Georg Herwegh

Georg Herwegh

Georg Herwegh, Dichter des Vormärz, Königsgesellschaft Patrioten Tübingen,

geb. 31. Mai 1817 in Stuttgart, gest. 7. April 1875 in Lichtental

 

Jugend und Studienjahre

Herweghs Kindheit und Jugend waren geprägt durch schwierige familiäre Verhältnisse. 1831 wurde bei ihm die Krankheit Veitstanz[1] diagnostiziert, die ein Arzt auf „Streitigkeiten im elterlichen Hause zurückführte“.[2] Seine Mutter beschrieb ihn als „bleich, leicht erregbar und von äußerst zarter Gesundheit“[3] und wünschte für ihn eine Ausbildung zum Pfarrer. Im Alter von zwölf Jahren wurde er auf die Lateinschule nach Balingen geschickt. 1831 bestand er das „Landexamen“ als Voraussetzung für die Aufnahme in das protestantisch-theologische Seminar in Maulbronn, das er vier Jahre besuchte. Frühe Einträge aus der Schulzeit könnten einige seiner späteren Charakter­eigenschaften schon vorwegnehmen: „’Ausdehnung der Reiseerlaubnis’, ‚Unvorsichtigkeit’, ‚Ungehorsam’, ‚fremde Lektüre’ und ‚Hang zum Schuldenmachen’“[4]. Mit einem Stipendium des Tübinger Stifts[5] versehen, begann Herwegh im Wintersemester 1835/36 an der Universität Tübingen ein Studium der Theologie. Dort schloss er sich der als „Königsgesellschaft“ getarnten burschenschaftlichen Vereinigung der „Patrioten“ an, die regelmäßig im Gasthaus König[6] tagte, um dort u.a. über philosophische Themen zu diskutieren. Herwegh führte den Kneipnamen Horst. Aus der „Königsgesellschaft“ ging 1838 die Akademische Verbindung „Roigel“ mit dem Untertitel „Königsgesellschaft“ hervor, mit den Farben schwarz-rot-gold, nichtschlagend, da Stiftlern das Fechten und die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft untersagt war.

Schon während seiner Stiftszeit stand Herwegh im Verdacht, zu Mitgliedern des Jungen Deutschland brieflichen Kontakt zu pflegen. Dazu gehörte vor allem der 1837 verstorbene Ludwig Börne. „Börne’s Grab auf dem Père La Chaise war die Kaaba, zu welcher Herwegh 1841 pilgerte“, schrieb ein befreundeter Zeitgenosse.[7] Wegen wiederholter disziplinarischer Verstöße wurde Herwegh nach zwei Semestern aus dem Stift relegiert und zur Rückzahlung seines Stipendiums verurteilt. Nur mit großer Mühe gelang es ihm, seinen Vater zur Rückzahlung zu bewegen und ihm die Erlaubnis zum Studium der Rechtswissenschaft abzuringen. Nach einem weiteren Semester kehrt er der Universität jedoch endgültig den Rücken.

Herwegh im Vormärz

Nach Abbruch seines Studiums erhält Herwegh eine Stelle in der Redaktion von August Lewalds[8] Zeitschrift „Europa“; schon als Student hatte er mit Lewald in Kontakt gestanden. Außerdem schreibt er für Karl Gutzkows[9] „Telegraph für Deutschland“, in dem u. a. Friedrich Engels unter dem Pseudonym Friedrich Oswald publiziert.[10] Im März 1838 wird er gewaltsam der württem­bergischen Armee zur Musterung vorgeführt und eingezogen. Lewald kann ihn nach einigen Wochen sinnentleerten Exerzier-Dienstes auf Urlaub frei bekommen. Im Berufsleben ist Herwegh mittlerweile durchaus arriviert, er übersetzt z.B. Werke von Hugo, Lamartine und Chenier.

