Debattenbeitrag: Haben Männerbünde Zukunft? – Ja!

Wurde früher im Verbindungswesen um den konfessionellen Standpunkt gerungen, ist es heute die Geschlechterfrage, die kontrovers diskutiert wird. Viele Begründungen kommen eher plump daher – nach dem Motto: In gemischten Beziehungen gibt es ständig nur Beziehungsstress … Politisch sind Männerbünde als Karrierenetzwerke und Seilschaften in Verruf geraten, die ihren Mitgliedern ungerechtfertigte Vorteile verschaffen. Solche Vorstellungen überschätzen nicht nur den heutigen Einfluss studentischer Korporationen, sie werden auch deren Selbstverständnis nicht gerecht.

Meines Erachtens sind es vor allem zwei Argumentationslinien, die dafür sprechen, dass Männerbünde weiterhin Zukunft haben werden.

Das Recht, sich frei zu vergemeinschaften

Männerbünde sind in der freiheitlichen Gesellschaft Ausdruck gelebter Freiheit und Pluralität. Gerechtigkeit wird vielfach einseitig egalitaristisch verstanden und mit Gleichheit in eins gesetzt – auch in der SPD. Zu den Grundwerten des Demokratischen Sozialismus gehört aber gleichfalls die Freiheit. Gerechtigkeit lässt sich nur im komplementären Zusammenspiel von Freiheit und Gleichheit verwirklichen. Dabei ist Freiheit vielgestaltig.

Grob lassen sich vier Aspekte unterscheiden: Es geht um Nichtdiskriminierungsfreiheit, aber auch um Ungleichbehandlung dort, wo dies aufgrund unterschiedlicher Interessen und Bedürfnisse notwendig ist. Schließlich geht es um Freiheit von staatlicher Bevormundung, damit die Verwirklichung eigener Lebenspläne möglich ist. Und es geht um Abwehr von Zwang, der sowohl vom Staat als auch von übermächtigen gesellschaftlichen Kollektiven ausgehen kann. Die politische und sozialethische Kunst besteht darin, jeweils zu entscheiden, welches Prinzip der Situation und Fragestellung angemessen ist.

Die Vereins- oder Vereinigungsfreiheit ist ein wichtiges Grundrecht. Jeder hat das Recht, eigene Vereinigungen zu gründen und sich freit mit anderen zu vergemeinschaften. Die Vereinsfreiheit sichert eine Pluralität an Vereinigungen, die sich in der Zielsetzung, ihrem Charakter, ihrer Arbeitsweise oder ihrer Zusammensetzung voneinander unterscheiden. Wenn Vereine über ihre Zusammensetzung nicht mehr frei entscheiden können, verkehrt sich dieses Grundrecht in ein Instrument staatlich-gesellschaftlicher Kollektivierung. In einer pluralen Gesellschaft sollten reine Damen- oder Männerbünde wie auch gemischte Verbindungen nebeneinander bestehen können. Nur dann ist auch eine individuelle Wahlfreiheit gesichert.

Damenverbindungen sind erst spät entstanden. Dies hat verschiedene historische Gründe. Und so werden Damenverbindungen auch noch längere Zeit brauchen, eine genauso starke Tradition zu entwickeln wie so mancher Männerbund. Dies ist eine historische Tatsache, stellt aber keine Ungerechtigkeit dar, solange das Recht, eigene Vereinigungen zu gründen, diskriminierungsfrei gesichert ist. Von diesem Recht machen Studentenverbindungen Gebrauch.

Im gesellschaftlichen Bereich muss es die Möglichkeit, Formen des Zusammenlebens in privater, nichtpolitischer Form zu bestimmen. Das schließt auch die Freiheit ein, selbst zu entscheiden, ob man sich einer geschlechterhomogenen oder gemischten Studentenverbindung anschließt. Dieses Recht würde dem Einzelnen genommen, wenn Männerbünde zunehmend unter Druck gesetzt würden, sich für Frauen zu öffnen. Dies wäre ein übergriffiger Akt, der zu einer bevormundenden Kontrollgesellschaft passt, nicht aber zu einem liberalen Rechts- und Verfassungsstaat. Neben diesem freiheitsrechtlichen Argumentationsstrang gibt es aber auch noch ein anthropologisch-psychologisches Argument.

Das Fundament des lebenslangen Freundschaftsbundes

Mit Eintritt in eine Studentenverbindung binde ich mich lebenslang an eine Gemeinschaft. Dann muss ich mir aber auch sicher sein, dass diese Gemeinschaft nicht grundlegend ihr Wesen verändert; jede Reform muss sehr behutsam angegangen werden. Ein lebenslanger Freundschaftsbund braucht ein gemeinsames Fundament, das stärker ist als eine lockere Vereinsmitgliedschaft. Dieses kann unterschiedlich aussehen: die gemeinsame Konfession, die gemeinsame fachliche Ausrichtung, die gemeinsame regionale Verbundenheit usw. – oder eben das gemeinsame Geschlecht.

