionsangestellter bei der Bamberger SPD-Zeitung „Der Freistaat“, Kriegsdienst bei der Luftwaffe, französische Kriegsgefangenschaft, von 1946 bis 1948 hauptamtlicher Parteisekretär, 1948 bis 1956 und 1960 bis 1972 Dritter Bürgermeister in Bamberg; 1933 kurzzeitig Mitglied des Bamberger Stadtrates, 1952 bis 1966 Mitglied des Bayerischen Landtages.

[66] Zur familiären Herkunft Arons vgl. Dornheim (2007), S. 10 – 15.

[67] Vgl. ebd., S. 49 f.

[68] Vgl. ebd., S. 27.

[69] Vgl. ebd., S. 30 – 35.

[70] Vgl. ebd., S. 35 f.

[71] Dies lässt auch ein Foto erkennen, das sich im Archiv der SPD Bamberg-Stadt befindet: https://lassalle-kreis.de/content/wilhelm-willy-aron-1907-1933 [Zugriff: 06.03.2019].

[72] Vgl. Dornheim (2007), S. 38 – 44.

[73] Schutzstaffel.

[74] Vgl. ebd., S. 44 – 49.

[75] Ebd., S. 51.                    

[76] Monika Bieber, Axel Bernd Kunze (2006): Gedenkreden zum 70. Todestag Willy Arons am 15. Mai
2003, o. O. (Bamberg); Onlineausgabe verfügbar unter: http://www.willy-aron-gesellschaft.de/assets/files/2006-3-Arbeitspapier03_2006.pdf [Zugriff: 06.03.2019]. Vgl. auch Axel Bernd Kunze, Hendrik Leuker (2008): Aufruf zur Zivilcourage. Ein Themenabend am 8. Mai
2008, o. O. (Bamberg); Onlineausgabe verfügbar unter: http://www.willy-aron-gesellschaft.de/assets/files/2008-7-Arbeitspapier07_2008.pdf [Zugriff: 06.03.2019].

[78] Mit einer Gedenkfeier am „Stolperstein“, der in Bamberg an Willy Aron erinnert, begann am 30. März 2011 die Gründung der fränkischen Regionalgruppe des Lassalle-Kreises. Der Erste Vorsitzende der Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg e. V., Nikolai Czugunow-Schmitt, und der Gründungssprecher der Regionalgruppe Franken des Lassalle-Kreises, Axel Bernd Kunze, hielten zwei kurze Gedenkreden. Czugunow-Schmitt überlegte in seiner Rede, was aus Willy Aron geworden wäre, wenn er den Nationalsozialismus überlebt hätte; vielleicht hätte er sich in der frühen Bundesrepublik als Jurist auf ähnliche Weise engagiert wie Fritz Bauer. Gemeinsam wurde Willy Aron in einer Schweigeminute gedacht und eine Rose an seinem „Stolperstein“ niedergelegt. Als Gäste konnten bei der Gedenkfeier u. a. der Bamberger Diözesanbeauftragte für das Martyrologium des zwanzigsten Jahrhunderts, Alwin Reindl, und eine Schülerin, die an einer Facharbeit über Willy Aron arbeitete, begrüßt werden. Die Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg und der fränkische Lassalle-Kreis vereinbarten, künftig vertrauensvoll zusammenzuarbeiten und das Gedenken an Willy Aron gemeinsam zu pflegen, unter anderem durch den Einsatz für das geplante Mahnmal „Bamberger Widerstand“.

[79] Das von der Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg e. V. initiierte und vom Bamberger Bildhauer Albert Ultsch geschaffene Mahnmal zeigt auf drei Stelen die Büsten dreier Widerstandskämpfer, die exemplarisch die Bandbreite des Bamberger Widerstandes vertreten: Willy Aron steht für den sozialistischen, der Rechtsanwalt Hans Wölfel für den christlichen und Claus Schenk Graf von Stauffenberg für den militärisch-konservativen Widerstand. Der ursprüngliche Plan, das Denkmal auf Universitätsgelände zu errichten, wurde aufgrund von Protesten gegen dessen Konzeption, die verschiedenen Richtungen des Widerstands gemeinsam zu ehren, fallen gelassen. Das Mahnmal des Bamberger Widerstandes wurde am 25. Juni 2016 im Harmoniegarten eingeweiht. Weitere Informationen: http://www.willy-aron-gesellschaft.de/Mahnmal.html#menu1-z [Zugriff: 06.03.2019].

