Biografie von Hinrich Wilhelm Kopf

geb. am 6. Mai 1893 in Neuenkirchen, gest. am 21. Dezember 1961 in Göttingen

Niedersächsischer Ministerpräsident

Verbindung Lunaburgia Göttingen im Miltenberger Ring

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HWK„Pus´di man nich op, büst ok blot mit´n nookten Moors oppe Welt komen“[1] konterte er, wenn ihm jemand zu großspurig daherkam: Hinrich Wilhelm Kopf, erster Ministerpräsident des Landes Niedersachen und über die Parteigrenzen hinaus anerkannter und beliebter „Landesvater“.

Schulzeit, Studium und erste berufliche Tätigkeit

Als Sechzehnjähriger verließ Hinrich Wilhelm Kopf nach einer Auseinandersetzung mit seinem Vater das Gymnasium in Cuxhaven und wanderte nach Amerika aus. Neun Monate und zahlreiche Aushilfsjobs später kehrte er nach Deutschland zurück, arbeitete als landwirtschaftlicher Lehrling und bereitete sich auf sein Abitur vor, das er 1913 in Hildesheim bestand. Anschließend studierte er Rechtswissenschaften in Marburg und Göttingen, wo er der Verbindung Lunaburgia (Miltenberger Ring) beitrat. Zu Beginn des Weltkriegs unterbrach er wie die meisten Verbindungsstudenten sein Studium und wurde Soldat, musste jedoch nach kurzer Zeit wegen Krankheit aus dem Militär ausscheiden. Nach dem Examen 1917 und Beginn des Referendariats in Otterndorf führte ihn eine rastlose Zeit kreuz und quer durch das Deutschland der Weimarer Republik: 1918 Soldatenrat in Cuxhaven, 1919 Beendigung der Referendarausbildung in Göttingen, erneute Aktivmeldung bei der Lunaburgia und zum vierten Mal Erstchargierter, im selben Jahr Eintritt in das „Freiwillige Landesjägerkorps“, Mitglied der SPD, Presseamtsleiter in Bielefeld bei Carl Severing, 1920 persönlicher Referent des Reichministers Eduard David in Berlin, im selben Jahr Regierungsrat in Thüringen und als Polizeireferent mit der Aufgabe betraut, die dortige Landespolizei aufzubauen. 1922 schied er aus dem thüringischen Staatsdienst aus. Anschließend absolvierte er eine Banklehre und war bis 1928 im Banken- und Versicherungswesen tätig.

Landrat in Hadeln

Nach dem überraschenden Tod des Landrats seines Heimatlandkreises Hadeln an der Unterelbe wurde Kopf im Sommer 1928 dessen Nachfolger, zunächst kommissarisch und wenig später auf Empfehlung des Kreistags vom preußischen Staatsministerium in dieser Funktion bestätigt.[2] Schon bald gewann er das Vertrauen der Bevölkerung im Landkreis, obwohl diese traditionell nicht sozialdemokratisch eingestellt war. Dabei kam ihm seine Heimatverbundenheit zugute: Seine erste öffentliche Erklärung als Landrat schloss er mit den Worten. „Meine Amtssprache ist Hochdeutsch und Plattdeutsch.“ [3] Auf das Angebot einer Stellung als Vizepräsident in einem Oberpräsidium der Provinz Hannover antwortete er: „Ik bin Hodler, un ik blief Hodler.“[4] In seiner Amtszeit als Landrat machte er sich u. a. um die lokale Landwirtschaft, die Deichsicherung, Schöpfwerke zur Entwässerung, die Raum- und Gebietsplanung, die Modernisierung der Kreisverwaltung, den Wohnungsbau und um das Schulwesen verdient. Seiner Initiative verdankt der Landkreis Hadeln auch die Einführung des mittelalterlichen Hadelner Wappens als Kreiswappen, bestehend aus einem Siegel mit dem hl. Nikolaus von Myra, dem Schutzpatron der Fischer und Schiffer, und der Aufschrift „Sigillum Terre Hadhlerie“.[5]

