Zum Verhältnis von Sozialdemokratie und studentischen Verbindungen

Klischees bestimmen unser Denken. Voller Klischees und Vorurteile ist auch die Sicht der Gesellschaft auf das studentische Verbindungswesen. Fragt man einen Nichtakademiker, ob ihm der Begriff der Studentenverbindung etwas sage, wird er dies wohl bejahen. Gehört hat jeder davon. Fragt man dann, was eine Studentenverbindung nach seinen Vorstellungen ausmacht, dann wird er wohl erstens Alkohol, zweitens vielleicht Fechten und sodann das Kontakteknüpfen nennen. Es kommt hin und wieder auch vor, dass der Begriff „Verbindung“ im Sinne von Karrierenetzwerk verstanden wird - nach dem Motto „über gute Verbindungen verfügen“.

Viel anders sieht es wohl auch nicht aus, wenn man Studierende an einer beliebigen deutschen Hochschule fragt, ob sie schon einmal etwas von Studentenverbindungen gehört haben und wie sie diese einschätzen. Vielleicht wird hier das Bild sogar noch negativer sein. Die Agitation vieler hochschulpolitischer Gruppen ist in einigen Bereichen sehr deutlich gegen Verbindungen gerichtet, und es ist keinesfalls so, dass Ablehnung gegenüber dem Korporationswesen nur im linken Spektrum vorherrscht.

Wird negativ von Verbindungen – von den „Burschis“ – gesprochen, dann wird sehr häufig dem Irrtum erlegen, dass jede Verbindung eine Burschenschaft sei. Zwischen den einzelnen Korporationsformen im sehr heterogenen Verbindungswesen wird meist nicht unterschieden. Und da liegt auch eines der Probleme. Diskussionen um von den Medien als „Arierparagraphen“ bezeichnete Aufnahmebedingungen, wie die Deutsche Burschenschaft unrühmlich auf sich aufmerksam machte, bestimmen das Bild, das über Verbindungen herrscht. Und sie bestimmen es – in Teilen nicht vollends unberechtigt – ganz und gar nicht zu ihrem Vorteil.

Das Bild, welches allgemein über Verbindungen herrscht, ist im Großen und Ganzen negativ. Dieses Bild überträgt sich natürlich auch in gesellschaftliche Gruppierungen und Parteien. Auch in der SPD ist es nicht anders. Immer wieder werden Diskussionen darüber geführt, ob es einen Unvereinbarkeitsbeschluss zwischen der Mitgliedschaft in der SPD und der Zugehörigkeit zueiner studentischen Verbindung geben sollte. Für Sexisten und Nationalisten sei nämlich kein Platz in der SPD, wurde argumentiert. Dass hier mit platten Vorurteilen und Verallgemeinerungen gearbeitet wird, ist offenkundig. Natürlich ist das Verbindungswesen als solches nicht links. Gewiss haftet ihm ein konservativer Grundhabitus an; niemand wird das bestreiten wollen. In diesem Umfeld gibt es auch einzelne Verbindungen, die durch negative Schlagzeilen und fragwürdige Ansichten auffallen. Viele Ansichten etwa der rechten Burschenschaftlichen Gemeinschaft (BG) innerhalb der ohnehin strukturell schon recht konservativen Deutschen Burschenschaft gehen sehr stark in politische Denkmuster, die man als Sozialdemokrat nicht mehr vertreten kann. Nicht zu Unrecht ist heute eine Mitgliedschaft innerhalb der BG mit einer SPD-Mitgliedschaft unvereinbar, auch wenn dies für manch älteres SPD-Mitglied insofern bedauerlich sein mag, als zu seiner eigenen Studentenzeit die politische Ausrichtung seines Bundes womöglich ganz anders war und erst die heutige Aktivitas nach rechtsaußen gerückt ist.

Doch der weit überwiegende Teil des deutschen Verbindungswesens ist keineswegs erzkonservativ oder gar reaktionär. Es ist bezeichnend, dass Rufe nach Unvereinbarkeit aus den Reihen derer kommen, die in ihrem Leben wohl noch nie ein Verbindungshaus von innen zu Gesicht bekommen haben. Und es ist auch bezeichnend, dass solche Rufe nicht selten von Menschen kommen, die für sich selber stets ein hohes Maß an Toleranz in Anspruch nehmen. Vorurteile prägen hier das Handeln, und Toleranz wird selten gezeigt. Gerade als Sozialdemokraten sollten wir uns aber von Vorurteilen befreien. Natürlich ist es legitim, das Verbindungswesen als solches abzulehnen, ebenso legitim ist es, tatsächliche Missstände zu kritisieren. Nicht legitim ist es jedoch, alle Verbindungen aufgrund des Fehlverhaltens einzelner Gruppierungen über einen Kamm zu scheren.