[80] Der Ausstellungskatalog ist als Band 1/2018 der Publikationsreihe „Arbeitspapiere der Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg e. V.“ erschienen: Daniel Manthey, Mechthildis Bocksch/Andreas Ullmann (Hg.); Mechthildis Bocksch/Axel Bernd Kunze (Red.) (2018): „Wölfel, Aron, Stauffenberg – Formen des Widerstandes“. Ausstellungseröffnung am 7. Februar 2014, 2., korr., überarb. u. erg. Ausgabe, o. O. (Bamberg); Onlineausgabe: http://www.willy-aron-gesellschaft.de/assets/files/2018_1-ueberarbeitetes%20und%20ergaenztes%20Arbeitspapier%202014_1.pdf [Zugriff: 06.03.2019]. Die Willy-Aron-Gesellschaft Bamberg e. V. hat eine vierzehnteilige, ausleihbare Wanderausstellung zum Bamberger Widerstand konzipiert. Die Bildtafeln beleuchten einerseits den ideologischen Hintergrund des Nationalsozialismus sowie die Rolle von Militär, Justiz und Religion im NS-Staat, andererseits das Leben und Wirken der drei Bamberger Widerstandskämpfer Willy Aron, Hans Wölfel sowie Claus Schenk Graf von Stauffenberg. Am Ende der Ausstellung wird gezeigt, wie die Bamberger Akteure innerhalb der verschiedenen Gruppen und Kreise des deutschen Widerstandes vernetzt waren. Die Ausstellung wurde konzipiert durch die Bamberger Historiker Daniel Dorsch und Andreas Ullmann, die Dramaturgin am städtischen E.T.A.-Hoffmann-Theater, Anja Simon, sowie die Bamberger Pädagogen Erhard Schraudolph und Mechthildis Bocksch. Getragen wird das Ausstellungsprojekt, das u. a. durch die Oberfrankenstiftung gefördert wird, neben der Willy-Aron-Gesellschaft durch das Bamberger E.T.A.-Hoffmann-Theater, die Initiative Widerstands-DokuZentrum, die Katholische Erwachsenenbildung in der Stadt und im Landkreis Bamberg e. V., den Förderkreis zur Pflege des Erinnerns an Hans Wölfel e. V., die Projektabteilung im Erzbistum Bamberg sowie die Bamberger SPD.

[81] Vgl. Schindler (2007), S. 89 – 92.

[82] Günther Berger (bearb. v. Thomas Schindler) (1998): Wirceburgia 1928. Ein Fuchsensemester in einer paritätischen Verbindung, in: GDS-Archiv für Hochschul- und Studentengeschichte, Bd. 4, Köln, S. 7 – 19, hier: 13. Günther Berger schied nach seinem Fuchsensemester wieder aus der Wirceburgia aus, da er sein Studium in seiner Heimatstadt Breslau fortsetzte und dort dem Burschenbund Alemannia beitrat.

[83] Vgl. ebd., S. 95. Ein Foto des Eintrags findet sich in Dornheim, Schindler (2007), S. 77.

[84] Vgl. Schindler (2007), S. 95 – 97.

[85] Sturmabteilung der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP).

[86] Der Burschenbund Wirceburgia erfuhr in den Zwanzigerjahren der Weimarer Republik trotz erlebter Ausgrenzung von Seiten der Würzburger Verbindungen eine Blütezeit und konnte als erster Bund im Burschenbundsconvent 1924 ein eigenes Korporationshaus in der Mergentheimer Straße 22 in Würzburg erwerben. Eine Abbildung des Hauses der Wirceburgia findet sich in Dornheim, Schindler (2007), S. 79.

[87] Zit. nach: Schindler (2007), S. 96.

[88] Adolf Reichwein (1993): Schaffendes Schulvolk – Film in der Schule. Die Tiefenseer Schulschriften – Kommentierte Neuausgabe (Reihe Pädagogik), hg. v. Wolfgang Klafki, Ulrich Amlung, Hans Christoph Berg, Heinrich Lenzen, Peter Meyer u. Wilhelm Wittenbruch, Weinheim/Basel; Wolfgang Klafki (Hg.) (2009): Schaffendes Schulvolk & Film in der Schule. Die Tiefenseer Schulschriften – Kommentierte Neuausgabe, Weinheim/Basel 2009. – Ein kurzgefasster Lebenslauf findet sich in Reichwein (1993), S. 383 – 385.

