Detlev Karsten Rohwedder

geb. am 16. Oktober 1932 in Gotha, gest. am 1.April 1991 in Düsseldorf

Politiker und Industriemanager

Leipziger Universitätssängerschaft St. Pauli zu Mainz

Detlev Karsten Rohwedder

Detlev Karsten Rohwedder war eine herausragende Persönlichkeit. Vom Flüchtling zum promovierten Juristen, vom Wirtschaftsprüfer zum Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, vom Vorstandsvorsitzenden und Sanierer des Stahlkonzerns Hoesch zum Präsidenten der Treuhandanstalt. Nur wenigen Menschen gelingen in so unterschiedlichen Funktionen in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft ähnlich herausragende Leistungen. Und noch weniger Menschen ereilt so ein tragischer Tod.

 

Studium und Sängerschaft

Detlev Rohwedder geht 1953 zum Jurastudium an die 1946 wiedergegründete Mainzer Universität. Dort wird er Mitglied der farbentragenden Leipziger Universitätssängerschaft zu St. Pauli, die ebenso wie Rohwedder aus Ostdeutschland stammt und in Mainz einen Neustart wagt. Rohwedder tritt der neuen Aktivitas im Gründungssemester als dritter Fux bei. Seine Bundesbrüder erinnern noch aus dieser Zeit Rohwedders Fähigkeiten, Probleme klar zu sehen, knapp zu formulieren und überzeugend zu vertreten. Seine Schlagfertigkeit ist legendär, zahlreiche seiner Bonmots werden zu stehenden Redewendungen im Bund. Auch in den kommenden Jahrzehnten bleibt er dem Paulus eng verbunden und engagiert sich, wenn es sein Terminplan erlaubt. Die engeren Freunde aus der Aktivenzeit preisen die über Jahrzehnte gepflegten jährlichen Freundestreffen voller unbeschwerter Geselligkeit und Fröhlichkeit – lebenslange, feste Freundschaften.

 

Wirtschaftsprüfer und Staatssekretär

1963 tritt Detlev Rohwedder als Leiter der Rechts- und Steuerabteilung in die Düsseldorfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft „Kontinentale Treuhandgesellschaft“ ein, 1965 wird er Mitinhaber.

1969 kommt eine erste ungewöhnliche Wendung: Inspiriert von der neuen Ostpolitik Willy Brandts tritt Detlev Rohwedder in die SPD ein und wechselt in die Politik. Unter Karl Schiller wird er im gleichen Jahr Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Diesen Posten behält er unter mehreren Wirtschaftsministern: auf Karl Schiller folgt 1972 Helmut Schmidt, ebenfalls 1972 Hans Friderichs und 1977 Otto Graf Lambsdorff. Als Staatssekretär erarbeitet sich Rohwedder besonderes Ansehen in den Wirtschaftsverhandlungen mit der DDR. Während der Ölkrise der Siebziger Jahre bewährt er sich erstmals als pragmatischer Krisenmanager.

 

Vorstand von Hoesch

Nach 10 Jahren im Wirtschaftsministerium wechselt Rohwedder 1979 von der Politik in die Industrie. Der Dortmunder Stahlkonzern Hoesch hatte sich 1972 mit dem niederländischen Stahlkonzern „Koninklijke Hoogovens“ zur Holding „Estel“ zusammengeschlossen. Rohwedder begeistert die Möglichkeit, an diesem grenzüberschreitend-europäischen Konzern mitzuwirken, den er als wegweisenden Zusammenschluss eines zusammenwachsenden Europa ansieht. So nimmt er das Angebot eines Wechsels in den Vorstand von Hoesch sowie in die Dachholding Estel an.

Schnell werden Rohwedders Fähigkeiten als Krisenmanager gefordert. Estel schreibt seit 1975 regelmäßig rote Zahlen, und der Großteil der Verluste fällt bei Hoesch in Dortmund an. Das Unternehmen steht unter einem starken Konsolidierungsdruck. Die von dem Zusammenschluss erhofften Synergieeffekte bleiben gering gegenüber den Reibungsverlusten durch unterschiedliche Firmenkulturen und nationale Egoismen. 1982, drei Jahre nach Rohwedders Einstieg, wird der Zusammenschluss zwischen Hoesch und Koninklijke Hoogovens wieder aufgelöst. In Dortmund, wo Rohwedder schon 1980 und damit früher als geplant zum Vorstandsvorsitzenden von Hoesch aufsteigt, muss Hoesch um das blanke Überleben kämpfen.