Ein Zwischenfall mit einem Offizier zwingt ihn 1839 zur sofortigen Flucht in die Schweiz.[11] Von dort aus schreibt er Beiträge für den „Telegraph für Deutschland“ und die in Konstanz erscheinende „Deutsche Volkshalle“. Sein Weg führt ihn nach Zürich, wo er mit dem radikalen Burschenschafter und Verleger August Follen[12] Freundschaft schließt. Auf dessen Anregung stellt er seinen ersten Gedichtband „Gedichte eines Lebendigen“[13] zusammen, der sich in kurzer Zeit zu einem Bestseller entwickelt. Dieser Gedichtband, der bis 1871 in neun Auflagen erscheinen wird, macht Herwegh mit einem Schlage deutschlandweit bekannt und in manchen Bevölkerungsschichten zu einer Art Pop-Star der 40er Jahre des 19. Jahrhunderts.[14] Eine seiner Verehrerinnen – Emma Siegmund, Tochter einer wohlhabenden Familie in Berlin – wird er zwei Jahre später heiraten. Herweghs Erfolg trägt auch wesentlich zum Erfolg des „Literarischen Comptoir“[15] bei, das zu einem der wichtigsten Verlage des Vormärz wird und in dem u.a. Hoffmann von Fallersleben, Karl Marx, Ludwig Feuerbach, Gottfried Keller und Friedrich Hecker veröffentlicht werden.

Der zwei Jahre danach erscheinende zweite Band hat nicht mehr die politische und literarische Durchschlagskraft des ersten Bandes, auch bedingt durch die staatlich gelenkte Diffamierungs­kampagne, die nach Herweghs Audienz vom 18. November 1842 im Berliner Schloss bei König Wilhelm IV. einsetzte. Diese Audienz hatte auf Drängen liberaler Berliner Freunde - darunter Bettina von Arnim, Karl August Varnhagen van Ense und Fanny Lewald - stattgefunden, die damals noch große Hoffnungen in den jungen Monarchen setzten. Auch der König war neugierig, den Verfasser der „Gedichte eines Lebendigen“ kennen zu lernen.[16] Von ihm wird der Satz kolportiert, Herwegh und er seien „ehrliche Feinde“ und er „liebe eine gesinnungsvolle Opposition“.[17] Das hindert ihn jedoch nicht, am Tage nach der Audienz Herweghs neue Zeitschrift „Der deutsche Bote aus der Schweiz“ noch vor ihrem Erscheinen zu verbieten. Diese Nachricht erreicht Herwegh auf seiner politisch-literarischen Werbetour durch Deutschland in Königsberg. Daraufhin formuliert er eine ursprünglich nur für seine Freunde vorgesehene „Antwort unter vier Augen“, die aufgrund einer Indiskretion in der „Leipziger Allgemeinen Zeitung“ unter dem Titel „Herweghs Brief an den König von Preußen“ veröffentlicht wird[18], was seine sofortige Ausweisung aus Preußen zur Folge hat.

Noch unangenehmer erweist sich für ihn die fehlgeschlagene Einbürgerung in Zürich, denn er will Emma heiraten und die bürokratischen Hürden sind hoch. Voraussetzung für die Einbürgerung ist die Entlassung aus der württembergischen Staatsbürgerschaft, auf die er jedoch keinen Anspruch hat, da er sich dem Militärdienst durch Flucht entzogen hatte. Es bleibt ihm nur eine Petition an den König von Württemberg und ein „Lösegeld“, d.h., die Bezahlung eines Ersatzmannes für den Militärdienst, woraufhin ihm die Erlaubnis zur Auswanderung erteilt wird. Die Einbürgerung wird jedoch vom Rat der Stadt Zürich abgelehnt.[19] Herwegh wird ausgewiesen und findet im Kanton Aargau Aufnahme, wo schließlich ein Erlass des Kantonspräsidenten mit der Heiratsbewilligung die bürokratische Odyssee beendet. Am 5. März 1843 erwirbt er das Bürgerrecht der Gemeinde Augst, was ihn 600 Franken und einen Feuereimer kostet, weitere 500 Franken wurden für die Gewährung des Kantonsbürgerrechtes von Basel-Land fällig.[20] Drei Tage später heiraten Georg und Emma in Anwesenheit seiner Freunde Bakunin, Follen u.a. Mit den Honoraren aus Georgs Büchern und Emmas Mitgift üppig ausgestattet, lassen sich die Herweghs in Paris nieder, wo sie am kulturellen und gesellschaftlichen Leben teilnehmen und Bekanntschaften mit Heine, Sand, Hugo, Liszt, Turgenjew und anderen pflegen.

