Wilhelm Blos Kurzbiografie

Wilhelm Blos

geboren am 5. Oktober 1849 in Wertheim, gestorben am 6. Juli 1927 in Stuttgart-Cannstatt

MdR, Staatspräsident von Württemberg

Corps Rhenania Freiburg

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Wilhelm Josef Blos gehört zu jenen heute fast vollkommen in Vergessenheit geratenen Sozialdemokraten, die zu führenden Repräsentanten der ersten deutschen Demokratie wurden. Mag dies daran liegen, dass seine Amtszeit an der Spitze des republikanischen Württembergs nur weniger als zwei Jahre währte, mag es daran liegen, dass das Land, welchem er vorstand, so heute nicht mehr existiert, oder es ist einfach dem Umstand geschuldet, dass die Verdienste dieses Mannes nun fast 100 Jahre zurückliegen.

Jugend und Ausbildung

Geboren wurde Blos am 5. Oktober 1849 als Sohn eines katholischen Arztes und einer protestantischen Mutter. Bei der Wahl der Konfession für den Sohn setzte sich die Mutter durch: Wilhelm Blos wurde evangelisch getauft. 1856 starb der Vater. Seine Mutter heiratete erneut – und zwar „den brutalsten und borniertesten“ Mann, den seine Mutter sich aussuchen konnte, wie Blos später sagen wird. Er litt unter dessen Gewalttätigkeit. Einen negativen Einfluss auf seine weitere Entwicklung hatte dieses Kindheitstrauma wohl nicht. Im Gegenteil stärkte es seinen Hang, sich mit den bestehenden Verhältnissen nicht zufrieden zu geben.

Als Gymnasiast war Blos ein wissbegieriger Schüler, der viel las. Bürgerliche Moralvorstellungen bedeuteten ihm nicht viel, auch war er nie sonderlich religiös. Die Schriften Ludwig Feuerbachs sollten ihn – wie er bekannte – später sehr begeistern. Um an der schulischen Bildung zu sparen, nahm ihn seine Familie von der Schule. Eine kurze kaufmännische Zeit in Mannheim folgte. Zu seinem Glück setzten sich ihm wohlgesonnene Bekannte für den jungen Mann ein, sorgten dafür, dass sein grausamer Stiefvater die Vormundschaft über Blos verlor, und ermöglichten ihm ein Hochschulstudium, nachdem er das Abitur nachgeholt hatte. In Freiburg begann er 1868 ein Studium der Geschichte und Philologie. In diesem Jahr schloss er sich dem Corps Rhenania an, dem er bis zu seinem Tode angehören sollte. Er genoss das Studentenleben in vollen Zügen. „Er bummelte und kneipte viel und gern“, schreibt etwa Fritz Schenk 1933 über Blos. Vor allem habe er eine starke Vorliebe für Frauen gehabt, wie Blos' in seinen Memoiren auch immer wieder deutlich werden lässt. Schnell häufte er Unsummen an Schulden an und kehrte wieder Heim. Das Studium sollte er nie zum Abschluss bringen. In Ueberlingen arbeitete er für den Zoll und führte auch dort ein sehr liederliches Leben.

Erstes politisches Engagement und journalistische Anfänge

Hier kam er auch erstmalig mit der Politik in Berührung und wurde begeisterter Demokrat mit revolutionärem Eifer. Das an ihm begangene Unrecht begriff er als Ausfluss der gesellschaftlichen Realitäten, die es fortan zu bekämpfen galt.