Die Sanierung von Hoesch ist hart. In wenigen Jahren müssen über 10.000 Stellen abgebaut werden. Rohwedder über den Sanierungsplan: „Es ist der verzweifelte und letzte Versuch, die Situation auf den Hoesch-Hüttenwerken in den Griff zu bekommen.“ Es kommt zu intensiven Auseinandersetzungen im Betrieb und in der Stadt Dortmund. So demonstrieren im November 1980 70.000 Menschen in Dortmund für den schnellen Bau eines neuen Stahlwerkes – den Rohwedder zu diesem Zeitpunkt ablehnen muss, weil die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht passen. Mehrfach werden Aufsichtsratssitzungen von protestierenden Stahlarbeitern „besucht“. Rohwedder stellt sich bei diesen Protesten den verunsicherten wie empörten Mitarbeitern und steht, notfalls per Megaphon, seinen Mitarbeitern Rede und Antwort.

Der Sanierungsplan wird gemeinsam von Management und Arbeitnehmerschaft in einem zuweilen stürmischen Dialog erarbeitet, aber dann auch gemeinsam getragen. Dafür steht sowohl die Firmentradition bei Hoesch als auch die paritätische Montanmitbestimmung, daran sind aber auch viele Sanierungshilfen von Land und Bund gebunden. Die Sanierung wird auch öffentlich als Gemeinschaftswerk wahrgenommen: 1985 werden Detlev Rohwedder und Kurt Schrade, Betriebsratsvorsitzender von Hoesch, dafür gemeinsam vom Presseverein Ruhr mit dem „Eisernen Reinoldus“ geehrt. Herbert Zapp, Aufsichtsratsvorsitzender von Hoesch, beschreibt die Zusammenarbeit anlässlich der Preisverleihung wie folgt: „Entscheidend für den Erfolg war das gemeinsame Ringen, mal als Duett, mal als Duell. Hier wurde Mitbestimmung als Mitverantwortung praktiziert.“Der Erfolg der harten Sanierung zeigt sich seit 1983. In diesem Jahr schreibt Hoesch als einziges europäisches Stahlunternehmen Gewinne, und Rohwedder wird vom Industriemagazin zum „Manager des Jahres“ gekürt. In den folgenden Jahren wird der Umbau von Hoesch konsequent fortgesetzt. Stetig werden neue Geschäftsfelder erschlossen, um unabhängiger vom zyklischen Stahlgeschäft zu werden.

1990 verlässt Rohwedder ein international angesehenes Vorzeigeunternehmen mit mittlerweile wieder 50.000 Mitarbeitern. Allerdings werden nur noch 25% des Umsatzes mit Stahl und Stahlveredlung erzielt, hingegen 55% mit Verarbeitung und Industrietechnik und 20% mit Handel, Dienstleistungen, Automatisierung und Systemtechnik. Die Attraktivität von Hoesch zeigt sich auch darin, dass Hoesch 1991, nach Rohwedders Abgang, von Krupp in der ersten feindlichen Übernahme eines Großkonzerns in der Bundesrepublik aufgekauft wird.

 

Strukturwandel in Dortmund

In diesen Jahren sammelt Rohwedder aber nicht nur Erfahrungen bei der Sanierung eines großen Konzerns, sondern auch beim Strukturwandel einer kriselnden Stadt. Kohle, Stahl und Bier machten Dortmund berühmt. Stahl, das ist in Dortmund Hoesch, seitdem 1966 die Dortmund-Hörder Hüttenunion mit Hoesch verschmolz. Damals arbeiten 48.600 Mitarbeiter bei Hoesch, das Unternehmen stellte jeden fünften Arbeitsplatz in Dortmund.