Herwegh während der 1848er Revolution

In der Erhebung polnischer Freiheitskämpfer gegen die Besetzung der Republik Krakau durch Österreich im Jahr 1846 sah Herwegh einen Vorboten der kommenden europäischen Revolution. Er widmete diesem Ereignis das Gedicht „Polens Sache“, dessen dritte Strophe lautet:  „Was gestern Recht war für den Rhein, ist’s heute nicht auch Recht für Polen? Soll Polen nicht auch Polen sein, weil wir als Räuber mitgestohlen?“[21]

Im Februar 1848 wurde die Regentschaft des Bürgerkönigs Louis Philippe durch eine bürgerlich-demokratische Revolution beendet und durch die Zweite Republik mit Louis Napoleon Bonaparte als Präsident ersetzt. Diese Revolution bedeutete die Initialzündung für eine Reihe weiterer Aufstände in europäischen Ländern der Metternich-Restauration. In Paris gründen die Vertreter der zahlreichen deutschen Handwerker das Republikanische Komitee und wählen Herwegh zum Präsidenten. Als die Nachrichten über bewaffnete Erhebungen in Deutschland sich verdichten und zudem die neue französische Regierung die Politik des „Franzosen zuerst“ auf ihre Fahnen schreibt, wollen die jetzt vielfach arbeitslosen deutschen Emigranten eine Deutsche Demokratische Legion[22] bilden, um die Aufständischen in den deutschen Ländern zu unterstützen. Herwegh soll Anführer dieser Legion werden und willigt nach einigem Zögern gegen den Rat von Marx[23] ein. Er nimmt Kontakt zu Hecker auf, um ihm die Unterstützung der Legion zu versichern. Aber die Emigranten werden von der einheimischen Bevölkerung mitnichten willkommen geheißen, nicht zuletzt wegen der Desinformationskampagne der Obrigkeit, die das Zerrbild einer französisch dominierten Invasion zeichnet.[24] Die Vereinigung mit Hecker kommt nicht zustande, und eine Woche nach Heckers Niederlage[25] ereilt die Truppen der Legion nach einer viertägigen „Irr- und Wanderfahrt“ das gleiche Schicksal.[26] Daraufhin bleibt Herwegh und seiner Frau nur die Flucht in die Schweiz.

Der weitere Lebensweg

Anfang 1849 geht Herwegh zurück nach Paris, verlässt im Juli jedoch desillusioniert die ihm fremd gewordene Umgebung mit dem Ziel Genf. Es folgt eine Affäre mit der Frau seines russischen Emigrantenfreundes Alexander Herzen, der diesen Ehebruch 1852 öffentlich macht und alle gemeinsamen Freunde auffordert, mit Herwegh zu brechen. Emma hat mittlerweile ebenfalls eine Affäre mit dem italienischen Revolutionär Felice Orsini. Bis 1854 leben beide voneinander getrennt, Georg in Zürich und Emma in Genua.