Als ich 2008 mein Studium an der Georg-August-Universität Göttingen begann, war auch ich – das muss ich bekennen – nicht frei von Vorurteilen gegenüber dem Korporationswesen. Und ich wäre es vielleicht geblieben, wenn ich im Laufe meines Studiums nicht mit zahlreichen Verbindungs­studenten in Kontakt gekommen wäre und auch so manches Verbindungshaus besucht hätte. Überrascht war ich dabei von der in den meisten Verbindungen vorherrschenden heterogenen Mitgliederstruktur. Keineswegs fand ich dort nur den erzkonservativen, aalglatten Studententypus, der meistens mit Korporationen in Zusammenhang gesetzt wird. Nein, ich musste erkennen, dass das Verbindungswesen ein Abbild der Gesellschaft ist. Auch politisch waren tatsächlich alle möglichen Meinungen vertreten. Von sehr linken bis – natürlich – vereinzelt auch sehr rechten. Doch nie hatte ich den Eindruck, dass einzelne Meinungen nicht erwünscht waren. Die meisten Verbindungen habe ich als sehr offen und tolerant erlebt. Gästen – wie mir – war man sehr aufgeschlossen und beantwortete alle Fragen, auch die kritischen. Mehr noch: Ich war stets wieder willkommen, auch als Nichtmitglied.

Es kann nur von Vorteil sein, wenn sich auch im Verbindungswesen viele Multiplikatoren der Sozialdemokratie befinden. Verbindungsmitglieder waren zu großen Teilen an der Revolution von 1848 beteiligt, eben an dieser Revolution, in der auch zum Teil die Anfänge der deutschen Arbeiterbewegung und mit ihr untrennbar verbunden die der deutschen Sozialdemokratie liegen.

Die SPD sollte das Verbindungswesen nicht per se verteufeln. Täte sie es, müsste sie auch viele ehemalige verdiente Sozialdemokraten wegen ihrer Mitgliedschaft in einer Verbindung ablehnen. Etwa einen Georg Diederichs, der Zeit seines Lebens einem Corps angehörte und bis zu seinem Tode überzeugter Sozialdemokrat war mit einem hohen Maß an tolerantem Denken. Toleranz nannte er einmal die höchste Form der Freiheit. Verbindungsmitgliedschaft und tolerantes, somit sozialdemokratisches Denken schließen sich nicht aus. Die meisten von uns gehören etlichen Vereinen an. Würden wir uns von einem Mitglied trennen wollen, nur weil es in seinem Heimatort einem Gesangverein angehört, dessen Mitglieder in der überwiegenden Zahl ganz und gar nicht SPD-geneigt sind? Wohl kaum. Dass das Verbindungswesen männlich dominiert ist, ist ein Faktum. Aber aus diesem Umstand allen Mitgliedern sexistische Denkweisen vorzuwerfen, ist verfehlt. Wirft man dies etwa auch Mitgliedern von Männergesangvereinen vor, nur weil dort nur Männer Mitglieder sind? Reicht das als Vermutung? Vielleicht würde der ein oder andere es ihnen tatsächlich vorwerfen. Würde er aber einen Parteiausschluss fordern? Warum mit zweierlei Maß messen? Oder ist es nur das Feindbild Verbindung an sich, das bekämpft werden soll? – Des Bekämpfens wegen? Unabhängig von einer ausgewogenen, inhaltlichen Auseinandersetzung?

Nach meiner Überzeugung kann es für unsere politischen Ideale und die Vorstellung einer anderen, sozialdemokratischen Gesellschaft nur von Vorteil sein, wenn sich auch in Verbindungen viele SPD-Mitglieder finden und wir die Verbindungsstudentinnen und -studenten, sei es als Aktive oder als Mitglieder der Altherrenschaft, nicht stigmatisieren, sondern uns auch für sie interessiert zeigen und bereit zum ehrlichen Dialog und Austausch sind.

Ich habe als Ziel der Sozialdemokratie stets eine Gesellschaft freier Menschen, die friedlich und ohne vermeidbaren Zwang zusammenleben, gesehen. Deshalb denke ich, dass man es keinem Sozialdemokraten zum Vorwurf machen kann, wenn er sich aus freien Stücken einer Studentenverbindung anschließt, wenn er sich dort wohlfühlt und sich dort mit seiner Persönlichkeit und seinen Vorstellungen einbringt. Wenn wir uns ernsthaft als Volkspartei verstehen wollen, dann muss uns daran gelegen sein, in möglichst allen Gesellschaftsschichten vertreten und natürlich auch verankert zu sein.

All jenen Genossinnen und Genossen, die nach wie vor Vorbehalte gegenüber dem studentischen Verbindungswesen haben und dennoch offen für eine ausgewogene Beschäftigung mit dieser Thematik sind, möchte ich nahe legen, sich einmal selber ein Bild zu machen und nicht nur auf das zu vertrauen, was man zu wissen glaubt, ohne es je erforscht, jemals erfahren zu haben. Sprecht doch einmal mit Mitgliedern, schaut Euch einmal eine Verbindung von innen an. Wer dann immer noch Abneigungen hat, dem sei dies unbenommen. Aber nach wie vor gilt, dass man sich ein eigenes Bild machen sollte, bevor man über die Dinge urteilt.

 

C.Brodhun

Artikel ist erschienen in Rote Fahnen, bunte Bänder Korporierte Sozialdemokraten von Lassalle bis heute