Immobilienfirma Kopf und Haupttreuhandstelle Ost

Nach dem „Preußenschlag“ am 20. Juli 1932 wurde Kopf als Landrat in den einstweiligen Ruhestand versetzt und in die oberschlesische Provinz nach Oppeln abgeordnet. In Anwendung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ wurde er 1934 aus dem Staatsdienst entlassen. Im selben Jahr gründete er in Berlin zusammen mit einem Kompagnon die Immobilienfirma Kopf & Bohne. Die Firma erhielt eine Generalvollmacht für sogenannte Arisierungstransaktionen, womit Kopf, obwohl nie Mitglied der NSDAP, sondern ihr überzeugter Gegner, ohne staatlichen Zwang Helfer der verbrecherischen NS-Politik wurde.[6] Andererseits berichten emigrierte Juden, Kopf habe „in ihrem Interesse gehandelt“ und versucht, „den Schaden so klein wie möglich zu halten.“[7] Beim Novemberpogrom 1938 fanden flüchtende Juden Schutz in seinen Geschäftsräumen.[8]

Nach Recherchen von Teresa Nentwig hat sich Hinrich Wilhelm Kopf von 1939 bis 1942 durch seine Tätigkeit im Auftrage der „Haupttreuhandstelle Ost“(HTO) und der Grundstücksgesellschaft der HTO (GHTO) als Treuhänder für die Vermögensverwaltung aus Königshütte (heute Chorzow) geflohener Personen, überwiegend Juden, und danach bis 1944 als kommissarischer Verwalter des jüdischen Gemeindevermögens in Cziechowa zumindest moralisch schuldig gemacht.[9] Nach Kriegsende wurden schon im Sommer 1945 Vorwürfe gegen Kopf wegen angeblicher Kriegsverbrechen laut, die jedoch nach einer Untersuchung durch die britische Militärregierung als haltlos zurückgewiesen wurden. Nach erneuten Beschuldigungen wurde er auf polnischen Antrag im November 1947 in die Kriegsverbrecherliste der UNWCC (United Nations War Crimes Comission) aufgenommen; Aufnahmen in diese Liste geschahen auf Antrag und ohne vorherige Prüfung der Einzelheiten. Als die Volksrepublik Polen im Januar 1948 Kopfs Auslieferung forderte, wurde die Angelegenheit von der UNWCC mit einem für Kopf positiven Ergebnis abgeschlossen. Der Auslieferungsantrag wurde daraufhin als unbegründet abgelehnt und Kopfs Name von der Liste der Kriegsverbrecher entfernt. In der Tat entsprachen die Vorwürfe in zahlreichen Details nicht den Tatsachen.[10] Es kam hinzu, dass die britische Militärregierung Kopf für politisch unentbehrlich beim Aufbau demokratischer Strukturen in ihrer Besatzungszone hielt.[11] Zuvor hatte er allerdings in einer Presseerklärung sowie im niedersächsischen Landtag wahrheitswidrig erklärt, er sei „niemals Enteignungskommissar oder Treuhänder polnischer und jüdischer Vermögen gewesen.“[12]

Nach 1945: Regierungspräsident, Oberpräsident, Ministerpräsident

Nach seinem Ausscheiden bei der HTO war Kopf zunächst in seiner früheren Firma in Berlin tätig. Nachdem diese Ende 1943 ausgebombt worden war, bewirtschaftete er das Gut seiner Ehefrau in Oberschlesien. Als seit Herbst 1944 über den Ausgang des Krieges kein Zweifel mehr bestehen konnte, entschloss er sich zur Flucht in den Westen. Statt wie geplant in seinen Heimatort in Hadeln gelangte er im März 1945 nach Alfeld südlich von Hannover. Nach Kontaktaufnahme mit den örtlichen SPD-Organisationen wurde er am 1. Mai 1945, noch vor der Kapitulation der deutschen Wehrmacht, von der britischen Militärregierung als Regierungspräsident des Regierungsbezirks Hannover, eines der sechs Regierungsbezirke der bis 1934 zu Preußen gehörenden Provinz Hannover, eingesetzt. Nach dem Rücktritt des Oberpräsidenten der Provinz im September desselben Jahres wurde Kopf zu dessen Nachfolger ernannt. Am 23. August des folgenden Jahres wurde auf Anordnung der Militärregierung[13] aus der Provinz Hannover das Land Hannover und Hinrich Wilhelm Kopf dessen erster Ministerpräsident.