Intensiver wird jetzt der Kontakt zu Lassalle, der ihm 1846 vom gastgebenden Heinrich Heine mit den Worten vorgestellt worden war „Je vous présente un nouveau Mirabeau“[27]. 1861 besucht der acht Jahre jüngere Lassalle Herwegh in Zürich. Lassalles Biograph Oncken beschreibt die Szene:  „… Georg Herwegh, die ‚eiserne Lerche’ von 1841 und die verunglückte Revolutionsfigur von 1848, jetzt ein bequemer Mann, den Lassalle vergeblich aus einem zwecklos-behaglichen Ruhe­stand aufzupeitschen suchte, um ihm etwas von dem eigenen Feuer in die Seele zu gießen; nur mit Mühe hat er ihm in den nächsten Jahren das Proletarierlied abgerungen.“[28] Vollends deprimiert ist Herwegh, als eine ihm angebotene Professur für vergleichende Literatur in Neapel, die er bereits angenommen hatte, nicht zustande kommt. Lassalle schreibt ihm daraufhin: „Das beste Heilmittel, das der Mann auf eine Wunde, die ihm geschlagen, legen kann, ist: fieberhafte rasende, rasende fieberhafte Thätigkeit mit aller jener Unterdrückung von Empfindung, die solche Thätigkeit von selbst nach sich zieht. Ich hab’s oft ausprobirt und kann Ihnen sagen: probatum est! Und sich nicht Zeit zu gönnen, zu empfinden. Nur vorwärts, und vorwärts, und gearbeitet mit fliegender zitternder Hast  (…)“[29]. Kein Wunder, dass sich Herwegh später bei dem „Fernando furioso“ beklagt, er habe ihm zu wenig Zeit für das ADAV-Bundeslied gelassen.[30] Dennoch gehört dieses von Hans von Bülow vertonte Gedicht mit seiner zehnten Strophe „Mann der Arbeit aufgewacht und erkenne deine Macht! Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will“ immer noch „zu den bedeutendsten und bekanntesten Versen sozialdemokratischer Lyrik“ und hat als „das erste Lied der politisch organisierten deutschen Arbeiterbewegung … bis heute seinen festen Platz in sozial­demokratischen Liederbüchern.“[31]

Herwegh in seinem letzten Lebensabschnitt

In seinen letzten Lebensjahren sieht sich Herwegh aus finanziellen Gründen gezwungen, an den Beginn seiner Tätigkeit Ende der 30er Jahre anzuknüpfen, indem er  wieder Aufträge zur Über­setzung großer Dramatiker annimmt. Er schreibt Gedichte zu aktuellen politischen Ereignissen, tritt jedoch nur noch selten öffentlich auf. Dokumentiert sind sein Prolog zur schweizerischen Schiller­feier am 10. 11. 1859[32] und sein Gedicht nach der Schlacht von Aspromonte am 29. 8. 1862, das er dem schwer verwundeten Garibaldi widmet und dessen Strophen jeweils mit dem Satz enden: „Der Tag wird kommen“.[33] Emma und Georg Herwegh sympathisierten mit der revolutionären Bewe­gung Garibaldis; so bewogen sie bspw. 1860 Wilhelm Rüstow, einen ehemals preußischen Offizier, 1864 Lassalles Sekundant im Duell mit Janko von Rakowitza, Garibaldi als Stabschef aktiv zu unterstützen. 1863 tritt Herwegh dem ADAV bei und wird auf Lassalles Wunsch ADAV-Repräsentant in der Schweiz. Bald nach Lassalles Tod verlässt er 1865 jedoch den ADAV, was er mit der unpolitischen Haltung der Schweizer Arbeitervertreter und dem zunehmend staats­freund­lichen Kurs des ADAV begründet. Politisch nähert er sich in dieser Zeit dem Programm der „Inter­nationalen Arbeiter-Assoziation“ (IAA) von 1864. Nach  dem Rückzug von Marx und Engels aus der Zeitschrift „Social-Demokrat“ [34] schließt sich Herwegh in einer Erklärung diesem Schritt an.[35]

Die nach dem preußisch-österreichischen Kriege von 1866 erlassene allgemeine Amnestie erlaubte Herwegh 1866 die Rückkehr nach Deutschland und den Umzug nach Baden-Baden.[36] 1869 trat er der neugegründeten SDAP bei, die unter Führung von Wilhelm Liebknecht und August Bebel einen eher marxistischen Weg verfolgte. Anders als seine Zeitgenossen Geibel und Freiligrath stand Herwegh dem Kaiserreich ablehnend gegenüber. „Dem Rausche folgt ein Katzenjammer, dass euch die Augen übergehn“, schrieb er im Februar 1871 nach der Reichsgründung. Das Gedicht endet mit den Zeilen: „Die Wacht am Rhein wird nicht genügen, der schlimmste Feind steht an der Spree.“[37] Im „Epilog zum Kriege“ schrieb er: „Germania, mir graut vor dir!“[38]  Nach seinem Tod am 7. April 1875 wurde Georg Herwegh seinem Wunsch entsprechend „in freier republikanischer Erde“ in Liestal, der Hauptstadt des schweizerischen Kantons Basel-Land begraben.[39] Sein Nachlass befindet sich im dortigen Dichter- und Heimatmuseum.   