Männliche, weibliche oder gemischte Verbindungen haben jeweils einen anderen Charakter, das merkt man an der Gesprächs-, Feier- und Diskussionskultur. Und es ist gut, dass es diese Unterschiede gibt und hoffentlich auch weiterhin geben darf.

Männerbunde sind durch einen bestimmten kulturellen Umgang miteinander geprägt. Ein Männerbund, der sich gerade auf dieses Wesensmerkmal für den gemeinsamen Freundschaftsbund verständigt hat, sollte sich gründlich überlegen, ob er dieses aufgeben will. Ich empfinde es als ungeheure Bereicherung, in einer Gemeinschaft sein zu dürfen, in der Männer einmal unter sich sein können. In der pädagogischen Debatte über die Chancen, aber auch Grenzen mono-, ko- oder biedukativer Erziehung wird die Frage, was die besondere emotionale wie psychologische Qualität spezifischer Umwelten ausmacht, die mit der Geschlechterfrage verschieden umgehen, gerade wiederentdeckt. Freundschaftsbeziehungen unter Männern haben eine lange kulturhistorische Tradition. Wir sollten dieses Erbe pflegen und nicht durch ein Übermaß egalitaristischer Forderungen gefährden. Unsere spätmoderne Gesellschaft würde dadurch keinesfalls lebenswerter. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der es nur noch einen „Einheitsbrei“ sich einander ähnelnder Karrierenetzwerke gibt. Ein Verlust an Vielfalt würde die Korporationswelt kraft- und identitätslos machen. Es besteht die Gefahr, sich stets auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Dies wäre auf Dauer langweilig und führt zu einer Nivellierung, die geistige Vitalität und Kreativität erstickt.

Die Gesellschaft lässt sich nicht nach einer bestimmten politischen Idee gestalten. Die freiheitliche Gesellschaft funktioniert zum Glück nicht nur nach einer „Spielregel“. Das macht gerade ihre Stärke aus. Und in einer Gesellschaft, die plural und tolerant sein will, sollten dann auch Männerbünde nach ihren Spielregeln mitspielen dürfen. Ansonsten hätten wir es mit einer Pseudoliberalität zu tun.

Plädoyer für Vielfalt

Ob Verbindungen auf Dauer Zukunft haben oder nicht, wird sich nicht an der Geschlechterfrage entscheiden. Entscheidender ist, ob eine Korporation als Freundschaftsbund und als akademische Gemeinschaft überzeugt. Die Zukunft von Studentenverbindungen wird sich daran entscheiden, ob es ihnen gelingt, geistig vital zu bleiben, eine akademische Kultur lebendig zu erhalten und ihrer akademsichen Verantwortung gerecht zu werden. Nebenbei: Das gilt auch für Parteien. Denn heute ist es keinesfalls mehr so sicher, dass es Parteien noch gelingt, die besten Köpfe anzuziehen, die dann auch für öffentliche Ämter und Mandate zur Verfügung stehen.

Freiheit ist ein hoher Wert und macht eine Gesellschaft lebenswert. Wir brauchen eine Kultur des rechten Maßes, die dem Einzelnen faire Chancen eröffnet, ihm aber auch zugleich denkbar weite Spielräume eröffnet, diese Chancen in Freiheit auszufüllen. In einer freien Gesellschaft wird es verschiedene Verbindungsformen geben.

Korporationen können Studierenden etwas bieten, was die spätmoderne, auf Berufsqualifizierung angelegte Massenuniversität immer weniger zu bieten vermag: eine starke, lebenslang angelegte Gemeinschaft Gleichgesinnter, die den Einzelnen sowohl stützt als auch ihm hilft, seine individuellen Fähigkeiten bestmöglich zu entfalten. Gemischte, reine Damen- oder reine Männerverbindungen werden als lebenslanger Freundschaftsbund dann attraktiv bleiben, wenn sie dies zu leisten vermögen. Es bleibt die persönliche Freiheit des Einzelnen zu entscheiden, welche Form von Gemeinschaft ihm emotional näher liegt. Und diese Vielfalt ist auch gut so.

 

Dr. Axel Bernd Kunze, Leipziger B! Alemannia zu Bamberg, B! im CCB Rheno-Germania zu Bonn

Artikel ist erschienen in Rote Fahnen, bunte Bänder Korporierte Sozialdemokraten von Lassalle bis heute.