Neunter Brief

Lieber Axel Bernd,

bitte erlaube mir ein paar Bemerkungen zu Deinen Ausführungen. Thema Mensur: Ja, vielleicht ist die Bereitschaft bei Frauen geringer, sich diesem Anachronismus zu unterwerfen. Wenn man die ursprüngliche Intention einer Ausbildung zum wehrhaften und allzeit bereiten, das Vaterland verteidigenden Studenten als Grund für die Mensur bei Studentenverbindungen heranzieht, kommt man schnell zu dem Schluss, dass Hieb- oder Stichwaffen in der heutigen Kriegsführung nicht relevant sind. Das dennoch das Mensurwesen aufrechterhalten wird, liegt an der Einfallslosigkeit der schlagenden Bünde, sich einen adäquateren Ritus aufzubauen. Man könnte also frech argumentieren, dass es dann die schlagenden Männer sind, die die Mitglieder zweiter Klasse sind. Wenn sich Verbindungen als verbindendes Element das Mensurenschlagen auswählen, halte ich das persönlich für ein Armutszeugnis. Was bitte schön hat das mit Freundschaft zu tun? Man fechtet ja nicht gegeneinander im Bund. Ich glaube, dass der Männerbund und auch das Mensurwesen in den kommenden Jahrzehnten zurückgehen werden.

Aus sozialdemokratischer Betrachtungsweise bleibt die Frage, ob Männerbünde überhaupt auf die politische Agenda gehören. Sie gehören es nur dann, wenn sie sich politisch äußern (was in der Regel nur vereinzelte Burschenschaften und auch nur manche Dachverbände machen), oder eine große machtpolitische und karriererelevante Rolle in Deutschland spielen. Haben die Verbindungsnetzwerke der Männerbünde eine marktbeherrschende Stellung, sind sie Vetospieler bei der Besetzung von Führungsposten und wirkt sich eine Mitgliedschaft förderlich auf eine Karriere in bestimmten Berufen aus? Wenn das der Fall ist, ist eine politische Forderung, allen Akademikern gleiche Chancen einzuräumen, legitim. Ob sie dann gesellschaftlich und schlussendlich juristisch durchsetzbar ist, steht auf einem anderen Blatt, daran müssen sich politische Forderungen nicht orientieren. Somit gilt es, zwei Dinge zu prüfen: Spielen Männerbünde innerhalb der Korporationswelt eine dominierende Rolle? Die Antwort ist: Ja. Und Zweitens: Haben Männerbünde bei Uniabsolventen und später beim Sprung ins Management, insbesondere was Karrieren und die Besetzung von Führungspositionen angeht, einen relevanten Einfluss in Deutschland?

Hierzu gibt es keine aktuellen soziologischen Untersuchungen oder valide Ergebnisse von Elitenforschern. Sicherlich ist einerseits der Grund für die fehlende Forschungsevidenz, dass korporative Netzwerke seit ehedem wenig transparent und für Außenstehende, hier Forschende, wenig einsehbar sind. Andererseits ist der Einfluss der Männerbünde zurückgegangen, weil es neue Netzwerke gibt: an der Uni selbst (Alumnivereine, andere Hochschulgruppen, Doktorandenseminare et cetera). Die Universität ist vielfältiger geworden. Für eine SPD-Parteikarriere ist sicherlich ein Engagement in der Juso-Hochschulgruppe karriereoptimierender als die Mitgliedschaft in einer Verbindung. Durch Online-Netzwerke wird man mehr mit Freunden und Kommilitonen vernetzt (Facebook) und schafft sich über Xing oder LinkedIn ein Berufskontaktnetzwerk. Neben Männerbünden gibt es auch Frauennetzwerke, die den Einfluss der Männer zurückdrängen. Neben den Netzwerken gibt es noch (gesetzliche) Vorgaben wie die Quotierung bei Führungsposten. Der Trend im Personalwesen, computergestützte Profilingwerkzeuge und aufwendige Assessmentcenter durchzuführen, schmälert den Einfluss der Männerbünde weiter. Dass insbesondere in den Human-Ressource-Abteilungen viele Frauen das Sagen haben, wird sich nicht immer zum Vorteil der Korporierten auswirken.

Die Schlussfolgerung für mich ist, dass der Einfluss der Männerbünde heutzutage zu gering ist, um ihn politisch als relevant einzustufen. Auch das nicht vorhandene wissenschaftliche Interesse zeugt von einer geringen gesellschaftlichen Relevanz. Ein vereinsrechtliches Vorgehen, welches Männerbünde schlussendlich verbietet, wäre also unverhältnismäßig. 

Der Wettbewerb um die besten Köpfe ist härter geworden. Welcher Student ist heute noch bereit, ein Semester für sein Seniorat zu opfern. Das haben 1995 noch die meisten in Kauf genommen. In den Verbindungen gibt es immer mehr Anträge in Conventen, man möge doch die Aktivenzeit um ein Semester zu verkürzen. Ich wage die Prognose, dass der Wettbewerb um die besten Köpfe nicht mit der Anzahl der Pflichtpartien gewonnen wird, eher mit akademischen Vorträgen und kreativen Semesterprogrammideen. Bei den beiden letzten Punkten sehe ich gemischte Bünde durchaus als wettbewerbsfähig und nachhaltiger aufgestellt.

Korporierte Sozialdemokraten sollten mit den unterschiedlichen Verbindungstypen  die Geschlechterfrage intern, innerparteilich und auch öffentlich diskutieren, von allen Seiten beleuchten und die verschiedenen Facetten herausarbeiten. Unsere Mitdiskutanten aus der Partei sollten sich aber auch dem Thema Männerbünde ergebnisoffen stellen.

 

Beste Grüße

Florian Z!