Gründung des Landes Niedersachsen[14]

Im September 1946 erhielt in der Diskussion des Zonenbeirats über die künftige Gestalt der britischen Besatzungszone Kopfs Vorschlag der Bildung von fünf Ländern – die Flächenstaaten Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sowie die Stadtstaaten Bremen und Hamburg – die Mehrheit.[15] Durch Anordnung der Militärregierung vom 23. November[16] wurde rückwirkend zum 1. November aus den bisherigen Ländern Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Schaumburg-Lippe das Land Niedersachsen mit Hannover als Hauptstadt gebildet.[17] Die erste Regierung des neuen Landes war eine von der Militärregierung am 23. November 1946 ernannte Allparteienregierung mit Kopf als Ministerpräsident.[18]

Hinrich Wilhelm Kopfs Amtszeit

Als Ministerpräsident amtierte Kopf von 1946 bis 1955 und erneut von 1959 bis zu seinem Tod 1961in Kabinetten unterschiedlicher Zusammensetzung. Nach der ersten Landtagswahl im April 1947 wurde nach anfänglichen Problemen[19] erneut eine Allparteienregierung gebildet, die im März 1948 auf Grund wirtschaftspolitischer Differenzen zwischen den Parteien auseinanderbrach.[20] Das daraufhin gebildete neue Kabinett Kopf bestand aus Ministern der SPD, CDU und des Zentrum. Dem nach der Landtagswahl im Mai 1951 gebildeten Kabinett Kopf gehörten Minister aus SPD, BHE und Zentrum an. Im November 1953 konnte die Regierung Kopf einen von CDU/DP und FDP eingebrachten Misstrauensantrag abwehren.[21] Bei der Landtagswahl 1955 blieb die SPD zwar die mit Abstand stärkste Partei, musste aber die Regierungsgewalt an eine Koalition von CDU/DP, BHE und FDP unter Führung von Hellwege (DP) abgeben. Als diese Koalition im November 1957 zerbrach, trat die SPD in die Regierung unter Hellwege ein und Kopf wurde Innenminister. Bei der Wahl im April 1959 wurde die SPD wiederum stärkste Partei. Es kam erneut zur Bildung einer Regierung Kopf, bestehend aus Vertretern von SPD, FDP und BHE. Nach Kopfs Tod am 21. 12. 1961 wurde die Koalition unter seinem Nachfolger Georg Diederichs fortgesetzt.

Zu den politischen Erfolgen Hinrich Wilhelm Kopfs zählen vor allem der Aufbau demokratischer Strukturen in der Gründungsphase Niedersachsens und die Herstellung und Bewahrung der Einheit des neugeschaffenen Landes. In den bis zur sog. „Gleichschaltung der Länder“ 1934 bestehenden und nach 1945 zunächst wiederhergestellten Ländern Braunschweig, Oldenburg und Schaumburg-Lippe bestanden anfangs starke Widerstände gegen ein gemeinsames Niedersachsen.[22] Kopf hatte in seiner Regierungserklärung am 9. Dezember 1946 Niedersachsen ein „durch die Stammesart seiner Bewohner, durch seine gleichartige Struktur, Tradition und wirtschaftliche Geschlossenheit ... organisch gewachsenes zusammenhängendes Ganzes“ genannt und war überzeugt, dass das „Zusammenwachsen aller Teile unseres Landes ... reibungslos und schnell vonstatten gehen“ werde[23] Dennoch gab es noch bis Mitte der 70er Jahre in Oldenburg und Schaumburg-Lippe partikularistische Versuche, die Einheit des neugeschaffenen Landes in Frage zu stellen.[24]

Ein weiterer bedeutender politischer Erfolg Kopfs war der 1955 geschlossene Loccumer Vertrag zwischen dem Land und den evangelischen Kirchen in Niedersachsen.[25] Der Vertrag hatte neben seiner kirchenpolitischen Funktion „eine erhebliche Bedeutung für Niedersachsen als Land“ und „als Integrationsmittel zur Zusammenführung der Landesteile“.[26] Der Vertrag diente als „Vorbild für die weitere kirchenvertragliche Entwicklung in den übrigen Bundesländern“.[27] Hinrich Wilhelm Kopf war „der Initiator des Vertrages“[28], der seiner christlichen Auffassung entsprach, die er 1946 in einem Brief an Kurt Schumacher formuliert hatte: Er sei „aus innerster Überzeugung ein christlicher Sozialist. (...) Ich bin Sozialist, weil ich Christ bin, und ich glaube, dass jeder wirkliche Christ Sozialist sein muss.“[29]