[89] Vgl. Volker Ullrich (2008): Der Kreisauer Kreis, Reinbek b. Hamburg, S. 39 – 41.

[90] Adolf Reichwein, Ende Juni 1944 [zitiert nach Alfred Valdmanis], Zitat entnommen: www.adolf-reichwein-verein.de [Zugriff: 25.01.2019].

[91] Vgl. Sigrid Bias-Engels (1988): Zwischen Wandervogel und Wissenschaft. Zur Geschichte von Jugendbewegung und Studentenschaft 1896 – 1920, Köln, S. 107 – 121.

[92] Der Pädagoge Robert von Erdberg übernahm 1920 das in Preußen neugeschaffene Referat für Volksbildung im Geschäftsbereich des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung. Als Vertreter der „Neuen Richtung“ innerhalb der Erwachsenenbildung nach dem Ersten Weltkrieg und Vertreter eines freien Volksbildungswesens engagierte er sich für die Volkshochschulbewegung und das Volksbibliothekswesen. Er war Mitbegründer des Hohenrodter Bundes (1923 bis 1930), der sich in der Weimarer Republik darum bemühte, die Theorie der Volksbildung weiterzuentwickeln.

[93] Der Pädagoge und Philosoph Hans Heinrich Wilhelm Bohnenkamp, Mitglied der Jugendbewegung und Teilnehmer am Freideutschen Jugendtag 1913 auf dem Hohen Meißner, wirkte zunächst als Gymnasiallehrer an verschiedenen Orten, dann als Professor in der Lehrerbildung in Frankfurt (Oder), Elbing und Cottbus. Obwohl er wegen seiner Mitgliedschaft in der SA und der NSDAP zunächst Schwierigkeiten bei der Entnazifizierung hatte, wurde er 1946 Gründungsdirektor der Pädagogischen Hochschule Celle, die durch sein Eintreten den Namen Adolf-Reichwein-Hochschule erhielt (die Hochschule zog 1953 nach Osnabrück um). Bohnenkamp trat nach dem Zweiten Weltkrieg der SPD bei. Bis 1972 verwaltete er das Adolf-Reichwein-Archiv.

[94] Vgl. Hans Bohnenkamp (1951): Geleitwort zur Neuausgabe 1951 [zu: Adolf Reichwein, Schaffendes Schulvolk], wiederabgedruckt in: Adolf Reichwein (1993), S. 21 – 24.

[95] Hans Bohnenkamp (1949): Gedanken an Adolf Reichwein, Braunschweig/Ber­lin/Hamburg, S. 16.

[96] Diese blieb allerdings immer an seine pädagogische Arbeit rückgebunden – so das Urteil Vanjas, der die Frage gestellt hat, ob Reichwein als Volkskundler bezeichnet werden könne: „Es war Reichwein wichtiger, dass der Mensch einen individuellen Zugang zur gegenständlichen Welt findet, die Volkskunde oder Volkskunst sollte ihm dabei helfen. Alle seine intensiven Bemühungen zeigen dabei die feine und erfahrene Seele eines Pädagogen, Menschen und geistigen Mitbürgers, dessen Engagement uns heute noch und wieder besinnen sollte“ (Vanja [2017], S. 37).

[97] Verzeichnisse der Schriften Reichweins finden sich u. a. in Adolf Reichwein (1993), S. 375 – 380, und Ullrich Amlung (1991): Adolf Reichwein 1898 – 1944 – Eine Personalbiographie, Marburg a. d. L.

[98] Eugen Moritz Friedrich Rosenstock-Huessy, Rechtshistoriker und Soziologe, war zunächst als Redakteur der ersten deutschen Werkszeitung für Daimler-Benz tätig, bevor er 1923 bis zu seiner Emigration in die USA 1933 als Professor an der Universität Breslau wirkte. In den USA wurde er Lektor an der Harvard University. 1935 kehrte er noch einmal kurzzeitig nach Deutschland zurück, ließ sich 1941 dann endgültig in die USA einbürgern. Dort übernahm er auf Wunsch des Präsidenten bis zum Kriegseintritt der USA die Führungsausbildung im „Civilian Conservation Corps“. 1960, nach dem Tod seiner Frau, zog Freya Gräfin von Moltke zu ihm nach Norwich in Vermont.