Mit der Krise von Kohle und Stahl brechen Dortmunds dominierende Industriezweige ein. Allein in den Achtziger Jahren schrumpfen die Arbeitsplätze im Kohlebergbau von 14.000 auf 3.000, Hoesch Stahl muss seine Belegschaft von 30.000 auf 14.300 Mitarbeiter reduzieren. Die Arbeitslosenzahl in Dortmund klettert von 13.500 in 1980 auf über 35.000 in den Jahren 1984 bis 1988. Die Arbeitslosenquote steigt auf über 18% und beschert Dortmund die „rote Laterne“ in Nordrhein-Westfalen.

Zur Sanierung bei Hoesch gesellt sich also die Herausforderung des Strukturwandels einer Stadt und einer ganzen Region. Dieser Strukturwandel liegt Rohwedder am Herzen, und er hat ihn in Dortmunds härtester Zeit begleitet und unterstützt. Aus der Not heraus entwickelt sich mit dem „Dortmunder Konsens“ ein gemeinsamer Pakt von Politik, Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Gewerkschaften im gemeinsamen Bestreben, die Stadt voranzubringen und neue Perspektiven zu eröffnen. Vom Ausbau der Infrastruktur über die Förderung von Dienstleistungen bis hin zur Entwicklung von Forschung und Ansiedlung von Hochtechnologie werden gemeinsam verschiedene Maßnahmen ergriffen, um der Atmosphäre des Niedergangs ein innovatives Klima mit neuen Möglichkeiten entgegenzusetzen. 1986 entstehen in Dortmund erstmals seit langem mehr neue Arbeitsplätze als durch Rationalisierungen und Betriebsschließungen vernichtet werden. Das Blatt beginnt sich zu wenden. 1989 kann Dortmund die „rote Laterne“ der höchsten Arbeitslosenquote in Nordrhein-Westfalen wieder abgeben.

 

Präsident der Treuhand-Gesellschaft

1990 wird Rohwedder die wohl schwerste Aufgabe in der deutschen Wirtschaft angeboten: Präsident der Treuhandgesellschaft. Er ist 58 Jahre alt - ein Alter, in dem manche Menschen die Karriere ausklingen lassen und den Vorruhestand planen. Detlev Rohwedder hingegen übernimmt eine der schwersten Sanierungsaufgaben schlechthin, den Vorsitz und Chefsanierer und damit obersten Buhmann der Treuhand-Anstalt. Nur am Rand sei erwähnt, dass diese Anstellung deutlich schlechter bezahlt wird als der sichere Posten bei Hoesch.

Die Treuhandgesellschaft ist eine Holding, in der die rund 8.000 ehemals „volkseigenen“ Betriebe der ehemaligen DDR gesammelt sind. Ihr Auftrag besteht darin, diese zu verwalten, möglichst zu erhalten und wettbewerbsfähig zu machen und zu privatisieren. In den Betrieben der Treuhandanstalt arbeiten anfangs etwa vier Millionen Menschen. Das sind mehr Mitarbeiter als damals in den 25 größten, börsennotierten US-amerikanischen Unternehmen zusammen arbeiten!

Rohwedders Berufung kann als politisches Signal begriffen werden, die „volkseigenen“ Betriebe der DDR nicht einfach zu zerschlagen und zu versilbern, sondern ernsthafte Anstrengungen zur Sanierung zu unternehmen. Wenn hier einer Erfolge erzielen kann, dann Rohwedder. Dem geborenen Thüringer liegt das Schicksal Ostdeutschlands am Herzen. Als ehemaliger Staatssekretär ist er ein detaillierter Kenner des politischen Betriebs. In jenem Amt mit den Wirtschaftsverhandlungen mit der DDR betraut, ist er mit den Herausforderungen der ostdeutschen Wirtschaft und Gesellschaft einigermaßen vertraut. Er hat bei Hoesch erfolgreich die Sanierung eines maroden Stahlkonzern und den Umbau zu einem leistungsfähigen Mischkonzern geleitet. In Dortmund war er aktiv an der Gestaltung des Strukturwandels des Ruhrgebiets beteiligt.