Ein Mannheimer Rechtsanwalt hatte Blos nahegelegt Journalist zu werden. Diesen Rat befolgte er auch und arbeitete zunächst für eine kleine demokratische Zeitung mit dem Namen „Konstanzer Volksfreund“. Es folgte eine Tätigkeit für den „Schwarzwälder Boten“, auch dies eine demokratische Zeitung. Die wirtschaftliche Befreiung der arbeitenden Klasse sei ihm ein wichtiges Anliegen in dieser Zeit gewesen. Gleichwohl blieb er mehr ein Mann des Wortes als der Tat. Er beschäftigte sich mit den Schriften Karl Liebknechts und Ferdinand Lassalles. Bis 1875 folgten Tätigkeiten für verschiedenen Zeitungen, und Blos rückte mehr und mehr nach links. Ab Beginn der 1870er Jahre besuchte er sozialdemokratische Parteiveranstaltungen und hegte Sympathien für den Kommunismus. Vor allem das kommunistische Manifest traf auf seine Zustimmung. 1872 wurde er Mitglied der SDAP, einer Vorläuferin der SPD. Nach einer kurzen Gefängnisstrafe wegen „Pressevergehen“ lernte er 1874 Karl Marx kennen, mit dem er fortan korrespondierte. Wegen seines abgebrochenen Studiums und seines lockeren Lebensstils wird er von der bürgerlichen Presse häufig beschimpft. In Braunschweig schreibt er für den „Volksfreund“, in Leipzig für den „Volksstaat“.

Reichstagsabgeordneter

Durch sein Interesse am Parteigeschehen und seine journalistische Tätigkeit wurde man zunehmend auf Blos aufmerksam. So bewarb er sich 1876 erstmals im Wahlkreis Reuß ältere Linie um ein Reichstagsmandat. In dem von der Arbeiterschaft geprägten Wahlkreis wurde er mit einem deutlichen Ergebnis in den Reichstag gewählt. Mit gerade einmal 27 Jahren war er der jüngste Abgeordnete im Parlament. Im Reichstag hielt sich Blos sehr zurück und fiel kaum auf. Da ein Parlamentsmandat damals noch nicht ausreichte, um davon unabhängig leben zu können, war er gezwungen, neben seiner Abgeordnetentätigkeit weiter als Journalist zu arbeiten. Eine Arbeit, die ihm allerdings auch Freude bereitete.

Mit dem Inkrafttreten des Sozialistengesetzes am 21. Oktober 1878 wurde sowohl die politische wie auch journalistische Arbeit deutlich erschwert. Auch Blos persönlich war fortan Repressionen unterworfen und musste schließlich Preußen verlassen. Er litt unter Polizeiwillkür und ständigen Denunziationen. Blos war Chefredakteur der Satirezeitschrift „Der Wahre Jacob“, die vom Verleger Dietz herausgegeben wurde. Es folgten Stationen in Mainz und Bremen. 1883 siedelte er nach Stuttgart über und war hier für „Die Neue Zeit“ tätig.

Über die Wirkung der Sozialistengesetze auf ihn selbst schrieb Blos 1922 in seinem autobiographischen Werk „Von der Monarchie zum Volksstaat“:

„Die zwölf Jahre verschärfter Verfolgung unter dem Sozialistengesetz hatte meine aus wissenschaftlicher Erkenntnis gewonnene sozialistische Überzeugung nur bestärkt.“

1884 übernahm Blos die Chefredaktion des „Berliner Volksblattes“, das später unter dem noch heute gültigen Namen „Vorwärts“ zum Zentralorgan der Sozialdemokratie werden sollte. Im Reichstag wurde Blos ein Vertreter des rechten Parteiflügels und befürwortete 1885 etwa ein Gesetz zur Dampfersubvention. Ab 1884 vertrat er den Wahlkreis Braunschweig 1 – Blankenburg im Deutschen Reichstag.

Historische Studien und Belletristik

1887 zog Blos nach Cannstatt bei Stuttgart und lebte dort allein. Nachdem sein Sohn mit 5 Jahren gestorben war, hatte er sich auch von seiner Frau getrennt.

