Sechster Brief

Lieber Florian,

danke für Deine ausführliche Antwort. Das ist eine spannende Debatte ... Die Herstellung geschlechterbezogener Gerechtigkeit bleibt eine politische Aufgabe. Dabei gilt – wie auch in anderen Bereichen: Je öffentlicher ein Bereich ist, desto stärker sind bestimmte Forderungen universalisierbar. Im gesellschaftlichen und noch mehr im privaten Bereich muss es aber die Möglichkeit geben, Formen des Zusammenlebens in nichtpolitischer, privater Form zu bestimmen. Das schließt dann auch ein, im Rahmen der Vereins- oder Privatautonomie selbst zu bestimmen, ob man sich geschlechterhomogen oder -inhomogen vergemeinschaftet.

Studentenverbindungen gehören dem gesellschaftlichen Bereich an, der Beitritt zu ihnen ist freiwillig und seit der Wiedergründung nach dem Zweiten Weltkrieg sind sie noch nicht einmal mehr Teil der Universität. Also haben Studentenverbindungen das Recht, für sich einen Freiraum politischer Nichteinmischung zu reklamieren – und der umschließt das Recht, selbst zu entscheiden, wer in den Freundschaftsbund aufgenommen wird und wer nicht. Wenn alle Verbindungen gezwungen wären, sich für Frauen zu öffnen, wäre dies ein politisch übergriffiger Akt, der zu einer totalitären Kontrollgesellschaft passt, nicht aber zu einem liberalen Rechts- und Verfassungsstaat.

Das Argument, dass Verbindungen bei ihrer Gründung einmal den Anspruch hatten, alle Studenten (und die waren damals männlich) zu organisieren (die Urburschenschaft wollte dies sogar in Form einer einzigen Korporation vor Ort), ist bedenkenswert. Aber aus historischen Tatbeständen kann man nicht einfach ein normatives Sollen ableiten, schon gar nicht von außen. Wenn dann müsste dieser Anstoß von innen aus dem Kreis der Verbindungen kommen – ein solcher Umschwung ist aber bei vielen Männerbünden derzeit nicht absehbar. Und das ist auch gut so. Männerbünde haben überhaupt keinen Grund, sich in eine Rechtfertigungsposition drängen zu lassen. Denn im liberalen Rechts- und Verfassungsstaat sind Eingriffe in die Freiheit begründungspflichtig, nicht deren Inanspruchnahme – nichts anderes machen Vereine, die als freiwillige Zusammenschlüsse Gleichgesinnter ihre Aufnahmekriterien selbst festlegen.

Gerechtigkeit herzustellen, ist eine wichtige politische Aufgabe. Der Staat hat aber nicht die Verpflichtung, alle Unterschiede auszugleichen. Wo Gerechtigkeitsansprüche ins Maßlose (vielleicht auch Utopische) gesteigert werden, geht dies zu Lasten der Freiheit. Die Vereinsfreiheit gilt geschlechterunabhängig. Niemand hat aber das Recht zu fordern und die Gemeinschaft dafür in Haftung zu nehmen, dass er zwischen genauso vielen Vereinigungen auswählen kann wie ein anderer. SPD und CDU haben auch eine unterschiedlich lange Tradition. Und eine neugegründete Partei kann auch nicht einklagen, dass ihr gleich eine große Parteizentrale hingestellt wird – hier kann man nur sagen: C'est la vie. Dass es in Universitätsstädten mehr Männer- als Damenverbindungen gibt, ist historisch erklärbar – aber kein Grund, nach der Polizei zu rufen, die hier jetzt für mehr Gerechtigkeit zu sorgen  hätte. Wir haben Vereinsfreiheit. Diese Freiheit darf genutzt werden, nur dann wird sie auch lebendig. Freiheit wird aber infantil, wenn jetzt auch noch staatlich gesteuert werden sollte, wie die Einzelnen von ihrer Freiheit Gebrauch machen – in diesem Sinne bin ich dann tatsächlich äußerst liberal. Ansonsten müssten wir ja auch auszählen, ob es im Land mehr Männer- als Frauenchöre oder umgekehrt gibt. Überall wo Gerechtigkeitsforderungen ins Maßlose gesteigert werden, führt dies zur Unfreiheit oder wird irgendwann kurios. Im Übrigen sollten wir den heutigen Einfluss von Verbindungen nicht überschätzen: Es gibt inzwischen eine Vielzahl an Vereinigungen und Netzwerken.