Hinrich Wilhelm Kopfs Abschiedsgruß

Hinrich Wilhelm Kopf starb am 21. Dezember 1961 in Göttingen. Ergreifend waren die Zeilen, mit denen er sich nach seinem Tod verabschiedete: „Meinen Abschiedsgruß zuvor! Ich bin gestorben. Meine Angehörigen bitten von Beileidsbezeugungen Abstand zu nehmen. Den Gegenwert mir zugedachter Aufmerksamkeiten bitte ich der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger in Bremen zur Verfügung zu stellen. Dank allen, die zu mir gestanden haben und mir Freund waren. Diejenigen, denen ich weh oder unrecht getan habe, bitte ich um Vergebung. Hinrich Wilhelm Kopf.“[30]

Sein Wunsch nach einem Begräbnis in aller Stille wurde nicht erfüllt, nach den Worten von Alfred Kubel, Minister unter Kopf und von 1970 bis 1976 selbst Ministerpräsident, „nicht nur, weil sein Amt für einen solchen stillen Abschied zu hoch war, sondern weil wir ihm zu nahe standen, als dass wir ihn so ziehen lassen könnten.“[31]

Hinrich Wilhelm Kopf als Unperson? Oder: damnatio memoriae

Nentwig zeichnet in ihrer Kopf-Biographie nach eigener Aussage ein „weitgehend positive(s) Bild von Hinrich Wilhelm Kopfs Amtszeit als Ministerpräsident“, das jedoch durch die „Kontroverse um seine Vergangenheit“ getrübt sei.[32] Bei der Vorstellung ihrer Biographie erklärte der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil im Juni 2013, Kopf sei durch seine „Aufbauarbeit ... zur Legende und gewisser Maßen zum Denkmal“ geworden, das nunmehr jedoch „unübersehbare Risse“ habe. Er stellte die Frage, was das Ergebnis von Nentwigs Recherchen „für Straßen und Schulen, die bis heute nach Hinrich Wilhelm Kopf benannt sind“, bedeute.[33]

Der Präsident des Niedersächsischen Landtags beauftragte daraufhin die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen mit einem Gutachten zum künftigen geschichtspolitischen Umgang mit Hinrich Wilhelm Kopf.[34] Vor allem ging es dabei um die Frage, ob angesichts der politischen Belastung von Hinrich Wilhelm Kopf öffentliche Gebäude wie z. B. Schulen sowie Straßen und Plätze, darunter der Platz vor dem niedersächsischen Landtag in Hannover, weiterhin nach ihm benannt werden sollten. Nentwig hatte in einem Zeitungsinterview solche Umbenennungen nicht für erforderlich gehalten und stattdessen empfohlen, an Gebäuden und Straßen, die nach Kopf benannt waren, erklärende Zusatzschilder anzubringen.[35] In Abwägung der Verdienste und der politischen Belastung Kopfs empfahl die Kommission, ihn als „Gründerfigur des Bundeslandes Niedersachsen auch weiterhin zu würdigen“, was „keineswegs im Widerspruch zur Benennung seiner offenkundigen und nicht zu verleugnenden Schwächen“ stehe.[36] Sie schlug vor, mit der Erinnerung an Kopf „auf eine differenzierte Weise umzugehen.“[37] Das könne u. a. bedeuten, „die Benennungen von Straßen, Plätzen und öffentlichen Institutionen mit seinem Namen beizubehalten und durch eine Form kritischer Auseinandersetzung mit seinem Leben und Wirken sich dem Problem zu stellen, anstatt es durch die Tilgung des Namens aus dem öffentlichen Bewusstsein herauszurücken.“ Diesen Empfehlungen folgte der Ältestenrat des niedersächsischen Landtag jedoch nicht. In einer Pressemitteilung gab er bekannt: „Im Ergebnis haben deshalb alle Mitglieder des Ältestenrates den Wunsch, dass der Platz vor dem Landtag einen unbelasteten Namen erhält.“[38] Der zuständige Bezirksrat Hannover-Mitte beschloss daraufhin die Umbenennung in Hannah-Arendt-Platz. Diese Maßnahme rief erheblichen Widerspruch auch in den Reihen der SPD hervor. So weigerte sich bspw. Horst Milde, 1990 bis 1998 Präsident des niedersächsischen Landtags, eine Ehrung durch die SPD entgegenzunehmen.[39].