Er hatte nun Zeit, sich einer weiteren Leidenschaft zu widmen, und beschäftigte sich wieder verstärkt mit historischen Studien. Schon in den 1870er Jahren publizierte er Werke über geschichtliche Themen. Er verfasste Sachbücher und betätigte sich nebenbei weiterhin parteiintern für die SPD. 1888 veröffentlichte er etwa ein Buch mit dem Titel „Die Französische Revolution. Volksthümliche Darstellung der Ereignisse und Zustände in Frankreich von 1789 – 1804“, das im Dietz-Verlag erschien. Parallel dazu schrieb er auch belletristische Romane, die jedoch nicht von bleibender Bedeutung waren. Blos schrieb seine historischen Werke allgemeinverständlich, jedoch wurde ihnen vorgeworfen, wissenschaftlichen Standards nur unzureichend Rechnung zu tragen. Seinen historischen Werken liegt eine materialistischen Geschichtsauffassung zugrunde.

Blos hatte zahlreiche Kontakte zu Vertretern der Revolution von 1848. Insgesamt waren seine Beziehungen zur geistigen Elite durchaus groß. Er galt als Intellektueller, was ihm Ansehen in der SPD einbrachte.

Die Jahre bis zum Zusammenbruch der Monarchie

Blos – obwohl weiter Reichstagsabgeordneter – begann zunehmend mit der SPD zu hadern und beklagte die Kämpfe zwischen „radikalen und gemäßigten Elementen“. 1912 wurde er ein letztes Mal in den Reichstag gewählt. Eigentlich wollte er sich nach Ablauf der Wahlperiode zur Ruhe setzen, doch der Ausbruch des 1. Weltkrieges sollte sein Leben noch einmal gänzlich verändern. Als 1914 die Frage der Bewilligung der Kriegskredite die SPD-Reichstagsfraktion teilte, trat er als deutlicher Befürworter zu Tage. Er war der Auffassung, dass eine Ablehnung einem „Verbrechen an Volk und Vaterland“ gleichkäme. Man könne sich sowohl dem Klassenkampf als auch den Interessen des Volkes und Landes widmen. Er sah keinen Widerspruch zwischen der Befürwortung des Krieges und seiner sozialistischen Weltanschauung.

Wie es nach dem Krieg in Deutschland weitergehen müsse, darüber dachte Blos viel nach. In seinem 1916 erschienenen Buch „Die neue Aera“ entwickelte er Vorstellungen für einen sozialistischen Neubeginn. Ihm schwebten weitreichende Verstaatlichungen vor. Man habe, schreibt er später, mit einer Niederlage rechnen müssen. Die Bedingungen des Versailler Vertrages konnte man jedoch nicht erahnen. Die Schrift stieß auf ein gemischtes Echo. Auch von der eigenen Partei gab es Widerspruch. Blos geriet insgesamt zunehmend in die Defensive und wurde parteiintern aufgefordert, sein Reichstagsmandat niederzulegen. Er war durchaus eine streitbare Persönlichkeit, behielt eine trotzige Haltung und konnte sich durchsetzen.

Die vom Grundsatz her kriegsbejahende Haltung der SPD während des Ersten Weltkrieges lobt Blos später. „Die Erkenntnis, dass man ein guter Sozialdemokrat und zugleich auch ein guter Deutscher sein kann“ habe sich in der Partei durchgesetzt, wird er 1922 sagen.

Württembergischer Staatspräsident und letzte Jahre

Im Oktober 1918 endete der Krieg. Der Kaiser und seine Anhänger traten ab. Es sei bemerkenswert, schrieb er, mit wie wenig Blutvergießen sich der Übergang zur Republik gestaltet habe und dass sich das Volk nicht am Jahrtausende herrschenden Adel gerächt habe. Das habe für den Großmut des deutschen Volkes gesprochen. Dennoch waren ihm manche Revolutionäre ein Gräuel. Spartakisten und Bolschewisten seien eine große Gefahr gewesen.