Herweghs Bedeutung aus Sicht der nachfolgenden Generationen

Um Herweghs Nachruf stand und steht  es nicht zum Besten, woran er selbst nicht unschuldig ist. Eine frühe Quelle dafür ist der 20 Jahre ältere Heinrich Heine, der seinem Besucher 1842 das Lied der Eisernen Lerche[40] zur Begrüßung überreichte. Die Metapher der eisernen Lerche kann als Vorbote des beginnenden Frühlings der Revolution interpretiert werden, die Attribute „eisern“ und „klirrend“ deuten auf die aggressive Militanz des jungen Barden hin. In der zweiten Strophe allerdings kommt die ironisch formulierte Einschränkung: Herwegh hat aus Heines schon abgeklärterer Sicht wohl die Bodenhaftung verloren.

Ein weiterer Grund liegt in dem Umstand, dass Herwegh zur Zeit seiner Mitgliedschaft in ADAV/ SDAP/SAPD zum revolutionären Flügel gehörte, der in der 150jährigen Geschichte der SPD eine mit dem Alter schwindende Minderheit darstellte. Etwas besser gelitten war Herwegh in der DDR[41]: Sie gab in der Serie „Bedeutende Persönlichkeiten“ 1967 eine Herwegh-Briefmarke heraus, allerdings mit dem kleinsten Frankaturwert, den die DDR-Post in dieser Zeit vergab: 5 Pf.

Die moderne SPD hat spätestens seit dem Godesberger Parteitag politisch wenig mit dem alten Revoluzzer gemein, auch wenn wir seine ADAV-Hymne von Zeit zu Zeit gern singen. Dennoch: In manchen Beurteilungen war Herwegh politisch klug und rational. So wie er den französischen Expansionismus der 40er und 50er Jahre mit seinen Gedichten vom deutschen Rhein verurteilte, so sehr war er nach 1871 der einsame Rufer in der Wüste, als es galt, den preußisch-deutschen Expansionismus abzuwehren. Da war er in unserem Sinne modern, wie er auch klarsichtig das Recht der Polen auf nationale Selbstbestimmung im Gedicht festhielt. Und in seiner Einstellung zur Rolle der Frau im politischen Leben steht er uns sicher näher als Lassalle.

Was ist außer der Politik geblieben? Eher wenig. Herweghs Gedichte und Lieder waren stark von tagespolitischen Themen geprägt waren und sind heute schwer zu entschlüsseln, weil die detaillierte Kenntnis der Umstände und Personen häufig fehlt. Zudem zog er sich schon früh den Vorwurf stilistisch-inhaltlicher Übernahme seiner jeweiligen Vorbilder zu (Heine, Börne, Arndt, Mörike, von Platen, auch die Verwendung von Shelleys „Song to the men of England“[42], nach dessen Vorlage er das ADAV-Bundeslied schrieb). „Herweghs Name steht leuchtend an der Schwelle der modernen deutschen Geschichte“, schrieb Franz Mehring 1896.[43]  Er fuhr jedoch fort: „Es ist nun einmal nicht zu leugnen, dass in Herweghs Leben der warme Sommer fehlt und der früchtereiche Herbst und selbst das wärmende Herdfeuer des Winters. Dies Leben war ein kurzer strahlender Frühling, und  darnach kam eine lange Nacht, arm an Arbeit und arm an Freuden.“ Seine Briefe während der Revolutionsjahre seien „durchweg flüchtige Gelegenheitsbriefe“, die zeigten, „dass Herwegh damals schon ganz außerhalb der aktuellen Bewegung stand.“ Der Auffassung, Herweghs Beteiligung an der deutschen Arbeiterbewegung sei mit dem Tod Lassalles erloschen, widerspricht Bruno Kaiser entschieden: 1866 sei Herwegh Ehrenkorrespondent der Internationale geworden[44], und sein späteres Wirken sei die „vielleicht größte Zeit im Leben des Dichters“ gewesen.[45] Die jüngsten Urteile über Herwegh sind geteilt: während U. Enzensberger Herwegh für wenig bedeutend hält[46], kommt M. Krausnick in seinem Aufsatz „Germania, mir graut vor dir!“[47] zu einer positiven Bewertung des Dichters. Die letzte Generation, die sich in Herweghs Nachfolge sah, waren die in mancherlei Hinsicht ebenfalls spätromantischen, badischen Anti-AKW Aktivisten auf ihrem „Heckerzug“ gegen die Atomkraft der 80er Jahre.