Nentwigs Biographie fand in der Öffentlichkeit keine ungeteilte Zustimmung. Eine Rezension in der FAZ nannte die „Quellenbasis für diese schwerwiegenden Vorwürfe ... sehr schmal“ und hielt ein von Nentwig angeführtes Beispiel für „die von Kopf geübte Praxis“ als Beweis für dessen angebliche Beteiligung an der „Ausraubung der Polen“ nicht für stichhaltig.[40] Im Bremischen Jahrbuch 2015 schrieb ein Rezensent, Nentwigs Biographie habe „ein geschichtspolitisches Erdbeben in Niedersachsen ausgelöst. (...) Hinrich Wilhelm Kopf (...) wurde binnen weniger Wochen vor allem in den Medien, aber auch von vielen derzeit aktiven niedersächsischen Politikern zur ‚Unperson’ erklärt, die der Achtung und Ehrung nicht würdig sei. In vielen niedersächsischen Ortschaften kam es zu Debatten, ob die jeweiligen Namensnennungen beibehalten werden dürften, die häufig zu dem Ergebnis führten, dass dies nicht zu rechtfertigen sei.“ [41] Dabei sei Nentwigs Darstellung durchaus nicht schlüssig: „Die historisch-biographischen Darlegungen und Schlussfolgerungen bleiben (…) häufig spekulativ und ausgesprochen unbefriedigend.“ Die Ergebnisse der Recherche seien „so aufbereitet, dass sie die unterstellte ‚NS-Belastung’ Kopfs plausibel erscheinen lassen.“[42] Als krasses Beispiel nannte der Rezensent die Behauptung, Kopf habe den Verkauf von Grabsteinen eines jüdischen Friedhofs organisiert, die anschließend als Straßenpflaster verwendet worden seien. Diese Behauptung sei jedoch „definitiv falsch“: In Wirklichkeit habe, wie einem Zeitungsbericht[43] zu entnehmen sei, der Friedhof die NS-Zeit „fast unversehrt überdauert“ und gelte „heute als eines der wichtigsten Denkmale jüdischen Lebens in Oberschlesien.“[44] Der Rezensent urteilt abschließend über Nentwigs Biographie, es habe „den Anschein, dass der absehbare mediale ‚Knalleffekt‘ wichtiger war als wissenschaftliche Seriosität.“

Das Vorgehen des Ältestenrats des Landtags und des Bezirksrats Hannover-Mitte erscheint zumindest voreilig. Die Tilgung des Namens von Hinrich Wilhelm Kopf aus der Bezeichnung von Institutionen, Straßen und Plätzen kommt einer damnatio memoriae gleich. Von historischem Exorzismus sprach Martin Sabrow 2014 in einem Spiegel-Gespräch.[45] Es wäre angesichts der Verdienste des „roten Welfen“ um den demokratischen Aufbau des Landes Niedersachen angemessen, die belastenden Quellen und deren Interpretation von dritter Seite erneut zu prüfen. Wie die FAZ schrieb, bedarf es zu einer endgültigen Bewertung Hinrich Wilhelm Kopfs „noch eingehender Recherchen.“[46]

 

Autoren: Manfred Blänkner und Alexander Voigt

 


[1] Tietje, W., Hinnerk Willem Kopp, Otterndorf 1966, S. 6.

[2] Vogelsang, T., Hinrich Wilhelm Kopf und Niedersachsen, Hannover1963, S. 25 – 27.

[3] AaO, S. 28.

[4] AaO, S. 30.

[5] Schnath, G., Eines alten Archivars Erinnerungen an das Staatsarchiv Hannover aus den Jahren 1920 bis 1938, in : Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte, Hildesheim 1984, S. 467.

[6] Einzelheiten bei Nentwig, T., Hinrich Wilhelm Kopf (1893 – 1961). Ein konservativer Sozialdemokrat, Hannover 2013.,S. 214ff.

[7] AaO, S. 217f.

[8] Vogelsang, S. 39.

[9] Nentwig, S. 220 – 238.

[10] Zu den Einzelheiten s. Nentwig, S. 738 – 808.

[11] „Kopf-Jäger. Der ehrliche Makler“, in: SPIEGEL , 31. 01. 1948, S. 4, http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/44415624, abgerufen am 15.05.2016.

[12] Zit. nach Nentwig, S. 785.