Vor der Bewältigung der eigentlichen Arbeit steht der Aufbau einer arbeitsfähigen Institution, das Durchsetzen einer besseren Ausstattung, das Bemühen um eine Modifizierung der Arbeitsbedingungen der Treuhand. Der von ihm initiierte Umdenkungsprozess in Bonn scheint langsam in Gang zu kommen. Die Treuhandanstalt steht von allen Seiten unter Kritik. Rohwedder stellt sich vor seine Mitarbeiter und wird zur Symbolfigur für Maßnahmen, die oft sehr harte menschliche Folgen haben, die er sieht und zumindest zu mildern versucht, auch wenn er von der Notwendigkeit der harten Veränderungen überzeugt ist.

Am 27. März 1991 richtet Detlev Rohwedder einen programmatischen „Osterbrief“ an die Mitarbeiter der Treuhandgesellschaft, in dem er seine Vorstellungen von der Arbeit und Aufgabe der Treuhandanstalt formuliert. Darin bekundet er seine Überzeugung, dass Privatisierung die beste Sanierung ist. Er bekennt sich auch dazu, dass unausweichliche Stilllegungen behutsam zu strecken sind, um „Zeit für das Aufwachsen neuer Arbeitsplätze zu gewinnen“ – ganz wie er es beim erfolgreichen Strukturwandel in Dortmund als Erfolgskonzept erfahren hat. Unternehmen mit Zukunftschancen, die sich aber jetzt noch nicht privatisieren lassen, sagt der Treuhand-Chef seine entschlossene Unterstützung zu.

Wir dokumentieren diesen Brief im Anschluss an die Kurzbiographie Rohwedders. Fünf Tage vor seiner Ermordung verfasst, liest er sich rückblickend wie ein Vermächtnis, das wertvolle Einblicke in Rohwedders Vorstellung der sozialen Marktwirtschaft, eines sozialverträglichen Umbaus und der Sanierung der Wirtschaft der Ex-DDR gibt.

Am 1. April 1991, fünf Tage später, wird Detlev Karsten Rohwedder in seinem Wohnhaus in Düsseldorf erschossen. Seine Frau wird schwer verletzt. Die Mörder haben nicht nur Rohwedders Familie, seinen Bundesbrüdern beim Paulus Mainz und befreundeten Sozialdemokraten, sondern dem ganzen Land und seinen Menschen einen tiefen Verlust zugefügt. Sie denken, mit seiner Ermordung Rückhalt in Ostdeutschland zu gewinnen. Zumindest dieses Ansinnen schlug fehl, und die RAF löst sich einige Jahre später endlich auf.

Schon aufgrund ihrer Größe und ihrer Bedeutung ist die Treuhandbehörde zahlreichen Interessen, Wünschen und Begehrlichkeiten ausgesetzt und hätte es nie allen recht machen können. Die anfangs erhofften und versprochenen wirtschaftlich „blühenden Landschaften“ bleiben in weiten Teilen Ostdeutschlands aus. Der komplette Umbau der ostdeutschen Wirtschaft erweist sich in dem neuen Wirtschafts-, Rechts- und Gesellschaftssystem als wesentlich schwieriger als von vielen erwartet. Zahlreiche Unternehmen müssen ersatzlos schließen, weite Gegenden Ostdeutschlands sind bis heute faktisch deindustrialisiert. Die auch mehrere Jahrzehnte nach der Wende noch hohe Arbeitslosigkeit und die nach wie vor starke Abwanderung aus dem Osten Deutschlands sind Zeichen für einen nur partiell gelungenen Strukturwandel und zeigen die wirtschaftlichen Defizite der deutschen Vereinigung immer noch deutlich auf.

Diverse Bestechungs- und Privatisierungsskandale um die Treuhandanstalt unter Rohwedders Nachfolgern tragen ihren Teil dazu bei, dass diese sich das Image eines rücksichtslosen und unmoralischen „Plattmachers“ erwirbt. Ob die Vorwürfe in ihrer Pauschalität berechtigt sind und ob die Transformation der ostdeutschen Wirtschaft, die Sanierung, der Umbau und die Privatisierung einer ganzen Volkswirtschaft, unter einem Treuhandpräsidenten Rohwedder besser verlaufen wäre – diese Frage lässt sich nicht objektiv beantworten. Festzuhalten ist aber dies: Am 1. April 1991 wurde ein Mensch ermordet, der für die Herkulesaufgabe eines menschlich verantwortungsvollen, auf Sanierung und Umbau orientierten Strukturwandels prädestiniert war wie kein Zweiter.