 

Autoren: Eberhard Fuchs, Berliner Burschenschaft Obotritia (Neue Deutsche Burschenschaft) und 
Manfred Blänkner (Hamburger und Göttinger Wingolf)

 

 

Herwegh-Texte:

Herweghs Werke in drei Teilen. Hrsg. mit Einleitungen und Anmerkungen versehen von Hermann Tardel, Berlin u.a. 1909

Werke und Briefe. Kritische und kommentierte Gesamtausgabe. Hrsg. von Ingrid Pepperle, Bielefeld 2005ff. [Bisher sind 4 von 6 Bänden erschienen]

Werke in einem Band. Ausgew. und eingel. von Hans-Georg Werner, Berlin 1967

Herwegh, Emma, , Zur Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris. Von einer Hochverrätherin, Grünberg 1849

Herwegh, Marcel, Ferdinand Lassalles Briefe an Georg Herwegh, Zürich 1896

 

 

Weitere Literatur:

Brauer, Juliane, „Ein begeisterndes und begeistertes Gedicht“: „Bundeslied“ und „Arbeiter-Marseillaise“, in: Kruke, Anja/Woyke, Meik (Hrsg.), Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung. 1848 – 1863 - 2013, Bonn 2012, S. 54 – 58

Büttner, Wolfgang, Georg Herwegh – ein Sänger des Proletariats. Der Weg eines bürgerlich-demokratischen Poeten zum Streiter für die Arbeiterbewegung, 2. Aufl. Berlin 1976

Ehmer, Andreas, Georg Herwegh, in: Drecoll, Volker Henning u.a. (Hrsg.), Stiftsköpfe, Tübingen 2012, S. 289 – 296

Enzensberger, Ulrich , Herwegh. Ein Heldenleben, Frankfurt 1999

Essig, Rolf-Bernhard, Der offene Brief. Geschichte und Funktion einer publizistischen Form von Isokrates bis Günter Grass (= Epistemata, Reihe Literaturwissenschaft, Bd. 267), Würzburg 2000

Giel, Volker, Dichtung und Revolution. Die Lyrik Ferdinand Freiligraths und Georg Herweghs in der Revolution von 1848/49. Ein analytischer Vergleich, in: „Ich aber wanderte und wanderte – Es blieb die Sonne hinter mir zurück“. Grabbe-Jahrbuch 19/20 (2000/2001, Detmold 2001, S. 324 - 350

Heine, Heinrich, Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, hrsg. von Manfred Windfuhr, Bd. 2: Neue Gedichte, Hamburg 1983

Hunt, Tristram, Friedrich Engels. Der Mann, der den Marxismus erfand, Berlin 2012

Kaiser, Bruno, Der Freiheit eine Gasse. Aus dem Leben und Werk Georg Herweghs, Berlin 1948

Krausnick, Michail, Die eiserne Lerche. Die Lebensgeschichte des Georg Herwegh (= Gulliver Taschenbuch, Bd. 773), Weinheim 1998

Krausnick, Michail, „Germania, mir graut vor dir“, in: Die Zeit, Nr. 15/2014 vom 3. 4. 2014, S. 21

Lassalle, Ferdinand, Nachgelassene Briefe und Schriften, hrsg. von Gustav Mayer, Bd. 5: Briefwechsel aus den Jahren seiner Arbeiteragitation 1862 - 1864, Stuttgart/Berlin 1925

Lipp, Franz, Georg Herweghs viertägige Irr- und Wanderfahrt mit der Pariser deutsch-demokratischen Legion und deren Ende durch die Württemberger bei Dossenbach, Stuttgart 1850