[13] Verordnung Nr. 46 der Militärregierung über die Auflösung der Provinzen des ehemaligen Landes Preußen in der britischen Zone und ihre Neubildung als selbständige Länder, in: Ursachen und Folgen, Bd. 24, Berlin o. J. [1977], S. 192.

[14] Zur Gründung Niedersachsens  u.a. Brosius, D., Landes- und Demokratiegründung nach 1945, in: Hucker, B. U. u.a. (Hrsg), Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, S. 602 – 618, sowie Reeken, D., Die Gründung des Landes Niedersachsen und die Regierung Kopf (1945 – 1955), in: Geschichte Niedersachsens, Bd. 5, Hannover 2010, S. 644 – 654.

[15] Barmeyer, H., Von der Niedersachsenbewegung zur Gründung des Landes Niedersachsen, in: Obenaus, H./Schmid, H.-D. (Hrsg.), Nachkriegszeit in Niedersachsen, Bielefeld 1999, S. 27f.

[16] Verordnung Nr. 55 der Militärregierung über die Bildung des Landes Niedersachsen, in: Ursachen und Folgen, Bd. 24, Berlin o. J. [1977], S. 212.

[17] Brosius, S. 613.

[18] Zusammensetzung in: Porträt eines Parlaments. Der Niedersächsische Landtag 1947 – 1967, hrsg. von R. Lehners, Hannover 1967, S. 76. Dem Buch sind auch die Angaben über die weiteren Kabinette entnommen.

[19] Vogelsang, S. 90 – 93.

[20] AaO, S. 117 – 113.

[21] AaO, S. 155 – 157.

[22] Dazu bspw. Reeken, S. 677 – 680.

[23] Brosius, S. 615.

[24] Reeken, S. 678.

[25] Otte, H., Die Entstehung des Loccumer Vetrags, in: In Freiheit verbunden. 50 Jahre Loccumer Vertrag, Hannover 2005, S. 23 – 55.

[26] Campenhausen, A, v., Der Loccumer Vertrag – Ein Leuchtturm in der Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: In Freiheit verbunden. 50 Jahre Loccumer Vertrag, Hannover 2005, S. 57 – 72.

[27] Gabriel, S., Grußwort des Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, in: In Freiheit verbunden. 50 Jahre Loccumer Vertrag, Hannover 2005, S. 17.

[28] Otte, S. 23.

[29] Vogelsang, S. 197f.

[30] Porträt eines Parlaments, Bildteil vor S. 101

[31] Vogelsang, S. 195.

[32] Nentwig, S. 737.

[34] Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen, Empfehlungen zum geschichtspolitischen Umgang mit der Persönlichkeit des ersten Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Hinrich Wilhelm Kopf (1893 – 1961), Hannover 2013.

[35] Interview mit der Historikerin Dr. Teresa Nentwig über Hinrich Wilhelm Kopf und Umbenennungen von Straßen. Landeszeitung Lüneburg am 19. 06. 2014, http://www.presseportal.de/pm/65442/2765138, abgerufen am 12. 04. 2016.

[36] Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen, Empfehlungen, S. 6.

[37] AaO, S. 7.

[38] Pressemitteilung 92/2013 vom 05. 12. 2013, http://www.landtag-niedersachsen.de/presseinformationen/,press_id,327.html, abgerufen am 15.05.2016.

[40] Weber, P., Denkmalsturz des roten Welfen? Das Leben von Hinrich Wilhelm Kopf war viel mehr als nur „braune Vergangenheit, in: FAZ v. 7. August 2013, S. 6

[41] Sommer, K.L., Rezension von: Nentwig, Teresa, Hinrich Wilhelm Kopf. Ein konservativer Sozialdemokrat, in: Bremisches Jahrbuch 94 (2015), S. 287f.

[42] AaO, S. 288.

[44] Sommer, S. 288.

[45] Interview mit Martin Sabrow in: SPIEGEL 6/2014, (03. 02. 2014), S. 46 – 48, ww.spiegel.de/spiegel/print/d-124838582.html,. abgerufen am 15.05.2016.

[46] Weber, Denkmalsturz, S. 6.