 

Verwendete Quellen (teils auch Lese- bzw. Sehempfehlungen):

1. P. Fiedler, Detlev Karsten Rohwedder. Ein Jahrzehnt Strukturwandel bei Hoesch und in Dortmund, Dortmund 1991

2. U. Schulte-Döinghaus, Der Genosse Manager, in: Wirtschaftswoche Jahrbuch 1988/89, S. 84-85

3. Spiegel-Gespräch „Die Ängste und Nöte sind zurückgekommen“. Hoesch-Chef Detlev Karsten Rohwedder über die Krise der Stahlindustrie und die Wirtschaftspolitik der SPD, in: Spiegel 09/1987

4. Treuhand - Schnell und kühl, in: Spiegel 46/1990

5. Detlev Rohwedder †,  in: Stahl und Eisen 111 (1991), Nr. 4 v. 15.04.1991

6. J. Geelhoff; P. Gillies, Drei Kapitel Wirtschaftsgeschichte, in: Die Welt v. 03.04.1991

7. M. Böick, Der Tod des Treuhand-Herkules, in: RevolutionUndEinheit.de; 28.09.2010, http://www.friedlicherevolution.de/index.php?id=49&tx_comarevolution_pi4...

8. K. Schwenn, Zum 20. Todestag von Detlev Rohwedder - Schwarzer Ostermontag, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 01.04.2011

9. B. Haunfelder, Nordrhein-Westphalen, Land und Leute 1946 – 2006. Ein biographisches Handbuch, Münster 2006, S. 394

10. K. P. Ellerbrock, „Rohwedder, Detlev Karsten“, in: Neue Deutsche Biographie 22 (2005), S. 7-8

11. M. Jürgs, M., Die Treuhändler. Wie Helden und Halunken die DDR verkauften, München/ Leipzig 1997

12. Altherrenverband und Aktivitas der Leipziger Universitätssängerschaft zu St. Pauli in Mainz, Dank und Erinnerung an Detlev Rohwedder, in: Pauliner Zeitung der Leipziger Universitätssängerschaft zu St. Pauli in Mainz 99 (1991), Sondernummer

13. F. Kasten, Ein literarisches Denkmal, in: Pauliner Zeitung der Leipziger Universitätssängerschaft zu St. Pauli in Mainz, Nr. 1/1996, S. 1-4

14. R. Kusserow/S. Kill, „Operation Deutschland - Detlev Rohwedder“, Fernsehfilm aus der Fernsehreihe „Made in Germany“,2016

15. M. Haubrich, G. Dedio, „Der Fall Rohwedder - 20 Jahre nach dem Mord immer noch ungeklärt“, Dokumentationsfilm, arte edition 2011

16. Persönliche Korrespondenz des Verfassers mit Dr. Fritz Kasten, dem Bundesbruder und engen Freund von Dr. Rohwedder

 

Alexander Stintzing

Anhang, Rohwedders „Osterbrief“

 

Dr. Detlev Rohwedder,

Präsident der Treuhandanstalt

27. März 1991

 

An alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Treuhandanstalt

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

als Lektüre für die bevorstehenden Ostertage schicke ich Ihnen einige Gedanken zur gegenwärtigen Position der Treuhandanstalt.

Ich wünsche Ihnen ein frohes Osterfest!

Mit freundlichem Gruß

[Dr. Rohwedder]

 „Die Entscheidung für die deutsche Einheit war zugleich eine Entscheidung für die soziale Marktwirtschaft in ganz Deutschland.

Dies macht einen umfangreichen Umbau der Wirtschaft in den neuen Bundesländern erforderlich. Viele Arbeitsplätze mit unzureichender Produktivität sind dadurch verlorengegangen, andere müssen mit hohem Aufwand an Kapital, Kenntnissen und Erfahrungen umgestaltet werden, neue Arbeitsplätze müssen in Bereichen wie dem Bauwesen, den Dienstleistungen etc. entstehen – auf Gebieten, die in der ehemaligen DDR traditionell unterversorgt waren.

Zentrale Aufgabe, die der Gesetzgeber der Treuhandanstalt gestellt hat, ist es, diesen Umbau der Unternehmen herbeizuführen und zu begleiten. Das der Treuhandanstalt gesetzte Ziel ist, die Staatswirtschaft so schnell wie möglich zurückzudrängen und neue unternehmerisch aktive Eigentümer zu finden.