Marx-Engels Gesamtausgabe (MEGA), Abt. 3: Briefwechsel, Bd. 2, Berlin 1979

Oncken, Hermann, Lassalle. Zwischen Marx und Bismarck, Stuttgart u.a. 1966

Richter, Eugen, Geschichte der social-demokratischen Partei in Deutschland seit dem Tode Ferdinand Lassalles. Zusammengestellt und actenmäßig belegt aus den beiden Organen der Partei, dem "Social-Demokrat" in Berlin und dem "Nordstern" in Hamburg, Berlin 1865

Scherr, Johannes, Georg Herwegh. Literarische und politische Blätter, Winterthur 1843

Stohler, Martin, Georg Herwegh: „Ehrenbürger von Liesthal“?, in: Baselbieter Heimatblätter 70 (2005), S. 175 – 181

Tietze, Mark-Stefan, Agit-Pop im Vormärz. "Herwegh - Ein Heldenleben": Ulrich Enzensberger gedenkt eines Polit-Lyrikers, Vaterlandsverräters, Wirrkopfes und Slackers, in: Jungle World Nr. 38/1999, http://jungle-world.com/artikel/1999/37/29876.html, abgerufen am 10.01.2015

 


[1] Chorea minor, benannt nach St. Vitus  (hl. Veit), der Kaiser Diokletians Sohn von dieser Krankheit geheilt haben soll.

[2] Krausnick, M, Die eiserne Lerche. Die Lebensgeschichte des Georg Herwegh, Weinheim 1998, S. 8.

[3] Vahl, H./Fellrath, I., Georg Herwegh – ein Lebensbericht, in: dies., „Freiheit überall, um jeden Preis!“. Georg Herwegh 1817 – 1875, Stuttgart 1992,  S. 7.

[4] Krausnick, S. 13.

[5] Evangelisches Stift Tübingen, bedeutende Bildungseinrichtung der Evangelischen Landeskirche im Württemberg. „Stiftler“ waren u.a. Kepler, Hölderlin, Hegel, Schelling und Mörike.

[6] Ehmer, A., Georg Herwegh, in: Drecoll, V. H. u.a. (Hrsg.), Stiftsköpfe, Tübingen 2012, S. 291.

[7] Scherr, J., Georg Herwegh. Literarische und politische Blätter, Winterthur 1843, S. 17.

[8] Schriftsteller, Schauspieler und Verleger, seit 1827 mit Heine befreundet.

[9] Schriftsteller und Journalist, Vertreter des deutschen Frührealismus und des Jungen Deutschland.

[10] Hunt, T., Friedrich Engels. Der Mann, der den Marxismus erfand, Berlin 2012, S. 51.

[11] Krausnick, S. 28-31.; Kaiser, B., Georg Herweghs Exil in der Schweiz, in: ders. (Hrsg.), Der Freiheit eine Gasse. Aus dem Leben und Werk Georg Herweghs, Berlin 1948, S. 9.

[12] 1818 mit seinem Bruder Karl Follen Begründer der Gruppe „Die Unbedingten“, einer radikalen Gruppe innerhalb der „Gießener Schwarzen“, zu der u.a. Carl Ludwig Sand gehörte, dessen Attentat auf Kotzebue 1819 Anlass für die Karlsbader Beschlüsse war.

[13] Herwegh, G., Gedichte eines Lebendigen, Bd.1, Zürich/Winterthur 1841.

[14] Tietze, M.-S., Agit-Pop im Vormärz, in: Jungle World Nr. 38/1999, abgerufen am 10. 01. 2015 unter http://jungle-world.com/artikel/1999/37/29876.html

[15] Politischer Buch- und Zeitschriftenverlag, gegründet 1841 in Zürich/Winterthur.

[16] Vgl. den Artikel in „Schweizerische National-Zeitung“ in Basel vom 26. 11. 1842, zitiert bei Kaiser, aaO., S. 18.

[17] Krausnick, S. 63.

[18] Zu den Einzelheiten s. Essig, R.-B., Der offene Brief. Geschichte und Funktion einer publizistischen Form, Würzburg 2000, S.160 - 163.