 

 

 

Literatur:

Barmeyer, Heide, Von der Niedersachsenbewegung zur Gründung des Landes Niedersachsen, in: Obenaus, Herbert/Schmid, Hans-Dieter (Hgg), Nachkriegszeit in Niedersachsen. Beiträge zu den Anfängen eines Bundeslandes (= Hannoversche Schriften zur Regional- und Lokalgeschichte, Bd. 12), Bielefeld 1999, S. 13 – 29

Brosius, Dieter, Landes- und Demokratiegründung nach 1945, in: Hucker, Bernd Ulrich u.a. (Hrsg), Niedersächsische Geschichte, Göttingen 1997, S. 602 – 618

Campenhausen, Axel von, Der Loccumer Vertrag – Ein Leuchtturm in der Entwicklung des Staatskirchenrechts, in: In Freiheit verbunden. 50 Jahre Loccumer Vertrag, Hannover 2005, S. 57 – 72

Gabriel, Sigmar, Grußwort des Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Niedersächsischen Landtag, in: In Freiheit verbunden. 50 Jahre Loccumer Vertrag, Hannover 2005, S. 17

Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen: Empfehlungen zum geschichtspolitischen Umgang mit der Persönlichkeit des ersten Ministerpräsidenten des Landes Niedersachsen, Hinrich Wilhelm Kopf (1893 – 1961), Hannover 2013

„Historischer Exorzismus“. Interview mit Martin Sabrow, in: Spiegel 6/2014 (03. 02. 2014), S. 46 – 48, ww.spiegel.de/spiegel/print/d-124838582.html, abgerufen am 15. 05. 2016

„Kopf-Jäger. Der ehrliche Makler“, in: SPIEGEL , 31. 01. 1948, S. 4, http://magazin.spiegel.de/EpubDelivery/spiegel/pdf/44415624, abgerufen am 15.05.2016

Listl, Joseph (Hrsg.), Die Konkordate und Kirchenverträge in der Bundesrepublik Deutschland. Textausgabe für Wissenschaft und Praxis, Bd. 2, Berlin 1987

Nentwig, Teresa: Hinrich Wilhelm Kopf (1893 – 1961). Ein konservativer Sozialdemokrat (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 272), Hannover 2013

Otte, Hans, Die Entstehung des Loccumer Vertrags, in: In Freiheit verbunden. 50 Jahre Loccumer Vertrag, Hannover 2005, S. 23 – 55

Porträt eines Parlaments. Der Niedersächsische Landtag 1947 – 1967, hrsg von Richard Lehners, Hannover 1967

Reeken, Dietmar von, Die Gründung des Landes Niedersachsen und die Regierung Kopf (1945 – 1955), in: Geschichte Niedersachsens, Bd. 5: Von der Weimarer Republik bis zur Wiedervereinigung, hrsg. von Gerd Steinwascher (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen, Bd. 36), Hannover 2010, S. 625 – 681

Schnath, G., Eines alten Archivars Erinnerungen an das Staatsarchiv Hannover aus den Jahren 1920 bis 1938, in : Beiträge zur niedersächsischen Landesgeschichte, hrsg, von Dieter Brosius und Martin Last, Hildesheim 1984, S. 454 – 474

„Schuld kann nicht relativiert werden“. Interview mit der Historikerin Dr. Teresa Nentwig über Hinrich Wilhelm Kopf und Umbenennungen von Straßen. Landeszeitung Lüneburg am 19. 06. 2014, http://www.presseportal.de/pm/65442/2765138, abgerufen am 12. 04. 2016.

Sommer, Karl Ludwig, Rezension von Nentwig, Teresa, Hinrich Wilhelm Kopf. Ein konservativer Sozialdemokrat, in: Bremisches Jahrbuch 94 (2015), S. 286 - 288

Tietje, Werner: Hinnerk Willem Kopp. Dög un Undög, Otterndorf 1966

Ursachen und Folgen. Vom deutschen Zusammenbruch 1918 und 1945 bis zur staatlichen Neuordnung Deutschlands in der Gegenwart. Eine Urkunden- und Dokumentensammlung zur Zeitgeschichte. Hrsg. Herbert Michaelis und Ernst Schraepler. Bd. 24: Deutschland unter dem Besatzungsregime, Berlin o. J. [1977]

Vogelsang, Thilo: Hinrich Wilhelm Kopf und Niedersachsen, Hannover 1963

Weber, Petra, Denkmalsturz des roten Welfen?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 7. August 2013, S. 6

Weil, Stephan, Buchvorstellung Nentwig, http://www.hansestadtlueneburg.de/Portaldata/43/Resources/dokumente/stad...