[99] Carl Heinrich Becker, Orientalist sowie Hochschullehrer in Hamburg, Bonn und Berlin, setzte sich als parteiloser Kultusminister (1925 bis 1930) und Hochschulreformer für ein einheitliches Bildungssystem und die vollständige Akademisierung der Lehrerbildung in Preußen ein. Nach seinem Rücktritt – Becker geriet als parteiloser Minister zunehmend zwischen die Fronten der Landtagsfraktionen – nahm er seine Lehrtätigkeit in Berlin wieder auf. Becker sammelte im Ministerium einen Kreis junger Männer um sich, darunter Reichwein, die er förderte (vom SPD-Politiker Hugo Heimann als „Beckerjungen“ verspottet); einige von ihnen machten in der späteren Bundesrepublik Karriere in der Kultuspolitik oder im Kulturleben.

[100] Bernhard Rust, in der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre der Weimarer Republik Gauleiter in Niedersachsen, wurde 1928 Abgeordneter im preußischen Provinziallandtag, ab 1930 Reichstagsabgeordneter und ab 1933 kommissarischer preußischer Kultusminister. Das Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung leitete er von 1934 bis 1945.

[101] Hans Bohnenkamp (1951), S. 23 [Hervorhebung im Original].

[102] Die Reichsstelle für den Unterrichtsfilm (ab 1940: Reichsanstalt für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht) wurde am 26. Juni 1934 durch Volksbildungsminister Bernhard Rust gegründet. Versuche, die Reichsstelle dem Amtsbereich von Propagandaminister Joseph Goebbels zu unterstellen, waren nicht erfolgreich, weshalb für deren pädagogisch-wissenschaftliche Arbeit ein größerer politischer Spielraum erhalten blieb. Sie produzierte rund neunhundert Filme, gab eine eigene Schriftenreihe sowie die Zeitschrift „Film und Bild in Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung“ heraus. Der Reichsstelle untergeordnet waren zahlreiche Landes- und Kreisbildstellen. Bereits ab Dezember 1945 wurde in den Besatzungszonen mit dem Aufbau von Nachfolgeorganisationen begonnen; diese Bemühungen mündeten schließlich 1950 in die Gründung des Instituts für Film und Bild in Wissenschaft und Unterricht (FWU), das als Medieninstitut der Länder in der Bundesrepublik Deutschland fungiert. Der Verfasser hat noch in seiner Schulzeit einen Unterrichtsfilm zum – ideologisch unverdächtigen – Beschlagen eines Pferdes durch den Hufschmied gesehen, bei dem das Hakenkreuz wegretuschiert worden war.

[103] Wolfgang Klafki (1993): Geleitwort von Wolfgang Klafki, in: Adolf Reichwein (1993), S. 7 – 13, hier: 8.

[104] Vgl. Lavinia Eifler (2017): Zur musealen Arbeit Reichweins, in: reichwein forum, Nr. 21, S. 38 – 41.

[105] Vgl. Adolf Reichwein: Die Gilde. Ein Weg zur Einheit von Bildung und Arbeit (1924), wiederabgedruckt in: Ders. (1978): Ausgewählte Pädagogische Schriften, besorgt v. Herbert E. Ruppert und Hort E. Wittig, Paderborn, 9 – 15.

[106] Zit. nach: Ger van Roon (1998): Widerstand im Dritten Reich. Ein Überblick, 7., überarb. Aufl., München, S. 146.

[107] Steinbach (2017), S. 42.

[108] Die Rolle Reichweins innerhalb des Kreisauer Kreises wurde maßgeblich durch Ger van Roon (1967): Neuordnung im Widerstand: Der Kreisauer innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, München, erforscht.

[109] Adolf Reichwein an Rosemarie Reichwein, Berlin-Plötzensee, 20. Oktober 1944, zit. nach: Steinbach (2017), S. 57.

[110] Vgl. Roland Reichwein (Hg.) (2000): „Wir sind die lebendige Brücke von gestern zu morgen“. Pädagogik und Politik im Leben und Werk Adolf Reichweins, Weinheim/München.

[111] Zit. nach: Ullrich Amlung (1993): Reformpädagogische Unterrichtspraxis in der Zeit des Nationalsozialismus: Der oppositionelle Lehrer Adolf Reichwein an der einklassigen Landschule in Tiefensee/Mark Brandenburg von 1933 bis 1939, in: Adolf Reichwein (1993), S. 323 – 337, hier: S. 335 f.