Ich gebe Dir Recht, dass viele Begründungen für Männerbünde eher plump daherkommen, nach dem Motto: Dann gibt es Beziehungsstress und so weiter (im Übrigen: den gibt es auch in Männerbünden, wofür ich zahlreiche Beispiele nennen könnte). Meines Erachtens sind zwei Argumentationslinien wichtiger: Die freiheitsrechtliche Begründung habe ich schon ausgeführt. Männerbünde müssen sich nicht an der Gesellschaft orientieren, weder damals noch heute; sie sind Teil dieser Gesellschaft, teils in Anpassung zu ihr, teils im Widerspruch zu ihr (sonst wären sie nicht immer wieder verboten worden). Und für diese Gesellschaft wünsche ich mir einfach Vielfalt, keinen Einheitsbrei  sich weitgehend ähnelnder Karrierenetzwerke. Der Männerbund ist in einer Gesellschaft, die auch andere Vereinigungen kennt, kein Dogma, sondern Ausdruck gelebter Pluralität und Vielfalt. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der alle gleich denken, fühlen und  handeln sollen. Wenn sich in meinem Convent die Meinung dreht, kann ich das nicht verhindern – warum auch. Ich kann mich nur persönlich fragen, sollte es einmal so weit kommen, ob es noch derselbe Freundschaftsbund ist, dem ich vor Jahren einmal lebenslange Treue geschworen habe. Im Zweifelsfall bleibt der Austritt. Die Frage kann nicht theoretisch entschieden werden, sondern nur im praktischen Vollzug, wenn es sich so entwickeln sollte. Für meinen Bund sehe ich das in absehbarer Zeit nicht.

Und damit kommen wir zum Kern: Studentenverbindungen eint das akademische Prinzip – da stimme ich Dir vollkommen zu (auch wenn dieses dann in den Bünden noch einmal sehr unterschiedlich ausgelegt wird). Nun bestimmen sich Studentenverbindungen allerdings nicht nur durch ein Prinzip. Das akademische Prinzip gilt zum Beispiel auch für Studentengemeinden oder andere Hochschulgruppen. Spezifischer für Studentenverbindungen ist der Lebensbund. Ein lebenslanger Freundschaftsbund bedarf eines tragfähigen Fundaments, das nur begrenzt und äußerst behutsam wandelbar ist. Für einen Freundschaftsbund braucht es etwas Gemeinsames, das weit über eine lockere Vereinsmitgliedschaft hinausgeht – und hier liegt für mich ein zentraler Grund, weshalb Männerbünde nicht einfach verpflichtet oder gedrängt werden können, sich für Frauen zu öffnen. Dies wäre nicht einfach eine beliebige Änderung der Satzung, sondern eine Wesensveränderung dieser auf gegenseitiger Freundschaft gegründeten Vereinigung. In diesem Fall würde für mich auch immer die Loyalität im Freundschaftsbund höher stehen als die Parteimitgliedschaft (nicht umsonst erinnert der Burscheneid bei uns an den Ehekonsens) – möglicherweise liegt ja gerade hier ein Grund, weshalb viele in der SPD und darüber hinaus so vehement gegen Studentenverbindungen ankämpfen. Wie schon zuvor geschrieben: Geschlechterhomogenität (wobei es nicht um „das Maskuline“ geht, sondern um einen bestimmten kulturellen Umgang miteinander, und zwar in diesem Fall in Auseinandersetzung mit der eigenen Geschlechtlichkeit) ist nicht das einzige Fundament, das für einen Freundschaftsbund möglich ist. Dies kann auch die Konfession, eine regionale Verbundenheit, ein gemeinsames fachliches Interesse oder Weiteres sein. Ein Männnerbund aber, der sich auf dieses Wesensmerkmal festgelegt hat, sollte sich sehr genau überlegen, ob er dieses aufgibt. Ich empfinde es als ungeheure Bereicherung, in einer Gemeinschaft sein zu dürfen, in der Männer einmal unter sich sind (privat wie beruflich ist es ansonsten umgekehrt, wenn man nicht gerade einem Männerorden oder dem Kardinalskollegium angehört) – das ist aber ein persönliches, kein politisches Argument. Andere mögen das anders empfinden –  auch gut, daher sollte es Vielfalt geben.

Ein Verlust an Vielfalt würde die Korporationswelt kraft- und identitätslos machen. Es besteht die Gefahr, sich stets auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner zu einigen. Dies wäre auf Dauer langweilig und würde zu einer starken Nivellierung führen. Der langen Rede kurzer Sinn: Freundschaften in Männerbünden, Damenverbindungen oder gemischten Bünden haben jeweils eine unterschiedliche emotionale, psychologische Qualität. Das ist keine Wertung, sondern ein Plädoyer für politischen Respekt gegenüber Unterschieden. Diese Vielfalt emotionaler Zugänge darf politisch nicht nivelliert werden, das wäre übergriffig und totalitär. Dieses anthropologisch-ethische Argument ist für mich der entscheidende Grund, so vehement für den Erhalt von Männerbünden zu streiten.


Mit herzlichen, farbenbrüderlichen und solidarischen Grüßen

Dein Axel Bernd Z! Z!