[19] Kaiser, S. 28.

[20] Stohler, M., Georg Herwegh: „Ehrenbürger von Liestal“?, in: Baselbieter Heimatblätter 70 (2005).  - Ein Arbeiter verdiente in der Schweiz 1842 etwa  zwei (alte) sFr./Tag (Quelle: Historical statistics of switzerland online), was bei einer Jahresarbeitszeit von ca. 290 Tagen (365 – 52  - Feiertage (kirchlich + regional) einen Jahreslohn von ca. 600 sFr. ergibt. Quelle Feiertage Schweiz: http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D16124.php

[21] „Polens Sache“, erstmals in: Schweizerische National-Zeitung (Basel) vom 10. März 1846 (Giel, V., Dichtung und Revolution. Die Lyrik Ferdinand Freiligraths und Georg Herweghs in der Revolution von 1848/49, in: Grabbe-Jahrbuch 19/20 [2000/2001], Detmold 2001, S. 346, Anm. 19).  

[22] Herwegh, E., Zur Geschichte der deutschen demokratischen Legion aus Paris. Von einer Hochverräterin, Grünberg 1849.

[23] Krausnick, S. 121. Einzelheiten: MEGA, Abt. 3: Briefwechsel, Bd. 2, Berlin 1979, S. 730-732. 

[24] Krausnick, S. 128.

[25] Gefecht des Heckerzuges mit Truppen des Deutschen Bundes unter Friedrich von Gagern am 20. April 1848 bei Kandern.

[26] Vgl. den zeitgenössischen Bericht des Hauptmanns Lipp: Georg Herweghs viertägige Irr- und Wanderfahrt mit der Pariser deutsch-demokratischen Legion und deren Ende durch die Württemberger bei Dossenbach, Stuttgart 1850.

[27] So Herweghs Sohn Marcel in: Herwegh, M., Ferdinand Lassalles Briefe an Georg Herwegh, Zürich 1896, S. 1.

[28] Oncken, H., Lassalle. Zwischen Marx und Bismarck, Stuttgart u.a. 1966, S. 173

[29] Herwegh, M., S. 39.

[30] Brief an Lassalle vom 25.10.1863, in: Lassalle, F., Nachgelassene Briefe und Schriften, hrsg. von G. Mayer, Bd. 5, Stuttgart 1925, S. 242.

[31] Brauer, J., „Ein begeisterndes und begeistertes Gedicht“: „Bundeslied“ und „Arbeiter-Marseillaise“, in: Kruke, A., Woyke, M. (Hrsg.), Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung. 1848 – 1863 – 2013, Bonn 2012, S. 54.

[32] Die Schillerfeier in Zürich. Prolog für die Festvorstellung, Zürich 1859.

[33] In: Werke in drei Teilen, T. 3, S. 70.

[34] Marx/Engels, An die Redaktion des „Social-Demokrat“, in: MEW, Bd. 16, S. 79.

[35] Richter, E., Geschichte der social-demokratischen Partei in Deutschland seit dem Tod Ferdinand Lassalles, Berlin 1865, S. 31.

[36] Kaiser, S. 71.

[37] Der schlimmste Feind, in: Werke in drei Teilen, T. 3, S. 130-132.

[38] Epilog zu Kriege, aaO S. 132.

[39] Krausnick, S. 200.

[40] Heine, H., An Georg Herwegh, in: Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke, Bd. 2, Hamburg 1983, S. 186. 

[41] Vgl. Büttner, W., Georg Herwegh – ein Sänger des Proletariats, 2. Aufl. Berlin 1976.

[42] Kaiser, S. 65.

[43] Mehring, F., Georg Herwegh, in: Die Neue Zeit, 14. Jg. (1895/96), Bd. 2, Nr. 48, S. 673 – 677.

[44] Kaiser, S. 66.

[45] AaO., S. 421, Anm. 15.

[46] Enzensberger, U. , Herwegh. Ein Heldenleben, Frankfurt 1999.

[47] Krausnick, M., „Germania, mir graut vor dir!“, in: Die Zeit, Nr. 15/2014 (3. April 2014), S.  21.