Am 9. November 1918 wurde Blos zum Kopf der neuen provisorischen württembergischen Regierung ernannt und fungierte zugleich als Außenminister. Die Regierung, die zunächst nur aus MSPD und USPD bestand, wurde bald zur Allparteienregierung. Die neue Regierung konsolidierte sich rasch und brachte Stabilität. Hinter der Regierung Blos standen weite Teile der Bevölkerung. Es kursierte der Spruch „Früher regierte bloß Wilhelm, jetzt Wilhelm Blos.“ Der beim Volk beliebte württembergische König Wilhelm II. hatte am 30. November 1918 freiwillig die Krone niedergelegt. Im Januar und April 1919 hatte die Regierung Blos einen Putschversuch von Spartakisten abzuwehren.

Es ist auch maßgeblich dem Wirken Wilhelm Blos' zu verdanken, dass der Übergang von der Monarchie zur Republik in Württemberg so reibungslos ablief. Durch sein integrierendes Wesen, das Zustimmung bis ins bürgerliche Lager fand, konnte er die Menschen an die Demokratie und Republik binden. Württemberg wurde anders als viele andere deutsche Länder ein stabiler Gliedstaat des Deutschen Reiches. Während des Kapp-Putsches im März 1920 nahm die Regierung den Reichspräsidenten Friedrich Ebert und die Mitglieder der Reichsregierung in Stuttgart zum Schutz auf. Dieser Umstand zeigt, wie sicher und gefestigt Württemberg damals war.

Am 12. Januar 1919 – während der verfassungsgebenden Landesversammlung – wurde Blos im Amt bestätigt. Fortan trug er den Titel Staatspräsident, da auch die Regierung nun Staatsregierung heißen sollte. Seine Amtszeit sollte insgesamt aber nur von kurzer Dauer sein. Während der ersten regulären Landtagswahl in Württemberg am 6. Juni 1920 erhielt die SPD nur noch 16,1 %. In der Folge trat Blos am 23. Juni 1920 von seinem Amt zurück. Sein Nachfolger wurde der liberale Politiker Johannes von Hieber.

Seine Amtszeit als Staatspräsident von Württemberg bedeutete sogleich Höhepunkt wie auch Ende seiner politischen Laufbahn. Die letzten Lebensjahre verbrachte Blos zurückgezogen mit seiner zweiten Frau Anna in schwierigen finanziellen Verhältnissen.

Wilhelm Blos starb am 6. Juli 1927 mit 77 Jahren in Stuttgart.

Ehrungen und Nachwirken

Blos hat ein umfangreiches schriftliches Vermächtnis hinterlassen, das noch einige Jahre nachgewirkt haben muss. Die Nationalsozialisten verbrannten seine Schriften 1933 öffentlich zusammen mit den Werken anderer bedeutender Schriftsteller und Dichter. Eine, wenn man so will, posthume Ehrung.

Heute erinnern Straßen unter anderem in Stuttgart, Heilbronn und Berlin an das erste demokratische Staatsoberhaupt im Südwesten Deutschlands.

 

Literatur:

Blos, Wilhelm: Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten, Band 1. München 1914. Band 2. München 1919.

Blos, Wilhelm: Die deutsche Revolution. Geschichte der deutschen Bewegung von 1848 und 1849. Stuttgart 1891.

Blos, Wilhelm: Der Untergang des Frankfurter Parlaments (= Die Paulskirche, Band. 11), Frankfurt/Main 1924.

Blos, Wilhelm: Von der Monarchie zum Volksstaat. Zur Geschichte der Revolution in Deutschland. Band. 1. Stuttgart 1922. Band. 2, ebenda 1923.

Blos, Wilhelm/Hahn, Paul: Denkwürdigkeiten aus der Umwälzung. Stuttgart 1923.

Müller, Ernst: Kleine Geschichte Württembergs. Stuttgart 1963.

Schenk, Fritz: Kritische Studien zu den Denkwürdigkeiten eines Sozialdemokraten von Wilhelm

 

Verfasser: Christoph Brodhun, Göttinger Wingolf