Fünfter Brief

Lieber Axel Bernd, 

Bei Geschlechterfragen bin ich schwedisch geprägt, das heißt: gleiche Zugangschancen für alle.

Du meinst, dass Du Dich selbst keiner gemischten Verbindung anschließen würdest. Ferner schreibst Du, dass genau das Freiheit ausmacht: „Selbst entscheiden zu können, welcher Form von Vereinigung man beitreten möchte.“ Wo können denn Frauen frei entscheiden, wenn ihnen nicht aufgrund ihres Charakters, Wissens, der Soft Skills und ihrer Interessen und nur wegen der Marginalie des Geschlechts von vornherein fünfundachtzig Prozent der Vereinigungen vorenthalten werden? Woher kann der Männerbund eigentlich wissen, dass eine Kandidatin nicht doch die beste Seniora, die fleißigste Fuxmajora und der profundeste Kassenwart wird? Ist es für einen Männerbund überhaupt ökonomisch sinnvoll, Menschen nach Geschlecht zu sortieren und von vornherein auszuschließen?

Du bist der Ansicht, dass es gut ist, dass es diese Unterschiede gibt. Jeder mag dann selbst entscheiden, wo er mitmachen möchte. Was passiert denn, wenn Studentinnen sich entscheiden, bei Burschenschaften, Landsmannschaften, Corps, CV-Bünden, VVDSt oder Wingolf mitmachen zu wollen? Ja, ich weiß, der Student darf auch nicht zu Damenverbindungen. Dann sei ja alles gerecht. Ist es nicht. In der Realität, und so bei meiner Almer mater in Tübingen, wählt der Student zwischen einunddreißig Bünden bei insgesamt dreiunddreißig aus. Die Studentin hat nur sechs von dreiunddreißig zur Auswahl. Wenn ich die Anzahl der Alten Herren als Indikator für das Netzwerk zugrunde lege, die als mögliche Kontakte zu werten sind, wird das Ungleichgewicht der Wahl noch größer. Ich finde diesen Unterschied nicht gut und habe aus einer sozialdemokratischen Betrachtung Probleme, das so zu akzeptieren.

Dass Damenverbindungen eine genauso lange Tradition entwickeln, halte ich für ausgeschlossen, der Vorsprung kann nicht wieder gut gemacht werden – auch werden nicht mehr so schnell diese großen, repräsentativen Villen gebaut. Verbindungen sind das Konstrukt einer unfreien Gesellschaft, in der es keine Chancengleichheit gab. Es konnten sich keine Studentinnen im neunzehnten Jahrhundert frei vergemeinschaften. Daher muss man meiner Ansicht nach Bünde, die heute ihre Statuten an der damaligen unfreien Gesellschaft orientieren, darauf hinweisen, und man kann das zu Recht kritisieren.

Es gibt kein Recht, in einen ganz bestimmten Verein aufgenommen zu werden. Da hast Du Recht, über die Aufnahme entscheidet der Convent. Warum aber muss man also statuarisch davor eine Hürde einbauen und schon mal die Hälfte des potentiellen der Studierendenschaft automatisch ausschließen? Welche Freiheit nehmen sich zwanzigjährige Jungen heraus, gleichaltrigen Kommilitoninnen die Aufnahme zu verwehren, ohne sie zu kennen, nur weil sie weiblichen Geschlechts sind? 

Wie Du Dir denken kannst, erkenne ich als gemeinsames Fundament eine Religion oder eine fachliche Ausrichtung an. Ob eine geschlechterhomogene Gruppe im Jahr 2016 noch ein solides und zukunftsfähiges Fundament sein kann, sehe ich kritisch. Der Trend ist, dass das Geschlecht nicht mehr Teil der Bewertungsgrundlage ist – die katholische Kirche wird sich diesem Trend irgendwann beugen und auch die Männerbünde, wenn sie weiter bestehen wollen. Ich prognostiziere bei Männerbünden Druck von außen und innen. Von außen sind es heutige Entwicklungen wie die Öffnung der Bundeswehr für Frauen, mehr Frauen in Management- und Führungspositionen, Angela Merkel und auch mehr Professorinnen. Von innen sind es die Bundesbrüder selber, die heute mit zwanzig Jahren schon fünf Jahre in Facebook mit Frauen netzwerken, die an der Uni von immer mehr Frauen ausgebildet werden – sie selber werden die Alten Herren auffordern, den Männerbund zu überdenken.

Summa summarum: Das konstitutive Element einer Studentenverbindung ist das Akademische und nicht das Maskuline. Bei der Gründung der Burschenschaften vor zweihundert Jahren war die gesamte Studierendenschaft aufgerufen, sich der Bewegung anzuschließen. Warum rufen nicht alle Burschenschaften heute dazu auf, sie ihnen anzuschließen? Ich wünsche mir eine Rückkehr zum ursprünglichen Zweck.

 

Ich freue mich auf Deine erneute Erwiderung.

Beste Grüße

Florian Z!