Der Weg zu diesem Ziel ist heute selbstverständlich umstritten. Nachdem die Wirtschaft der neuen Bundesländer voll in den Wettbewerb des Weltmarktes integriert ist, haben viele Arbeitsplätze ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren, die sie vorher durch Subventionen und Abschottung vom Weltmarkt scheinbar hatten. Die Entscheidung, diese Arbeitsplätze abzubauen, ist schmerzhaft, sie aufrechtzuerhalten ist teuer für die Gesamtheit und verlangsamt den gewollten Umbau der Volkswirtschaft.

Der Treuhandanstalt ist die Verantwortung für die Entscheidungen im Einzelfall übertragen worden. Sie darf nicht das Ziel ändern, aber sie hat das Tempo im Einzelfall und insgesamt unter Berücksichtigung der sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Folgen abzuwägen.

Grundlage ihrer Arbeit sind die Prinzipien, die Bundesregierung, Ministerpräsidenten der neuen Länder und Treuhand-Vorstand im 8-Punkte-Programm für den Aufschwung Ost zur gemeinsamen Basis gemacht haben.

Priorität wird auch weiterhin die Überführung von Unternehmen in privates Eigentum haben. Dies ist der beste Weg, um mit neuem Wissen, neuem Kapital und neuen strategischen Unternehmenszielen ein Unternehmen und seine Arbeitsplätze zu erhalten und ihm eine neue Zukunft zu geben.

Privatisierung ist die wirksamste Sanierung. Unternehmen, die Zukunftschancen haben, die aber noch nicht privatisiert sind, wird die Treuhandanstalt weiterhin in der unternehmerischen Verantwortung des Eigentümers entschlossen unterstützen, ihre Sanierung ebenso wie ihr Wachstum finanziell absichern und tragen.

Sie wird bei der Anpassung an die neue Markt- und Wettbewerbslage die sozialen Belange der Mitarbeiter berücksichtigen, muss jedoch auch darauf achten, dass nicht die Zukunftschancen des Betriebes – und dazu gehört die Privatisierung – gefährdet werden. Hier sind Arbeitsplatzverluste so wenig zu vermeiden wie bei der Privatisierung oder bei der Stilllegung.

Sanierung ist ständiger Auftrag der Treuhandanstalt für die Unternehmen auf dem Weg zur Privatisierung.

Es gibt in den neuen Bundesländern Betriebe, die keine Chancen haben, Wettbewerbsfähigkeit zu erreichen; vielfach sind dies Fertigungen, die in anderen Teilen Europas schon vor vielen Jahren im Strukturwandel aus dem Markt ausgeschieden sind. In diesen Fällen ist die Stilllegung unvermeidlich.

Die Treuhandanstalt ist bemüht, diesen Stillegungsprozess behutsam zu strecken, um Zeit für das Aufwachsen neuer Arbeitsplätze zu gewinnen. Sie wird sich insbesondere dafür einsetzen, dass Gebäude und Infrastruktur für deren zügige Ansiedlung genutzt werden, auch wenn dies nur Übergangslösungen bis zur Fertigstellung von Neubauten sind.

Stilllegungen sollen zum Kristallisationskern neuer Aktivitäten werden.

Die Treuhandanstalt hat einen gesetzlichen Auftrag, und sie leistet ihre Dienste in Erfüllung dieses Auftrages. Sie ist verpflichtet, unternehmerisch zu handeln – aber nicht im Eigeninteresse: Ihre Aufgabe ist Dienstleistung für das ganze Volk.

In einem Prozess, den das ganze deutsche Volk wollte, hat die Treuhandanstalt dabei die schwere Aufgabe, schmerzliche, aber unvermeidliche Umstellungen zu verantworten, die nötig sind, um das gemeinsame Ziel zu erreichen.

Vorstand und Mitarbeiter müssen wohl volles Verständnis dafür haben, dass diese Arbeit mit kritischer Aufmerksamkeit begleitet wird. Anfeindungen und Verleumdungen sind aber keine Kritik und können uns daher nicht treffen.“